Jüdisches Leben
in Bayern

Marktbreit Gemeinde

Ein erster Hinweis auf die Anwesenheit von Juden im damaligen Unternbreit findet sich in einem Eintrag des Segnitzer Gerichtsbuchs vom 18. August 1541, das einen Unternbreiter Juden namens Mos als Gläubiger erwähnt. 1553 wies Dorfherr Georg Ludwig von Seinsheim die Juden aus Unternbreit gegen eine Weinsteuer aus, die seine christlichen Unternbreiter Untertanen zu entrichten hatten. Vier Jahre später erhielt Unternbreit das Marktrecht und wurde zu Marktbreit. 

Rund 80 Jahre später erlaubte 1635 Fürstbischof Franz von Hatzfeld (reg. 1631-642) fünf jüdischen Familien mit insgesamt 20 Personen, sich in Marktbreit niederzulassen. Kurz darauf erließ der neue Dorfherr, der in Wien residierende Graf Johann Adolf von Schwarzenberg, 1644 aus fiskalischen Gründen einen Schutzbrief, der die Rechte und Pflichten der in Breit lebenden Juden umfassend regelte. Die Schwarzenbergischen Schutzjuden genossen jetzt dieselben Rechte und Pflichten wie die Mitglieder der jüdischen Gemeinden in Prag, Frankfurt und Worms. Beispielsweise durfte die Gemeinde einen Rabbiner, Vorsänger und Schulmeister anstellen und auch Prozessionen im Freien abhalten. Da der Rat und die christlichen Kaufleute Breits die wirtschaftliche Konkurrenz der jüdischen Kaufleute fürchteten, erklärte sich Schwarzenberg 1652 bereit, keine weiteren Juden mehr in Marktbreit aufzunehmen.

Dabei blieb es aber nicht: 1683 konnte sich eine neunte jüdische Familie in Markbreit niederlassen, und seit 1693 siedelten sich zahlreiche Juden in Marktbreit an, die mit den jüdischen Hoffaktoren am Kaiserhof verwandt waren: Während das Oberhaupt der Familie Astruque der Stiefsohn des 1703 verstorbenen kaiserlichen Oberhoffaktors Samuel Oppenheimer war, gehörten die Wertheimer zur Verwandtschaft des "Judenkaisers" Samson Wertheimer. 

Nachdem Samson Wertheimer bereits 1701 ein Haus und 1710 drei weitere Wohnungen erworben hatte, ließ er 1718/1719 zwischen Rathaus und Schloss das von dem Würzburger Baumeister Joseph Greissing geplante, repräsentative "Wertheimer-Haus" errichten. Der dreigeschoßige, auf einem U-förmigen Grundriss errichtete und von einem markanten Runderker geschmückte Bau diente zugleich als Stadtpalais und Kaufhaus. Die Finanzkraft des Erbauers belegen auch die qualitativ hochwertigen ornamentalen und figürlichen Steinmetzarbeiten, die vermutlich die Werkstatt des Würzburger Bildhauers Jacob van der Auwera (Auvera) schuf.

Bis 1703, dem Todesjahr Fürst Ferdinands von Schwarzenberg, war die jüdische Gemeinde stark gewachsen, der nun 20 Familien mit 150 Personen angehörten. Um 1700 gehörte Marktbreit zu den wichtigsten jüdischen Gemeinden in der Region. Bis 1806 war es Sitz eines Oberrabbinats und des Bezirksvorstehers für die jüdischen Gemeinden des Hauses Schwarzenberg und Versammlungsort jüdischer Landtage. Trotz der Ablehnung durch Bürgermeister, Gemeinderat und christliche Kaufleute schränkte das Haus Schwarzenberg die Freiheiten seiner Schutzjuden in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts nicht ein und wies die jüdischen Familien auch nicht aus.Die fürstlichen Einnahmen rechtfertigten diese Politik: Beispielsweise entrichteten 1720 die 19 jüdischen Kaufleute in Marktbreit 1660 Gulden Handelschaftssteuer, während ihre christlichen Kollegen nur 1375 Gulden an die Herrschaft zahlen mussten.   

1740 endete die erste Blütezeit der Marktbreiter jüdischen Gemeinde. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts verschwand der Name Wertheimer aus Marktbreit, da die Verwandten von Samson Wertheimers den Ort verließen, um sich in den habsburgischen Erblanden oder in Frankfurt niederzulassen, oder in einheimische Familien einheirateten. Zu diesem Zeitpunkt zeigten sich auch in der schwarzenbergischen Beamtenschaft erstmals antijüdische Ressentiments.   

