Jüdisches Leben
in Bayern

Neumarkt i.d.OPf. Gemeinde

In Neumarkt läßt sich eine über 500jährige Geschichte jüdischen Lebens nachweisen. Die erste Nennung von hier ansässigen Israeliten erfolgte im Zusammenhang mit dem Rintfleischpogrom 1298: Über 66 Juden wurden während dieser grausamen Exzesse ermordet. In Nürnberg sind für die Jahren 1314, 1326 und 1349 Juden bezeugt, die aus Neumarkt stammten. In den Pestpogromen 1348/49 wurde die Gemeinde von Neumarkt erneut das Opfer eines Pogroms. Ihre Synagoge fiel anschließend an Kurfürst Ruprecht I. von der Pfalz (reg. 1329-1390), der das Gotteshaus jedoch 1362 zurückgab. Schriftliche Quellen bezeugen für die Jahre 1362 bis 1391 fünf jüdische Hausväter, die dann im Zuge einer allgemeinen Ausweisung den Ort wieder verlassen mussten.

Unter Pfalzgraf Johann (reg. 1410-1443), der das Teilfürstentum Neunburg-Neumarkt regierte, begann eine glanzvolle Epoche für Neumarkt. Ab 1423 gewährte er Juden wieder Aufenthaltsrecht und freies Geleit. Auf jüdisches Leben in der damaligen Residenzstadt verweist eine Mikwe aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts. 1556 wurden erneut sämtliche Juden aus allen pfälzischen Besitzungen ausgewiesen und die Gemeinde in Neumarkt musste sich auflösen. Einige der Vertriebenen fanden eine neue Heimat unter den Freiherren von Wolfstein in Sulzbürg. Von dort aus betrieben sie ihre Handelsgeschäfte, kamen dabei auch wieder nach Neumarkt und machten hier manchmal für mehrere Tage Station. Für die Neumarkter Kaufmannschaft waren die mobilen jüdischen Handelsleute störende Konkurrenten. Daher versuchten sie, deren Aktivitäten zu bekämpfen. Der Stadtrat erließ 1666 ein Verbot für Juden, im Ort Quartier zu nehmen. 1712 bestätigte die kurpfälzische Regierung in Amberg, dass sich keine Juden in Neumarkt ansiedeln dürfen. Erst 1755 wurde diese Einschränkung gelockert und eine Übernachtung erlaubt. Das Hausieren von Juden in der Stadt konnten die ansässigen Geschäftsleute in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts immer wieder erfolgreich verhindern.

Mit dem Fall des einschränkenden Matrikelparagraphen 1861 konnten sich auch in Neumarkt wieder Juden niederlassen. Nachdem Salomon Oettinger aus Sulzbürg 1862 als erster das Bürgerrecht erhalten hatte, siedelten sich innerhalb von fünf Jahren zwölf weitere Familien an. Fast alle stammten aus Sulzbürg. Schon sehr früh plante man die Gründung einer Kultusgemeinde. Ab 1863 wurde dafür Geld angespart. 1867 erfolgte die Genehmigung; im folgenden Jahr bestätigte das Königlich Bayerische Staatsministerium die Gemeindesatzung. So konnte sich die neue IKG Neumarkt am 25. März 1868 dem Rabbinat Sulzbürg zu einer Doppelgemeinde anschließen. Drei Tage später fand die erste Gemeindewahl statt, in der Salomon Oettinger zum Vorstand bestimmt wurde. Noch im selben Jahr wurde ein erster Religionslehrer angestellt, der auch das Amt des Chasan und Schochet übernahm.

1871 zählte die jüdische Gemeinde bereits 80 Mitglieder; bis 1885 war sie auf 150 Personen angewachsen. Unter diesen Neubürgern befanden sich zahlreiche tatkräftige Geschäftsleute, die viel zum Aufschwung der lokalen Wirtschaft beitrugen. Große Erfolge erzielte beispielsweise die Familie Oettinger, die u.a. im Textil- und Hopfenhandel tätig war. Auch die Gebrüder Goldschmidt gehörten mit ihrer 1882 gegründeten Fahrradfabrik zur wohlhabenden Bürgerschicht. Die Regierung erlaubte 1872 die Eröffnung einer israelitischen Elementarschule. Sie wurde im Erdgeschoss der neuen Synagoge eingerichtet, zuvor hatten die jüdischen Kinder die katholische Schule besucht. Die Neumarkter Juden durften seit der Gründung ihrer Kultusgemeinde zur Bestattung ihrer Toten den Friedhof in Sulzbürg mitbenutzen. Da der Weg in den 13 Kilometer entfernten Ort sehr beschwerlich war, kaufte die Kultusgemeinde 1879 ein Grundstück im Stadtbereich (heute Gießereistr. 3) und legte dort ihre eigene Begräbnisstätte mit einem Taharahaus an.

