Jüdisches Leben
in Bayern

Mühlhausen (Mfr) Gemeinde

Die früheste Nachricht über einen Juden aus dem Ort stammt aus dem Jahr 1464. Es ist nicht bekannt, ob dort bereits mehrere Familien lebten und möglicherweise auch eine Gemeinde bildeten. Ab 1585 finden sich wieder Nachweise von Juden in einem Freiherrlich-Egloffstein’schen Verzeichnis. 1621/22 bezahlten bereits fünf Hausväter und eine Witwe insgesamt 53 Gulden Schutzgeld. In der "Mühlhaeußer Gemeind-Ordnung" vom 27. April 1626 werden fünfmal Juden erwähnt, meistens in der Floskel, dass Vorschriften für "Christ oder Jud" Gültigkeit hätten. Während des Dreißigjährigen Krieges flüchteten sich Ende 1631 Egloffstein’ische Schutzjuden vor den Schweden in das nahe gelegene Höchststädt, wo man ihnen aber nur kurzeitig Aufnahme gewährte. Zwischen 1637 und 1654 keine weiteren Schutzgeldzahlungen bekannt sind.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden in Mühlhausen wie vielerorts in Franken gezielt Schutzjuden angesiedelt, um die Wirtschaft zu fördern und zusätzliche Einnahmen für ihre Herrschaft zu generieren. Ihnen wurden vor allem Grundstücke am westlichen Dorfrand, in der "Judengasse" zugewiesen. Erstmals waren die zehn notwendigen Männer in der Judenschaft versammelt, um eine Kultusgemeinschaft bilden zu können.

Im Jahr 1699 herrschte im Hochstift Bamberg eine grassierende Inflation. Als Gegenmaßnahme verkaufte Fürstbischof Lothar von Schönborn große Mengen Getreide an jüdische Händler aus den Niederlanden, was sich in grotesk übersteigerten Gerüchten wie ein Lauffeuer verbreitete. Von Bamberg aus kam es überall im Hochstift zu gewalttätigen Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung, die in der Nacht auf den 15. Mai auch Mühlhausen erfassten. Teilweise kämpften die Geschädigten noch Jahre später um einen Schadensersatz. Das 18. Jahrhundert sah ein stetes Wachstum der Kultusgemeinde Mühlhausen. Den evangelischen Ortspfarrern war dies ein Dorn im Auge, da jedes weitere jüdische Haus ihre Einnahmen minderte. 1716 beschwerte sich Pfarrer Johann Friedrich Mieling bei den Ortsherren, den Freiherrn von Egloffstein, dass die jüdische Gemeinde bereits 200 Seelen ausmache. Wahrscheinlich als Ausgleich für die entgangenen Gebühren hatten die Juden nun ein sogenanntes "Judenneujahrsgeld" zu entrichten. Trotz mehrfacher Bemühungen wurde es erst 1881 abgeschafft. Ein bedeutender jüdischer Sohn Mühlhausens aus jenen Tagen war Tobias Salomon Seligmann Koën (1763-1849). Seit 1793 arbeitete er in Paris als Chirurg und diente als Hof-Pediküre Joséphine de Beauharnais, Napoleon Bonaparte, dem Herzog von Berry und König Karl X.

Als eine der wenigen Landgemeinden konnten die Mühlhausener Juden seit dem 18. Jahrhundert einen eigenen Ortsrabbiner unterhalten, zusätzlich einen Schulmeister und einen Schächter bzw. Vorsänger. Aus all diesen Faktoren sprechen die Größe, Prosperität und das Selbstbewusstsein der Religionsgemeinschaft, die um 1800 über 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Nach der Pensionierung des letzten Ortsrabbiners Wolf Jonas Steinacher, der dieses Amt von 1796 bis 1832 bekleidet hatte, kam Mühlhausen zum Rabbinat Adelsdorf. 1860 wechselte es zum Distriktsrabbinat Burgebrach und wurde ab 1905 von Bamberg aus betreut. Das Judenedikt von 1813 begrenzte die Höchstzahl der jüdischen Matrikel in Mühlhausen auf 45, 1823 dann auf 44 Hausstellen, wobei die Zahl noch "nach Umständen abzumindern" sei. Durch diese und weitere berufliche Einschränkung wurde auch Mühlhausen von der großen Auswanderungswelle erfasst und die Zahl der Juden begann kontinuierlich zu schwinden. Simon Lessing machte in dieser Zeit sein Glück in Bamberg, wo er die erste Industriebrauerei der Stadt aufbaute. Die Kultusgemeinde demonstrierte noch einmal Vitalität, indem sie 1869 im Synagogengebäude eine neu gegründete Israelitische Elementarschule eröffnete. Am 15. November 1871 musste sie jedoch für die Nutzung der religiösen Einrichtungen Gebühren festlegen, weil sie sich anderweitig nicht mehr finanzieren konnte. Nur so konnte sie trotz der sinkenden Mitgliederzahl das Gemeindeleben aufrechterhalten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten nur noch 77 Jüdinnen und Juden im Mühlhausen. Während des I. Weltkriegs starb Fritz Wahle an der Ostfront, weitere jüdische Männer aus dem Ort wurden für ihre Verwundungen militärisch ausgezeichnet.