1806 fiel Marktbreit mit der Herrschaft Schwarzenberg an das neue Königreich Bayern und verlor das Bezirksrabbinat. Zu diesem Zeitpunkt gehörten zur jüdischen Gemeinde elf Haushalte. 1817 sahen die Matrikellisten für Marktbreit, das 1819 zur Stadt erhoben wurde, 13 Stellen für jüdische Familienoberhäupter vor, die vor allem als Kaufleute tätig waren.

Nachdem die Zahl der Juden in Marktbreit bis 1837 auf rund 70 Personen gesunken war, stieg der jüdische Bevölkerungsanteil in der Stadt als Folge der Aufhebung der bayerischen Matrikelgesetzgebung und der im Vergleich mit den Dörfern besseren Infrastruktur im Zeitraum bis 1867 mit 172 Personen auf 8 Prozent, 1880 mit 246 Personen auf 10,2 Prozent und 1890 mit 320 Personen auf 13,4 Prozent. Die Kultusgemeinde wurde dem Bezirksrabbinat Würzburg (bzw. zunächst Heidingsfeld), später Kitzingen (bzw. zunächst Marktsteft, dann Mainbernheim) unterstellt. Die Verstorbenen fanden in Rödelsee ihre letzte Ruhe.

In der Schule, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts Teil des Synagogenkomplexes war, wirkte ein Religionslehrer zugleich auch als Kantor. Von 1864 bis 1900 unterrichtete Isaak Regensburger in Marktbreit, der 1872 auch ein Erziehungs- und Unterrichtsinstitut für Mädchen gründete, das allerdings nur bis 1877 existierte. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machten eine private jüdische Erziehungsanstalt Marktbreit zu einem wichtigen Bildungszentrum, das bis in die Habsburgermonarchie ausstrahlte: Bereits 1846 hatte Salomon Wohl ein pädagogisches, strikt orthodoxes Institut gegründet, das außer kaufmännischem Wissen auch neue Sprachen, darunter Italienisch und Ungarisch, vermittelte. Da nicht nur jüdische Schüler das Institut besuchten, wurde dort auch protestantischer und katholischer Religionsunterricht erteilt. 1872 gab Wohl die Leitung des Instituts an Josef Damm ab, der die Schule in einen Neubau verlegte.

Eine "Bruderschaft für das Tun der Güte" gab es seit 1865. Die Mitglieder verpflichteten sich, unter anderem jeden Sabbat nach dem Morgengottesdienst gemeinsam die Tora zu lesen und Frömmigkeit mit aktiver Nächstenliebe zu verbinden. Seit 1878 bestand der "Israelitische Frauenverein Marktbreit", dessen Mitglieder Kranke besuchten und wohltätige Zwecke unterstützten. Außerdem sorgten sie für die kultische Waschung der verstorbenen jüdischen Mädchen und Frauen und bildeten das weibliche Pendant zur bereits im 18. Jahrhundert gegründeten Bestattungsbruderschaft der Männer (Chevra Kadischa). Bald nach der Gründung des Frauenvereins traf sich in der Marktbreiter Lehrerwohnung regelmäßig am Dienstagabend eine Gruppe von Männern, die sich für die Auslegung von Tora und Talmud interessierten. Zur dieser "Dienstagsrunde", die bis in die 1930er Jahre fortbestand, gehörten unter anderem der langjährige Gemeindevorsteher Salomon Weinberg und Lehrer wie Isaak Regensburger und Simon Brückheimer, aber auch der Weinhändler Louis Rosenfeld.

Nach 1900 sank der jüdische Bevölkerungsanteil in Marktbreit auf 9,1 Prozent mit 213 Personen im Jahr 1910. Auf Religionslehrer Isaak Regensburger folgte 1900 Hermann Strauß und 1911 Simon Brückheimer, der fast 40 Jahre in der Gemeinde wirkte und 1939 aus Deutschland nach London flüchtete. Religionsunterricht erteilte auch Sigmund Pollack, der seit etwa 1900 bis zu seinem Tod 1934 auch als Synagogendiener fungierte.  

1906 und 1911 wurden die durch die jüdische Landflucht stark geschrumpften Kultusgemeinden Marktsteft und Obernbreit mit der Kultusgemeinde Marktbreit vereint.

