Jüdisches Leben
in Bayern

Mainstockheim Gemeinde

1535 ist mit einem von dem Markgrafen von Brandenburg-Ansbach ausgestellten Schutzbrief für den Juden Seligmann und seinen Sohn Nathan erstmals ein Jude in Mainstockheim urkundlich belegt. Vor Beginn des Dreißigjährigen Kriegs waren zwei Juden im Dorf ansässig. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts teilten sich mehrere Herren die Dorfherrschaft in Mainstockheim: Die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, die Äbte von Kloster Ebrach und die Reichsritter Fuchs von Neidenfels. Weitere Vogteirechte übten auch die Adelsfamilien von Crailsheim und Fuchs, die Würzburger Kommende des Deutschen Ordens, die Pfarrei Willanzheim, das Hochstift Würzburg und die Gemeinde Mainstockheim aus. Dass es gelegentlich zu Konflikten zwischen den Dorfherren kam, zeigt das Beispiel des Juden Götz, der 1680 aus dem Schutz der Fuchs von Dornheim in den Schutz der Markgrafen von Ansbach wechseln wollte.

Um 1700 war die anfangs kleine Gemeinde bereits beträchtlich gewachsen, da 1699 insgesamt 68 Personen – 13 Ehepaare, zwei Witwen, 38 Kinder und zwei Mägde – zu den Schutzjuden der Fuchs von Dornheim gehörten.1727 übernahmen die Freiherren von Mauchenheim, genannt von Bechtolsheim nach dem Aussterben der Fuchs von Dornheim auch deren Mainstockheimer Besitzungen und die dazu gehörigen Schutzjuden. 1739 zahlten 22 jüdische Männer den Freiherren von Mauchenheim Schutzgeld. Zu ihnen gehörte auch der Toraschreiber Joseph, wohl ein besonders gebildeter Mann mit ausgezeichnetem Leumund. Ein Lehrer wird zwar nicht erwähnt, war aber aufgrund der Gemeindegröße wohl in Mainstockheim tätig. Deutlich niedriger fiel die Zahl der markgräflichen Schutzjuden aus: 1729 sind zwei, 1757 fünf und 1801 fünf Ansbacher Schutzjuden nachweisbar. In der Mitte des 18. Jahrhunderts wuchs die Zahl der Mainstockheimer Juden erneut, nachdem sich 1753 drei Familien aus Mainsondheim und 1762/63 zahlreiche Kitzinger Juden in Mainstockheim niedergelassen hatten.  

Im Jahr 1808 unterrichtete der Mainstockheimer jüdische Lehrer 25 Kinder in seiner Wohnung im Synagogengebäude in Religion und Lesen und Schreiben der deutschen und hebräischen Sprache. Seine geräumigen Lehrerwohnung diente auch als Gemeindeherberge bzw. Hospital, in dem durchreisende Juden übernachten konnten. In den ersten zwei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts konnte von einem geordneten Schulunterricht jedoch kaum die Rede sein, da der Vorsänger und Lehrer Samuel Hayum für den Unterricht nicht qualifiziert war. Eine Übergangslösung wurde 1817 eingeführt, als der noch immer nicht staatlich geprüfte und bereits 44-jährige Hayum nur den elementaren Religionsunterricht erteilte und der evangelische Mainstockheimer Schulmeister die Fächer Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtete. Endgültig geordnet wurde das jüdische Schulwesen in Mainstockheim mit dem zunächst provisorischen Dienstantritt des Schuldienstaspiranten Daniel Kohn am 14. April 1822, auf den 1827 Michael Adler folgte. Um das Jahr 1829 lebten in Mainstockheim rund 200 Juden. Das Projekt der Gemeinden Bibergau, Dettelbach, Großlangheim, Kleinlangheim, Hohenfeld, Segnitz, Sickershausen und Sommerach, einen gemeinsamen Rabbiner mit Dienstsitz in Mainstockheim anzustellen, wurde allerdings nicht umgesetzt. Die Verstorbenen fanden auf dem Verbandsfriedhof in Rödelsee beigesetzt.

Für 1833 ist in Mainstockheim ein Schulhaus nachgewiesen, in dem außer dem 10 Quadratmeter großen Klassenzimmer auch die Lehrerwohnung, die Synagoge und die Mikwe untergebracht waren. 1836 wurde das neue Schulhaus eingeweiht, in das auch die Synagoge integriert war. Nach Adlers Wechsel an die Heidingsfelder Schule übernahm Hermann Stern 1837 den Unterricht in Mainstockheim, wurde aber bereits 1842 wegen angeblich irreligiösen Lebenswandels entlassen. Sterns Nachfolger wurde der Würzburger Universitätsabsolvent und Rabbinatskandidat Samuel Weil, der den jüdischen Kindern 40 Jahre Religionsunterricht erteilte und 1883 starb. Die Zahl der jüdischen Schüler blieb bis in die 1860er Jahre konstant. 1869 lebten insgesamt 203 Juden in Mainstockheim, von denen 13 schulpflichtige Kinder waren.