Zwischen den Sulzbürger und Neumarkter Juden entbrannte 1910 ein Streit, als der Rabbiner Dr. Magnus Weinberg, der ab 1885 im Amt war, seinen Sitz nach Neumarkt verlegte, weil er hier im ehemaligen Kastenamtsgebäude eine angemessene Wohnung zur Verfügung gestellt bekam. Das Rabbinat Sulzbürg-Neumarkt verblieb bis zu seiner Auflösung 1931 in der Stadt und wurde anschließend in das vereinigte Bezirksrabbinat Oberpfalz und Niederbayern eingegliedert. Dr. Weinberg leitete das Bezirksrabbinat bis 1935, bevor er nach Würzburg wechselte. Er publizierte 1937/38 die „Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern“. 1943 kam er im Konzentrationslager Theresienstadt ums Leben.

Nachdem im Ersten Weltkrieg elf Mitglieder der Kultusgemeinde gefallen waren, lebten 1925 noch 114 Jüdinnen und Juden in Neumarkt. Anfang der 1920er Jahre hatte sich die Anzahl der jüdischen Kinder derart reduziert, dass die Elementarschule geschlossen wurde; ab 1923 bot die IKG nur noch den Religionsunterricht an.

 

Gleich zu Beginn des NS-Regimes stand die Stadt im Mittelpunkt der Nazi-Propaganda. Hinter dem Schloss wurde 1933 ein Denkmal für Dietrich Eckart (1868-1923) errichtet und von Adolf Hitler enthüllt: Eckart war ein gebürtiger Neumarkter. Er hatte als Chefredakteur des „Völkischen Beobachters“ gearbeitet und war ein enger Weggefährte Hitlers gewesen. In der Folgezeit fanden vor diesem Denkmal regelmäßig Kundgebungen der NSDAP statt. Bereits 1933 wurden etliche Neumarkter Juden in „Schutzhaft“ genommen und ihre Wohnungen durchsucht. Die gesamte Judenschaft erlitt massive wirtschaftliche Einschränkungen. Auf neuen Schildern an der Ortsgrenze stand zu lesen: „In dieser Stadt sind Juden unerwünscht“. Viele Israeliten verließen daraufhin Neumarkt. Im April 1936 zählte die Kultusgemeinde noch 74 Mitglieder; Ende 1939 waren es nur noch 31 Personen.

Im Novemberpogrom (9./10.11.1938) wurde von SA-Leuten die Synagoge aufgebrochen und demoliert, die Bewohner des Gebäudes und alle anderen jüdischen Mitbürgern Neumarkts und Sulzbürgs verhaftet und im Amtsgerichtsgefängnis eingesperrt. Ludwig Landecker, ein ehemaliger Pferdehändler, starb dort an einem Schlaganfall. Die jüdischen Frauen hat man zwei Tage später wieder entlassen; etliche der Männer deportierte man in das Konzentrationslager Dachau. Am 10.11.1938 kamen es zu einer Protestkundgebung von Lehrern und Schülern der Dietrich-Eckhart-Realschule gegen jüdische Mitschüler. Im Jahresbericht 1938/39 stand darüber zu lesen: "Somit ist die Schule seit 10.11.1938 judenfrei". Am 2. April 1942 wurden 15 der noch in Neumarkt ansässigen jüdischen Mitbürger über Regensburg in osteuropäische Vernichtungslager verschleppt und dort ermordet. Nur zwei Jüdinnen, die mit Christen verheiratet waren, entkamen dadurch der Shoah.

Seit 1988 erinnert eine Gedenktafel an der Fassade des Anwesens Hallertorstr. 9a daran, dass dort einst die Synagoge der Neumarkter Kultusgemeinde gestanden hat. Die Stadt Neumarkt und der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern ließen 1995 in der Parkanlage Ecke Ring-/Hallertorstraße einen Gedenkstein für die jüdischen Mitbürger errichten, die zwischen 1933 und 1945 verfolgt, vertrieben und ermordet worden waren. Er dient, laut Aufschrift, "den Toten zur Ehre, den Lebenden zur Mahnung". Der jüdische Friedhof, der sich bis heute erhalten hat, wird vom städtischen Bauhof betreut. Das ehemalige Taharahaus wurde in ein Wohnhaus umgebaut. Im Auftrag der Kommune verlegte der Künstler Gunter Demnig (*1947) zwischen 2016 und 2019 insgesamt 27 Stolpersteine zum Gedenken an deportierte und ermordete Neumarkter Juden. Schüler und Schülerinnen des Ostendorfer-Gymnasiums Neumarkt erforschten mehrere Jahre lang das Schicksal der Neumarkter Jüdin Ilse Haas (*1924), die von den Nationalsozialisten im Konzentrationslager Stutthof ermordet wurde. Die daraus erarbeitete Ausstellung und das ihr gewidmete Musical erhielten mehrere Auszeichnungen.

 

(Christine Riedl-Valder)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Angela Hager / Cornelia Berger-Dittscheid: Neumarkt/OPf. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern, Schwaben. Erarbeitet von Barbara Eberhardt und Angela Hager unter Mitarbeit von Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Frank Purrmann. Lindenberg im Allgäu 2007, S. 253-260.
  • Hans Georg Hirn: Jüdisches Leben in Neumarkt und Sulzbürg, Neumarkt i.d. OPf. 2011.