Dem Ersten Weltkrieg fielen aus Marktbreit sechs Juden zum Opfer, die auch auf dem Kriegerdenkmal der Stadt vor der Stadtpfarrkirche und dem Kriegerdenkmal der jüdischen Gemeinde genannt werden, das heute an der Außenmauer der ehemaligen Synagoge angebracht ist. Die Integration der Juden in Marktbreit zeigte sich auch darin, dass Juden an den Trauerfeiern für christliche Gefallene und Christen an den Gebeten für jüdische Kriegsopfer teilnahmen.

In den ersten Jahren der Weimarer Republik entwickelte sich Marktbreit, wo antisemitische Agitatoren wie der Zahnarzt und spätere Gauleiter von Mainfranken Otto Hellmuth und die Hetzrednerin Andrea Ellendt auftraten, zu einem Zentrum der völkischen Bewegung. Nachdem sich die wirtschaftliche Lage in den 1920er Jahren etwas konsolidiert hatte, ging der Einfluss der Antisemiten in Marktbreit für einige Jahre zurück. Seit den 1920er Jahren existierte in Marktbreit eine Ortsgruppe des den zunehmenden Antisemitismus bekämpfenden "Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens". 

In den 1920er Jahren schrumpfte die Zahl der Marktbreiter Juden, die zu dieser Zeit hauptsächlich vom Kleinhandel lebten, so dass 1924 nurmehr 135 Personen und damit 5,6 Prozent der Gesamtbevölkerung der jüdischen Gemeinde angehörten. In diesem Jahr besuchten zehn Kinder die 1920 umgebaute Israelitische Volksschule in Marktbreit. Rund zehn Jahre später, im Schuljahr 1932/1933, wurden an der Israelitischen Volksschule 20 jüdische Kinder unterrichtet. 1932 wurde die ebenfalls reduzierte israelitische Kultusgemeinde Gnodstadt mit Marktbreit vereinigt. 

Zu Beginn der NS-Zeit lebten noch 127 Juden in Marktbreit, die auch in den folgenden Jahren ihre Traditionen pflegten. An der Israelitischen Volksschule wurden im Schuljahr 1937/1938 noch 15 Kinder unterrichtet. 1938 war die Zahl der in Marktbreit lebenden Juden auf 64 Personen in 21 Haushalten gesunken. Während des Novemberpogroms am 10. und 11. November 1938 wurde auch die jüdische Schule geplündert, deren Inventar zum Teil verbrannt wurde. Sechs jüdische Marktbreiter wurden in das Konzentrationslager Dachau gebracht. In der Nacht zum 11. November demolierten vermummte Marktbreiter Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten zahlreiche jüdische Wohnungen. Insgesamt fielen 85 jüdische Marktbreiterinnen und Marktbreiter von 1941 bis 1944 der Shoah zum Opfer. Das Marktbreiter Novemberpogrom blieb juristisch ungesühnt, da 1950 am Landgericht Würzburg ein Prozess zwar mit der Verurteilung eines der drei Angeklagten geendet hatte, das Urteil aber 1951 vom Oberlandesgericht Bamberg aufgehoben wurde.

Mehr als drei Jahrzehnte später machte der Marktbreiter SPD-Ortsverein 1988 mit der Johann-Kirchner-Bildungsstätte der Arbeiterwohlfahrt durch eine Broschüre auf den Marktbreiter Novemberpogrom aufmerksam. Eine 2008 von dem Marktbreiter Walter Gresser gestiftete bronzene Gedenktafel für die Marktbreiter Opfer der Shoa wurde gegen den Willen des Stifters nicht am Rathaus, sondern im Höfchen der Synagoge angebracht. Die Kommune beteiligt sich am Projekt DenkOrt Deportationen mit zwei Gepäckstücken: Eines erweitert das zentrale Mahnmal auf dem Würzburger Bahnhofsplatz, das Gegenstück erinnert vor Ort an der Bahnhofstraße an die deportierten Opfer der Shoah.


(Stefan W. Römmelt)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Hans Schlumberger / Hans-Christof Haas: Marktbreit mit Gnodstadt, Marktsteft, Obernbreit und Segnitz. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.2. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1158-1240.
  • Pomerance, Aubrey: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken. In: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken. München 2012, S. 95-113.
  • Margit Ksoll: Abraham Rost, Hoffaktor. In: Haus der Bayerischen Geschichte / Manfred Treml / Wolf Weigand (Hg.): : Geschichte und Kultur der Juden in Bayern: Lebensläufe. München 1988 (= Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 18), S. 49-52.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt/Main 1937, S. 123-130.