Jüdisches Leben
in Bayern

Memmingen Gemeinde

Die ersten Hinweise auf jüdisches Leben beziehen sich im frühen 14. Jahrhundert auf Geldverleiher aus Memmingen, zum Beispiel wird 1310 ein Jude Michael von Memmingen in einem Augsburger Schuldschein genannt. Für das Jahr 1344 erwähnte Johann von Winterthur in seiner Chronik einen anonymen Memminger Jude, bei dem der Augsburger Fürstbischof Heinrich III. von Schönegg (reg. 1337-1348) Schulden hatte. Um diese Zeit gab es im Ort wohl bereits einen jüdischen Friedhof. Die Memminger Gemeinde stand damals unter dem Schutz der Stadt und des Reiches. Ihr Wohnviertel befand sich zwischen der Vorderen und der Hinteren Gerbergasse. Das Nürnberger Memorbuch vermerkt Memminger Opfer der Pestpogrome 1348/49.

1373 verpfändete Kaiser Karl IV. (reg. 1346-1378) der Stadt das Recht des Judenschutzes für weitere sechs Jahre verliehen. Da sich aber immer mehr Christen bei den Juden verschuldeten, kam es in der Folgezeit mehrmals zu Versuchen, mittels neuer Erlasse oder mit Gewalt den Zinszahlungen zu entgehen. Unter anderem genehmigte Wenzel von Böhmen, Karls Nachfolger als römisch-deutscher König (reg. 1376-1400) vielen Städten im Jahr 1385 eine sog. "Judenschuldenbefreiung". Auch in Memmingen wurden die Schulden gegenüber der jüdischen Gemeinde storniert, was ihr die Lebensgrundlage entzog. Die Gemeinde verarmte und schrumpfte durch Abwanderung.

Der letzte schriftliche Nachweis über die Existenz von Juden in Memmingen stammt jedoch schon aus dem Jahr 1429. Mitte des 15. Jahrhunderts soll es laut einigen Überlieferungen in der Stadt noch zu einem Pogrom gekommen sein, welches die letzten Reste jüdischen Lebens vernichtete. Danach gibt es jahrhundertelang keine Nachrichten mehr über jüdische Mitbürger in der Stadt. Rigorose Handelsbeschränkungen sorgten dafür, dass jüdische Kaufleute, die v.a. aus dem benachbarten Fellheim kamen, nur vereinzelt und lediglich tagsüber in die Reichsstadt eingelassen wurden, damit sie ihre Geschäfte abwickeln konnten. Ab 1777 wurde ihnen die Übernachtung erlaubt, eine dauerhafte Niederlassung aber weiterhin strikt verboten. 

Erst 1861, als den bayerischen Juden mit der Aufhebung des Matrikelparagrafen auch freie Wahl des Wohnorts zugestanden worden war, siedelten sich in Memmingen wieder jüdische Familien an. Viele kamen aus den Dörfern der Umgebung und erhofften sich durch den Umzug in die Stadt bessere Lebens- und Einkommensbedingungen. Für 1867 sind 36 jüdische Mitbürger verzeichnet; 1880 waren es bereits 144 Israeliten; 1890 erreichte die jüdische Gemeinde mit über 200 Personen ihre höchste Mitgliederzahl. Zusammen mit Kempten wurde 1875 eine gemeinsame Kultusgemeinde gegründet, die der Distriktsrabbiner in Ichenhausen betreute. Im gleichen Jahr legte man östlich des christlichen Friedhofs an der Knollenmühle eine eigene Begräbnisstätte an. Ein jüdisches Ritualbad gab es im Anwesen Freudenthalstraße 16. Die Memminger Israeliten gehörten schon bald mehrheitlich der wohlhabenden Bürgerschicht an. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Pferde- und Viehhändler, Inhaber von Strickwaren-, Strumpffabriken und Textilwarengeschäften. An den jüdischen Alltag des Ortes erinnert unter anderem ein Kochbuch der Yette Schwarz, das seinen Weg von Osterberg über Memmingen und Tel Aviv nach Jerusalem fand.

1913 wurden die Kultusgemeinden von Fellheim und Memmingen zusammengelegt. Auch jüdische Familien aus Mindelheim und Bad Wörishofen traten der Memminger Gemeinde bei. Anfang der 1920er Jahre kam es zu zwei antisemitischen Anschlägen. In der Nacht zum 14. Mai 1920 wurden fast alle Häuser der Israeliten mit Hakenkreuzen beschmiert. Ein Jahr später ereigneten sich die sog. "Rosenbaumkrawalle", die sich auf alle jüdischen Mitbürger sehr verstörend auswirkten. Auslöser war das Gerücht, der Memminger Käsegroßhändler Wilhelm Rosenbaum würde Preiswucherei betreiben. Eine aufgebrachte Menschenmenge versammelte sich daraufhin vor seiner Villa, nahm ihn fest, führte ihn durch die Stadt, um ihn am Pranger festzubinden, zu beschimpfen und zu bespucken. Die Polizei verhinderte letztlich, dass er gelyncht wurde.

Bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 lebten noch über 160 Jüdinnen und Juden in Memmingen. Ihre Geschäfte wurden ab April 1933 massiv boykottiert, später enteignet oder zu Spottpreisen abgekauft und "arisiert". Weitere Anfeindungen und Einschränkungen führten dazu, dass sie aus dem Wirtschafts- und Gesellschaftsleben der Stadt völlig ausgeschlossen wurden. Trotzdem verließen vorerst nur wenige Israeliten ihre Heimatstadt. Im Novemberpogrom 1938 wurden rund 30 jüdische Männer festgenommen und ein Teil von ihnen wochenlang im Konzentrationslager Dachau festgehalten. Am Nachmittag und Abend desselben Tages plünderten und verwüsteten Mitglieder der Memminger SS jüdische Wohnungen und demolierten die Synagoge völlig. Eine Woche darauf wurde das Gotteshaus gesprengt. Nachdem das Haus des jüdischen Religionslehrers (Ecke Schweizer Berg / An der Mauer) durch den Kreisleiter beschlagnahmt worden war, fiel auch der Religionsunterricht aus. Stattdessen zog hier die Hitlerjugend ein. Bis 1941 gelang 93 Memminger Jüdinnen und Juden die Auswanderung. 1939 umfasste die jüdische Gemeinde noch rund 60 Mitglieder. Sie wurden in fünf Häuser zwangsweise umgesiedelt. Nachdem ab Oktober 1941 die Ausreise für Juden verboten war, lebten noch 40 von ihnen in der Stadt.

In zwei Transporten wurde ein Großteil von ihnen zusammen mit Leidensgenossen aus Fellheim und Altenstadt im März und Juli 1941 in die Vernichtungslager Piaski und Theresienstadt gebracht und ermordet.

Nach dem Krieg kehrten nur vier Mitglieder der ehemaligen Jüdischen Gemeinde Memmingen wieder in ihre Heimat zurück. Gleichzeitig siedelten sich Juden aus Osteuropa, deren Leben in ihren Heimatländern bedroht war, und befreite KZ-Häftlinge in der Stadt an. Der Verwaltungssitz der Gemeinde wurde in der Villa Laupheimer eingerichtet, die über 100 DPs wurden in Wohnraum untergebracht, die von der US-Armee zu diesem Zweck beschlagnahmt wurden.

Das Zusammenleben von Tätern und Opfern gestaltete sich nicht immer einfach. Der 1918 in Polen geborene Max G. bekam vermutlich Anfang 1946 zwei Zimmer in der Seyfriedstraße zugewiesen. Ein Jahr später zog seine Ehefrau Branka zu ihm. Dass die Hauswirtin, eine überzeugte Nationalsozialistin, ihren Untermietern nicht wohlgesonnen war, liegt auf der Hand. Mit allen Mitteln versuchte sie, sich der ungeliebten Mitbewohner zu entledigen. Eine uralte antisemitische Stereotype, dass Juden Christenblut zum Mazzebacken benötigten, half dabei: An Ostern 1947 (sie meinte offensichtlich das Pessachfest) soll ihrem vierjährigen Kind zunächst Wein von den Juden eingeflößt worden sein, so behauptete Bertha G., um dem Wehrlosen dann Blut abzuzapfen. Ihr Rechtsanwalt brachte diese absurde Beschuldigung zu Papier, zeigte das „Verbrechen“ beim Amtgericht Memmingen an und trug die aberwitzigen Beschuldigungen auf einer öffentlichen Sitzung am 2. Dezember 1948 vor. Dieses verhängte gegen die Anklägerin und ihren Rechtsbeistand lediglich eine Strafe wegen "Übler Nachrede".

Die DP-Gemeinde konnte gleichwohl für einige Jahre eine gewisse Normalität entwickeln. Es hatte sich ein Sportverein (Hakoach Memmingen) gegründet und eine Berufsschule, die auf das Pionierleben in Palästina vorbereiten sollte. Nach Gründung des Staates Israel im Mai 1948 wanderten die meisten DPs aus und die DP-Gemeinde löste sich bis 1951 auf.

Im April 1949 waren noch 5 Jüdinnen und Juden verzeichnet, die der IKG Augsburg angehörten und auch dort in die Synagoge gingen. Die Mikwe (Freudenthalstr. 16) wurde nach dem Krieg abgerissen. An das jüdische Leben in Memmingen erinnert heute noch das Mahnmal auf dem einstigen Synagogengrundstück, der erhaltene jüdische Friedhof und eine Abteilung des Memminger Stadtmuseums, in der die jüdische Geschichte der Stadt veranschaulicht ist. Gunter Demnig (*1947) verlegte von 2014 bis 2019 insgesamt 115 Stolpersteine für Memminger Opfer des NS-Regimes. Eine Abteilung des Stadtmuseums Memmingen widmet sich der Geschichte der jüdischen Gemeinde und ihrem grausamen Ende.

 

(Christine Riedl-Valder)

 

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Angela Hager / Hans-Christof Haas: Memmimgen. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern, Schwaben. Erarbeitet von Barbara Eberhardt und Angela Hager unter Mitarbeit von Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Frank Purrmann. Lindenberg im Allgäu 2007, S. 504-510.
  • Uli Braun: Memmingen – judenfrei! Die Juden des Memminger Umlandes im 17. und 18. Jahrhundert. In: Peter Fassl (Hg.): Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben II. Neuere Forschungen und Zeitzeugenberichte. Stuttgart 2000 (= Irseer Schriften 5), S. 209-216.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 246.
  • Julius Miedel: Die Juden in Memmingen. Aus Anlaß der Einweihung der Memminger Synagoge erschienen. Memmingen 1909.