In den 1920er Jahren blieb die Kultusgemeinde fest integriert, engagierte sich in Vereinen und leiste einen wichtigen Beitrag für den wirtschaftlichen Aufschwung des Ortes. 1922 gründeten die US-Amerikanischen Geschäftsleute Sigmund und Otto Rice (Reizenstein) im Namen ihrer verstorbenen Eltern die „David und Jette Reizenstein Familienstiftung“, mit der ein 1924 errichtetes Kinderheim unterhalten wurde. Bei der Einweihungsfeier bekräftigte der jüngste Bruder Karl: "Möge es zum Heil und Segen der Gemeinde werden, möge es dazu beitragen, dass der konfessionelle Friede innerhalb der Gemeinde wie seither auch fernerhin gewahrt bleiben, sodass Menschenhass und Klassenhass und Rassenhass keinen Fuß fassen können und in aller Zukunft ferne bleiben".

Ein vergeblicher Wunsch, denn auch in Mühlhausen begann ab 1933 die systematische Ausgrenzung der Juden. Am Morgen des 10. November 1938 stürmten SA-Leute aus Forchheim die verbliebenen 15 jüdischen Häuser, demolierten die Synagoge und verbrannten die Ritualien. Die männlichen Gemeindemitglieder wurden verhaftet und für einige Wochen in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. In der Folge verließen fast alle Mühlhausener Juden ihre Heimat. Am 14. März 1939 schändeten Unbekannte den jüdischen Friedhof und stießen die meisten Grabsteine um. Nach der Deportation der letzten jüdischen Bewohnerinnen Luise Reizenstein und Auguste Wassermann galt Mühlhausen am 20. November 1942 als "judenfrei".

Insgesamt 21 Jüdinnen und Juden, die in Mühlhausen geboren waren oder dort gelebt hatten, fanden in der Shoah den Tod.

1945 versuchten Mühlhausener Bürger den verwüsteten jüdischen Friedhof wiederherzurichten; er kam im Anschluss in die Obhut des LIKB. Als einziger kehrte nach dem Krieg der jüdische Kaufmann Albert Schloß in seine alte Heimat zurück, eine neue IKG entstand aber nicht mehr. Mitte der 1990er gründete sich in Mühlhausen der "Arbeitskreis Jüdische Landgemeinden an Aisch, Aurach, Ebrach und Seebach", der sich der Erforschung des jüdischen Lebens widmet und Kontakt mit den Nachkommen im Ausland pflegt. 1996 wurde ein Mahnmal unmittelbar neben der Pfarrkirche errichtet. Eine Hinweistafel, die am Synagogengebäude als Teil eines historischen Rundgangs angebracht war, musste die Kommune nach wiederholter Beschädigung durch unbekannte Hand entfernen. Seit 2018 ist das Forum Alte Synagoge Mühlhausen e. V. bestrebt, die ehemalige Synagoge als Begegnungsstätte restaurieren und hat bereits erste Veranstaltungen im Gebäude organisiert. 


(Patrick Charell)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Freilandmuseum Franken Bad Windsheim / Herbert May (Hg.): Lang gegrindet - Jüdisches Leben in Franken. Bad Windsheim 2022, S. 20.
  • Gesellschaft für Familienforschung in Franken / Staatliche Archive Bayerns (Hg.): Staatsarchiv Bamberg - Die 'Judenmatrikel' 1824-1861 für Oberfranken (gff digital, Reihe A: Digitalisierte Quellen, 2 = Staatliche Archive Bayerns, Digitale Medien, 4), Nürnberg 2017.
  • Hans-Christof Haas: Mühlhausen. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 2: Mittelfranken. Erarbeitet von Barbara Eberhardt, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Angela Hager unter Mitarbeit von Frank Purrmann und Axel Töllner mit einem Beitrag von Katrin Keßler. Lindenberg im Allgäu 2010, S. 434-447.
  • Johann Fleischmann: Tobias Koen, geboren in Mühlhausen, Chirurg-Pédicure von Kaiser Napoleon, in: Fleischmann, Johann (Hg.): Mesusa 4. Lebensbeschreibungen und Schicksale, Mühlhausen 2004, S. 21-56.
  • Klaus Guth: Jüdische Landgemeinden in Oberfranken (1800–1942), ein historisch-topographisches Handbuch. Bamberg 1988 (= Landjudentum in Oberfranken. Geschichte und Volkskultur 1), S. 252-262.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 150.