Jüdisches Leben
in Bayern

Neu-Ulm Gemeinde

Mit dem Recht auf Freizügigkeit ließen sich ab 1861 die ersten jüdischen Familien in Neu-Ulm nieder. Die Stadt liegt unmittelbar gegenüber von Ulm (heute Baden-Württemberg) und wurde auf dem alten reichsstädtischen Gebiet gegründet, welches nach den Napoleonischen Kriegen endgültig bei Bayern verblieb. Die kulturellen Zusammenhänge blieben jedoch eng. Daher besaßen die Juden von Neu-Ulm keine eigene Synagoge, sondern gingen ab 1845 zum Gottesdienst über die Grenze nach Ulm. Dort hatte es bereits im Mittelalter eine jüdische Gemeinde gegeben. Zunächst versammelte man sich dort im Gasthaus "Zum Schwanen", ab 1873 in der neu erbauten Synagoge am Weinhof. Allerdings gehörte die Kultusgemeinde von Neu-Ulm als Filiale zum Distriktsrabbinat Ichenhausen (Lkrs. Günzburg). Im Jahr 1933 wurden 44 jüdische Einwohner in Neu-Ulm gezählt. Die Kultusgemeinde bestand bis 1942, als die letzten verbliebenen Jüdinnen und Juden deportiert wurden. Von den in Neu-Ulm geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen: Flora Bayersdorfer geb. Moos (1878), Berta Bissinger geb. Bissinger (1891), Betty Bissinger (1901), Daniel Bissinger (1881), Heinrich Bissinger (1888), Max Bissinger (1882), Sofie Bissinger (1888), Hugo Friedmann (1876), Frieda Krippel (1905), Hans Liebermann (1903), Siegmund Liebermann (1857), Margarete Loewy geb. Heymann (1896), Rudolf Loewy (1893), Ruth Loewy (1920), Jenny Luchs geb. Hechinger (1874), Joseline Möllerich geb. Liebermann (1867), Josef Stern (1893), Julie Wohlgemüth geb. Kirschbaum (1889), Anna Wolff geb. Bernheim (1876).

Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes und dem Ende des Zweiten Weltkriegs unterstanden sowohl Ulm wie auch Neu-Ulm der US-Amerikanischen Besatzungsmacht. In Neu-Ulm wurden die vorhandenen militärischen Anlagen ab dem Sommer 1946 für die zeitweilige Unterbringung von Displaced Persons genutzt: Die US-Armee und die UNRRA richtete in der ehem. Luddendorfkaserne (Memminger Straße) ein lager für jüdische DPs ein, das sich unter dem gewählten Vorstand Josef Schachter in weiten teilen selbst verwaltete. Eine eigene Lagerpolizei sorgte für die Sicherheit, es gab einen Kindergarten, eine Volksschule für die Kinder, eine Berufsschule mit Bibliothek, um sich auf die Auswanderung vorzubereiten, sowie eine religiöse Tora-Talmudschule (Cheder). Außerdem entstand auf dem Gelände ein eigenes jüdisches Krankenhaus sowie eine gesonderte Ausbildungsfläche für Hagana-Soldaten (paramilitärische zionistische Kampftruppe, 1948 in die israelischen Streitkräfte integriert). Für die körperliche Ertüchtigung und geistige Entspannung der DPs gab es einen eigenen Sportverein, den Bar Kochba Neu-Ulm.

Das große DP-Lager in der Luddendorfkaserne zählte bereits im September 1.699 Personen und erreichte im Februar 1947 mit 1.766 Jüdinnen und Juden seinen Höchststand. Anschließend sank die Zahl durch eine vermehrte Auswanderung. Vor allem nach Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 schrumpfte die DP-Gemeinde, bis das Lager im Herbst 1949 endgültig schließen konnte. Am 5. Dezember 1951 brachten mehrere Sonderzüge bringen die ersten drei amerikanischen Bataillone in die Stadt. Die ziehen in die ehemaligen Wehrmachtsunterkünfte, in die Ludendorff-Kaserne in der Memminger Straße und in die Reinhardt-Kaserne in der Reuttier Straße ein. In den folgenden Jahren investierte die US Armee viel Geld in die Infrastruktur der neuen Garnison. Die Ludendorff-Kaserne wurde gen Süden mit zahlreichen Unterkunftsgebäuden, Büros, Clubs, einem technischen Bereich sowie einer Kirche erweitert. Die GIs geben der auf rund 80 Hektar angewachsenen militärischen Liegenschaft den Namen Wiley Barracks. Nach Ende des Kalten Krieges zog die US-Armee ab. Heute ist das Gelände ein Wohngebiet, wobei größtenteils Neubauten die alten Anlagen ersetzt haben.


(Patrick Charell)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. 2. Aufl. München 1992 (= Bayerische Landeszentrale für politische Bildung A85), S. 272.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 246.