Jüdisches Leben
in Bayern

Ottensoos Gemeinde

Das Dorf Ottensoos stand seit 1478 unter der Herrschaft einer Ganerbenschaft aus 44 adeligen Familien (sic), war jedoch ringsum vom Territorium der Reichsstadt Nürnberg umschlossen. Erst 1519 wird ein ortsansässiger Jude namens Amschel in einer Steuerliste erwähnt. Ungewöhnlich ist nur sein Ende, denn am 17. Dezember 1537 wurde er in Nürnberg als vermeintlicher Hehler öffentlich gehängt. Im Jahr 1630 lebten elf jüdische Familien in Ottensoos. Nach schweren Verwüstungen im Dreißigjährigen Krieg stieg ihre Zahl rasch wieder an, bereits in den 1650ern konnten sie zum ersten Mal eine Kultusgemeinde bilden. Diese schloss sich dem Rabbinat Schnaittach an und nutzte den dortigen Friedhof. 

Ende des 17. Jahrhunderts lebten vierzehn jüdische Familien mit rund 60 Personen im Ort, die ihren christlichen Nachbarn rechtlich gleichgestellt waren. 1686 errichtete die Gemeinde eine eigene, zentral gelegene Synagoge gegenüber der Pfarrkirche St. Veit (heute Dorfplatz 5). Nachdem das Kurfürstentum Bayern im Jahr 1698 die Burg Rothenberg mit allen zugehörigen Grundherrschaften übernommen hatte, erhielten die Juden von Ottensoos, Schnaittach und Hüttenbach gegen eine Zahlung von insgesamt 8000 Gulden neue Schutzbriefe, die üblicherweise 15 Jahre Gültigkeit hatten.

Ein kurfürstlicher Erlass aus dem Jahr 1717, dass Juden ohne behördliche Erlaubnis keinen weiteren Grund erwerben durften, erwies sich für die Ottensooser Juden als schwere Belastung: Im Jahr 1722 etwa lebten 18 Familien in nur sieben Häusern. Die weitere Geschichte der jüdischen Gemeinde im 18. Jahrhundert ist bislang wenig erforscht, gesichert ist aus den Steuerakten nur die überwiegende Armut ihrer Mitglieder. Wenn überhaupt, übernahm daher nur ein Gemeindediener sämtliche grundlegenden Funktionen (Chasan, Melamed, Schochet) in Personalunion. Eine lokale Besonderheit waren jüdische Familien, die in einem exterritorialen Freihof wohnten und unter dem Schutz der fränkischen Reichsritter von Crailsheim standen. Sie erscheinen entsprechend selten in bayerischen Archivalien, galten aber als engagierte Gemeindemitglieder, die oft den Vorstand stellten. 

Im Jahr 1806 wurden die ehemals unabhängigen Reichsritterkreise mediatisiert, der Fränkische Ritterkreis fiel mitsamt seinen Bewohnern an das Königreich Bayern. In einer neuen Aufstellung aus dem Jahr 1811 wird erwähnt, dass es in Ottensoos einen (wohl ehrenamtlichen) Beschneider gab, während in Hüttenbach und Schnaittach der Rabbiner selbst diese Aufgabe übernommen habe.

Das Zusammenleben von Christen und Juden war über das ganze 19. Jahrhundert hinweg recht unkompliziert: Als etwa 1829 die Kultusgemeinde ein Armenhaus errichtete, lebte während der Bauzeit eine bedürftige jüdische Familie im Schulhaus, und der Unterricht für dreißig jüdische Kinder wurde in ein Zimmer des christlichen Schneidermeisters Deuerlein verlegt. Die neuen staatlichen Hygienevorschriften bereiteten im Jahr 1829 einiges Kopfzerbrechen: Wie in fast jeder anderen fränkischen Landgemeinde erwies sich auch die alte Mikwe in der Ottensooser Synagoge als ungenügend. Bis 1834 wurde ein freistehendes Badehaus nördlich der Synagoge errichtet, das 1853 mit einem Pumpsystem für die Wasserzufuhr erweitert und 1904 mit hohem Kostenaufwand renoviert wurde.

Ab der Mitte des Jahrhunderts setzte die große Auswanderungswelle nach Übersee ein, mit der 1861 gewährten freien Berufs- und Wohnortswahl verschärfte sich diese Situation zusätzlich. Zum Jahreswechsel 1865/66 verweigerte die Kultusgemeinde dem evangelischen Pfarramt das Neujahrsgeld, welches sie als Ersatz für das entgangene Stolgeld an den Ortspfarrer zu zahlen hatten. Am 9. März jedoch mussten die Vorstände Hayum Simonsfeld und Wolf Heßdörfer offiziell anerkennen, dass ihre Kultusgemeinde „jährlich an Neujahr an das k. prot. Pfarramt allda 3. Nürnberger Pfund Zucker zu verabreichen [habe]“. Sogenannte „Auszugsgelder“ sollten ab 1867 den immer größeren Einnahmenverlust ein wenig ausgleichen, was bei den emigrierenden Gemeindemitgliedern verständlichen Unmut hervorrief.