Mit Abraham Hirsch kam 1871 kurzfristig eine herausragende Lehrerpersönlichkeit nach Mainstockheim, der bereits 1864 in Miltenberg eine Erziehungs- und Unterrichtsanstalt gegründet hatte, die auf den Besuch der Israelitischen Lehrerbildungsanstalt in Würzburg vorbereiten sollte. Auf dem Lehrplan des neuen Mainstockheimer Instituts standen Studien in Pentateuch, Talmud und hebräischer Sprache, in deutscher Sprache, Geographie, Geschichte, Kalligraphie, Naturwissenschaften, Rechnen, Lesen, Französisch, Zeichnen, Grammatik und Gesang. Der Lehrplan des Unterrichts für die Fortgeschrittenen war um Algebra, Geometrie und französische Konversation erweitert. 1874 verlegte Hirsch das Institut nach Burgpreppach, wo es bis 1938 existierte.

Da 1923 nur noch drei Kinder die jüdische Volksschule in Mainstockheim besuchten, löste die Regierung von Unterfranken die Schule, die 1907 aus der Synagoge in ein eigenes Schulhaus mit Hausmeisterwohnung umgezogen war, am 1. Februar 1923 auf. 1925 nahm Hauptlehrer Siegbert Friedmann noch einmal den Unterricht in der jüdischen Volksschule auf. Dort unterrichtete er die Mainstockheimer Kinder bis zur Auflösung der Volksschule nach dem Novemberpogrom 1938. Anschließend war er noch bis zur Deportation 1942 als Lehrer der jüdischen Schulkinder aus Kitzingen, Marktbreit und Mainstockheim tätig.  

Um 1900 bestimmte die Tradition das Leben der Juden in Mainstockheim. Die Heiligung des Schabbats sorgte dafür, dass kein jüdischer Mainstockheimer eine Hausglocke zog oder eine Last trug. Verheiratete Jüdinnen trugen eine Perücke, und die jüdischen Männer legten auch im Haus ihre Kippa nicht ab. Im Mainstockheimer Café Spiegel waren zwei getrennte Spülbecken installiert, und Eruvdrähte machten den Ort symbolisch zu einem Anwesen.

Zahlreiche jüdische Vereine wie die bereits 1840 gegründete Chevrat Bachurim zur Unterstützung Hilfsbedürftiger, die Israelitische Wohltätigkeitsstiftung und die Chevra Kaddischa der jüdischen Männer und Frauen für ein würdiges Begräbnis spielten eine wichtige Rolle im Leben der jüdischen Gemeinde. Die jüdischen Mainstockheimer beteiligten sich auch am Dorfleben: Beispielsweise spielte Max Stern in der Mannschaft des 1. FC Mainstockheim mit, und Siegfried Rindsberg war lange Vorstand des Mainstockheimer Fußballclubs. Auf jüdische Initiative gingen auch wichtige Verbesserung in der Mainstockheimer Infrastruktur wie die Apotheke, der Anschluss an die Eisenbahn, eine Wasserleitung und die Pflasterung der Straßen zurück. 

Das Zusammenleben zwischen jüdischen und nichtjüdischen Mainstockheimern wurde bereits im Oktober 1933 erschwert, als der Bürgermeister Juden, die nicht aus Mainstockheim stammten, den Zugang zum Ort verbot. 1934 forderten im Ort Plakate die ortsansässigen Juden auf, Mainstockheim zu verlassen. Die 100-Jahrfeier der Synagoge im Dezember 1936 sollte das letzte Fest dieser Art in Mainstockheim sein.

Knapp zwei Jahre danach, am 10. November 1938, wurden bei einem Pogrom mindestens elf jüdische Männer verhaftet und nach Kitzingen gebracht. 70 Mainstockheimer fielen dem Nationalsozialismus zum Opfer. 1942 wurden 29 Mainstockheimer nach Iibica deportierte und dort vermutlich getötet. Zu den jüngsten Opfern aus Mainstockheim gehört Judith Stiefel, die 1943 im Alter von fünf Jahren mit ihrer Mutter und ihrer Schwester in Sobibor vergast wurde. 

Den Holocaust überlebte Werner Rindsberg, dem es gelang, über Belgien und Frankreich in die USA zu fliehen. Als Mitglied der US-Armee kehrte er nach Deutschland zurück und interviewte deutsche Kriegsgefangene für den Military Intelligence Service. Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrte Rindsberg mehrmals nach Mainstockheim zurück. 2011 verlegte der Künstler Gunter Demnig (*1947) vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Rindsberg vier Stolpersteine. 


(Stefan W. Römmelt)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Hans Schlumberger / Cornelia Berger-Dittscheid: Mainstockheim. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.2. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1137-1157.
  • Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns (Hg.) / Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.): Mehr als Steine. Synagogen in Unterfranken. Eine Ausstellung des Staatsarchivs Würzburg in Kooperation mit dem Team des Synagogen-Gedenkbands Bayern und dem Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. München 2021 (= Staatliche Archive Bayerns - Kleine Ausstellungen 68), S. 113f.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt am Main 1937, S. 164-166.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 228.