Jüdisches Leben
in Bayern

Marktheidenfeld Gemeinde

Abgesehen von einer Handwerkerfamilie, die 1596 aus Remlingen vertrieben wurde und hier Fuß fassen konnte, gab es in Marktheidenfeld bis ins letzte Drittel des 19. Jh. kein jüdisches Leben. Der Ort fiel zusammen mit dem Großherzogtum Würzburg 1814 an das Königreich Bayern. Erst nach der Aufhebung des Matrikelparagraphen im Jahr 1861 kam es nach und nach zur Ansiedlung von Juden, da der Markt einen attraktiven Handelsplatz darstellte: 1880 gab es sechs jüdische Mitbürger, bis 1910 war ihre Zahl auf 25 Mitglieder gewachsen. Die meisten stammten aus den Nachbarorten Homburg und Urspringen. Die Marktheidenfelder Juden gehörten bis 1909 der IKG Karbach an (Vertrag von 1903), und nutzten auch den örtlichen Verbandsfriedhof.

Nachdem absehbar war, dass die Marktheidenfelder Gemeinschaft nun doch die notwendige Anzahl an religionsmündigen Männern erreichen würde, stellte sie beim zuständigen Distriktsrabbinat Würzburg und den staatlichen Behörden den Antrag, gemeinsame Gottesdienste abhalten zu dürfen. Distriktsrabbiner Nathan Bamberger erteilte seine Zustimmung unter der Voraussetzung, dass dann auch ein Synagogenraum und eine Mikwe im Ort angeschafft werde. 1909 kam es zur Gründung der eigenen, von Karbach unabhängigen Kultusgemeinde und zur Wahl von Albert Heilmann als ersten Kultusvorsteher. Noch im gleichen Jahr leistete die junge jüdische Gemeinde einen Beitrag zur Finanzierung eines gemeinsamen Religionslehrers mit der Gemeinde Karbach. 1910 genehmigte das Bezirksrabbinat die Nutzung eines Betsaales im Haus des Andreas Stumpf (heute: Mainkai 7).

Da die Mitgliederzahl der Gemeinde in den Folgejahren nicht, wie erwartet, weiter zunahm, sondern sich durch den Wegzug einiger Familien erheblich reduzierte, konnte man immer weniger Einnahmen verbuchen und musste staatliche Fördergelder beantragen. Während des Ersten Weltkriegs wurde ein Großteil der jüdischen Männer zum Heeresdienst eingezogen. Einer von ihnen, Simon Levy, ließ dabei 1917 sein Leben. 1925 umfasste die Kultusgemeinde nur mehr 14 Personen. 1937 wechselte Marktheidenfeld zum Distriktsrabbinat Aschaffenburg.

Bei der Machtübernahme des NS-Regimes 1933 lebten noch 17 jüdische Mitbürger in Marktheidenfeld. 1934 wurde das Haus der Familie Adler, wo sich zu dieser Zeit der Betraum befand, mit antisemitischen Parolen beschmiert. Die Täter konnten nicht ermittelt werden. Zu größeren Ausschreitungen kam es am 1. Oktober 1938, als Unbekannte die Fensterscheiben mehrerer jüdischer Geschäfte, Wohnungen und Häuser einwarfen. Während des Novemberpogroms 1938 wurden eine Reihe jüdischer Männer verhaftet und im Gefängnis in Lohr eingesperrt. Ein Teil von ihnen kam am 19. November wieder frei. Die NSDAP führte ab 1939 Zwangsenteignungen und Zwangsverkäufe jüdischer Häuser in Marktheidenfeld und Umgebung durch. Als Sammelunterkunft für die nun obdachlosen Jüdinnen und Juden wurde das Haus von Bernhard Freimark (Untertorstraße 12) festgelegt. Am 23. November 1940 verhängte der Landrat eigenmächtig ein Ausgangsverbot für alle Juden im Ort, das er am 2. Dezember 1940 auf Geheiß der Gestapostelle Würzburg wieder aufheben musste. Zum 1. Januar 1941 wohnten noch zehn Israeliten in der Zwangsunterkunft. Neun von ihnen wurden am 23. April 1942 nach Würzburg und dann weiter nach Izbica deportiert und ermordet. Weitere sechs ehemalige Gemeindemitglieder deportierten die Machthaber aus anderen Orten in die Vernichtungslager, wo sie der Shoah zum Opfer fielen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in Marktheidenfeld weder zu Strafverfolgungen noch zu einem Entschädigungsausgleich. Der einstige jüdische Betsaal im Ort wurde von den alliierten und deutschen Justizbehörden nicht als vollwertige Synagoge eingeordnet. Die Stadt ließ am Aussichtsturm des Marienberges auf der gegenüberliegenden Mainseite eine Gedenktafel anbringen, die den ehemaligen jüdischen Marktheidenfeldern gewidmet ist. Namentlich sind darauf 12 jüdische Männer und Frauen genannt, die durch das NS-Regime ermordet wurden, sowie der 23-jährige Berthold Adler, der als Soldat bei der US-Armee 1944 sein Leben lassen musste. An dem Haus, in dem sich der zweite Betsaal der jüdischen Gemeinde befunden hatte (Glasergasse 5) verweist eine Tafel auf dessen Geschichte. Die Kommune Mittelsinn beteiligte sich an der Initiative DenkOrt Deportationen und stellte als Mahnmal die Skulptur eines Koffers auf, der an die deportierten Opfer der Shoah erinnert. Ein Gegenstück erweitert das zentrale Mahnmal auf dem Würzburger Bahnhofsplatz.

 

(Christine Riedl-Valder)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Hans Schlumberger / Cornelia Berger-Dittscheid: Marktheidenfeld. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 272-276.
  • Historischer Verein Marktheidenfeld und Umgebung e.V. (Hg.) / Leonhard Scherg / Martin Harth: Juden im Landkreis Marktheidenfeld. Marktheidenfeld 1993 (= Publikationen des Historischen Vereins Marktheidenfeld und Umgebung e.V. 13).
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 232.