Im Jahr 1869 lebten 108 jüdische Frauen, Kinder und Männer im Ort. Während die Kinder zur Volksschule im Ort gingen, erhielten sie separaten Religionsunterricht in der Gemeindeschule. Das Gebäude unbekannten Baudatums und Standorts diente zugleich als Schächterhaus. Der staatlich geprüfte Religionslehrer erfüllte wie gehabt das Amt des Chasan in der Synagoge und des Schochet in Personalunion. Weil der junge Gemeindelehrer Salomon Friedheim heiratete und eine größere Wohnung benötigte, entschloss sich die IKG Ottensoos 1869 für einen Neubau, der sich direkt an die Synagoge anschloss und stolze 1.300 Gulden kostete. Ausgerechnet am Sabbath in der Nacht auf den 2. September 1871 brach ein Feuer in der Scheune des Metzgers Rebitzer aus und vernichtete neun Gebäude, darunter auch den Schul- und Synagogenkomplex. Mit einer bayernweiten Sammlung brachte die Kultusgemeinde aber genügend Mittel zusammen, um im Sommer 1872 eine neue Synagoge mit integrieren Schul- und Wohnräumen errichten zu können.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verbesserte sich die wirtschaftliche Lage in Ottensoos spürbar, vor allem durch den Aufschwung des jüdisch geprägten Hopfenhandels, der in Nürnberg ein weltweit bedeutendes Zentrum hatte.

Im damaligen vermögensgekoppelten Zensuswahlrecht besaß die jüdische Bevölkerung des Ortes eine Majorität. Unter den Gemeindebevollmächtigten befand sich vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1933 immer auch ein jüdischer Vertreter. Die IKG regte 1901 den Bau einer Wasser- und Stromleitung in Ottensoos an. Gemeindefeste wie der Feuerwehrball wurden interkonfessionell organisiert, das jüdische Leben fand ganz offen im Alltag statt. Angesichts der schrumpfenden Landgemeinden musste die IKG Ottensoos ihr Einzugsgebiet deutlich ausweiten. Ein Regierungsbeschluss vom 25. Juni 1932 teilte jeweils eine jüdische Familie in den Dörfern Röthenbach und Offenhausen der Kultusgemeinde zu.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden die Juden zunehmend aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Viele zogen in die vermeintlich sicheren Großstädte oder verließen nach Möglichkeit das Land. Bis 1938 lebten nur noch 15 jüdische Familien im Ort. Da ein Minjan nicht länger zustande kam, schlossen sich Ottensoos, Schnaittach und Hüttenbach für gemeinsame Gottesdienste zusammen.

Im Novemberpogrom 1938 wurde die Synagoge verwüstet und alle jüdischen Einwohner in der Volksschule festgehalten, bis sie am Morgen in ihre geplünderten Häuser zurückkehren konnten. Danach verkauften sie unter Druck ihre Anwesen und verließen bis zum 17. Juni ihre Heimat. Insgesamt 24 jüdische Männer, Frauen und Kinder, die in Ottensoos geboren wurden oder dort lange gelebt hatten, fanden in der Shoah den Tod.

In der ehemaligen Synagoge, die ab 2010 durch den Freundeskreis "Ehemalige Synagoge in Ottensoos e.V." renoviert wurde, finden heute kulturellen Veranstaltungen statt. Seit 1988 ist an der Südwand des Gebäudes eine Gedenktafel angebracht, welche an die Geschichte der Gemeinde und ihres Gotteshauses erinnert. Der Türsturz eines jüdischen Wohnhauses von 1723 befindet sich im Jüdischen Museum Franken in Schnaittach, dazu zwei Toravorhänge aus der Synagoge. Einer davon, die Stiftung des Ehepaars Heinrich und Helene Prager von 1884, wurde 2021/22 als „wiederentdecktes Kleinod aus Ottensoos“ das Schaustück einer Sonderausstellung.


(Patrick Charell)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Barbara Eberhardt / Cornelia Berger-Dittscheid: Ottensoos. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 2: Mittelfranken. Erarbeitet von Barbara Eberhardt, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Angela Hager unter Mitarbeit von Frank Purrmann und Axel Töllner mit einem Beitrag von Katrin Keßler. Lindenberg im Allgäu 2010, S. 506-521.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 190.