Jüdisches Leben
in Bayern

Lülsfeld Gemeinde

Im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts waren die in Lülsfeld ansässigen Juden als Vermittler im Handel mit Grundstücken tätig. Mit Jakob von Lülsfeld ist 1570 erstmals ein Jude in Lülsfeld nachweisbar. In diesem Jahr verfasste Jakob mit Jonas von Rimbach zwei an den Würzburger Fürstbischof Friedrich von Wirsberg und Kaiser Maximilian II. gerichtete Beschwerden gegen Ritualmordvorwürfe, die gegen zwei aus dem Hohenlohischen stammende Juden erhoben wurden.

Nach 1579 war der Jude Wolf für einen Weinberg im Nachbardorf Rimbach dem Zollner von der Hallburg jährlich den Zehnten, drei Denar Silberpfennnig und ein Fasnachtshuhn schuldig. Er ist möglicherweise identisch mit „Wolff Jüden“, der 1584 südöstlich von Lülsfeld einen Acker als Lehen erhielt. Wahrscheinlich dieselbe Person war auch 1601 als Vermittler beim Verkauf eines bei Lülsfeld gelegenen Felds tätig, für das jährlich ein Fasnachtshuhn an den Lehensherrn zu entrichten war. 1594 erwähnte Ursula Zollner von der Hallburg in einem Brief an Katharina von Oberstein den Lülsfelder Juden Schlemmer als Schutzjuden, dem Haft drohte, da er seine Schulden nicht begleichen konnte. Zwei Jahre später beglich der Lülsfelder Jude Joseph 1596 die Haftkosten für einen im Hanauer Raum eingekerkerten Schutzjuden der Herren von Erthal.  

Zwischen 1601 und etwa 1620 tauchen im „Zins- und Gültbuch“ des Hans Friedrich Zollner von der Hallburg zahlreiche Juden aus Lülsfeld als Besitzer von Grundstücken auf. Mehrmals erwähnt wird in diesem Zusammenhang Beritz, der 1608 Zins für zwei Rimbacher Äcker bezahlte und im selben Jahr zwei ebenfalls in Rimbach gelegene Weinberge erhielt, für die er den Zehnt zu entrichten hatte. Vermutlich handelte Beritz auch mit Grundstücken. Seit 1595 besuchte Beritz laut einem Schreiben des Schultheißen von Fellen bei Burgsinn vom 17. April 1604 auch die Frankfurter Messe. Darin teilte der Schultheiß mit, dass er Beritz mit mehreren anderen jüdischen Händlern auf der Rückkehr von der Frankfurter Messe am 14. April 1604 im Feller Grund festgenommen hatte. Da die Händler den Feller Grund passieren wollten, ohne Geleitgeld zu zahlen, verlangte der Schultheiß 200 Gulden Strafe. Beritz und seine Kollegen entschuldigten sich in einem Bittschreiben an den Kurfürst von Mainz mit der Begründung, sie seien nicht über das anfallende Geleitgeld informiert gewesen. Den fälligen Zoll würden sie zwar zahlen, aber das Bußgeld könnten sie nicht begleichen. Der Ausgang des Vorgangs ließ sich bisher nicht klären. 

Zu den im „Zins- und Gültbuch“ genannten Grundstücksbesitzern gehörten auch die Lülsfelder Juden Hirsch mit einem Weinberg, Feustlein und Michael mit jeweils einem Acker, Löb mit einem Haus und einem Acker, Jacob mit einem Kirchhofgaden und Isaak mit einem Haus mit Acker. Das „heußlein“ der Juden Mosch und Jacob gehörte zu den Lehen der Fuchs von Dornheim zu Wiesentheid. 1635 erwähnt ein wahrscheinlich nur die würzburgischen Schutzjuden aufführendes Verzeichnis die Lülsfelder Leo und Jacob. Rund 60 Jahre später wohnten in Lülsfeld 1699 vier jüdische Familien mit insgesamt vier Männern, vier Frauen, neun Kindern und drei Dienstboten. Je zwei jüdische Familien gehörten zu den Schutzjuden der Grafen Schönborn von Wiesentheid, die die Nachfolge der Fuchs von Dornheim angetreten hatten, und den Schutzjuden der Herren von Reinach. Im 18. Jahrhundert wuchs die Zahl der in Lülsfeld ansässigen jüdischen Familien stetig: Während 1720 fünf Schutzjuden genannt werden, die als Händler in der Umgebung von Gerolzhofen und den würzburgischen Ämtern Volkach und Oberschwarzach tätig waren, lebten 1738 bereits neun jüdische Familien mit 59 Personen im Dorf. Zu diesem Zeitpunkt gehörten sechs Familien zu den Schutzjuden der Herren von Reinach, drei Familien unterstanden dem Schutz der Grafen von Schönborn.

In der Mitte des 18. Jahrhunderts war die Zahl der in Lülsfeld lebenden Schutzjuden erneut gewachsen. Von den elf im Dorf wohnenden Schutzjuden gehörten acht zu den Schutzjuden des Barons von Wolffskeel, seit 1738 Nachfolger der Herren von Reinach, und drei zu den Schutzjuden der Grafen von Schönborn. Die rechtliche Stellung der Schönbornschen Schutzjuden in Lülsfeld regelte die am 5. Mai 1784 vom Amt Gaibach publizierte Judenordnung. Der Einfluss der Aufklärung zeigte sich im Versprechen, den Schönbornschen Schutzjuden dieselbe „Fürßorge und Gnade“ wie den christlichen Untertanen zukommen zu lassen. Voraussetzung für die Aufnahme als Schönbornscher Schutzjude war neben der Fähigkeit, Deutsch lesen und schreiben zu können, ein Vermögen in Höhe von 1000 Gulden oder die Ausübung eines Handwerks wie der Verarbeitung von Wolle und der Schafzucht. Finanziell entlastet wurden die Lülsfelder Juden durch die in der Judenordnung fixierte Abschaffung der Neujahrs- und Abzugsgelder und der Schächtungsgebühren und die Verringerung des jährlich zu entrichtenden Schutzgelds. Für die Unterstützung der bedürftigen Juden sollte der neue, von der jüdischen Gemeinde zu verwaltende Armenfond sorgen. Dessen Finanzierung unterstützte der Graf mit der Hälfte der von den Juden zu entrichtenden Schutzgelds.

1808 lebten in Lülsfeld laut einem Bericht des Landgerichts Gerolzhofen an die Schulkommission des Großherzogtums Würzburg 13 Schutzjuden. Deren Zahl war 1814 bereits auf 15 Familien mit 68 Personen gestiegen. Damit machten die Juden rund 20 Prozent der Lülsfelder Bevölkerung aus. Drei Jahre später gingen acht Haushaltsvorstände dem Ellenhandel und vier Familienväter dem Viehhandel nach.

Der Religionsunterricht für die jüdischen Schulkinder fand zu dieser Zeit im Wohnzimmer des Lehrers im jüdischen Schulhaus statt. Nachdem die Kreisregierung 1828 angeordnet hatte, im Landgericht Gerolzhofen Schulsprengel zu bilden, fasste das Landgericht die Lülsfelder und Brünnauer Religionsschule zu einem Schulbezirk zusammen. Nach längeren Auseinandersetzungen bildeten schließlich die drei Gemeinden Lülsfeld, Järkendorf und Rimbach 1837 einen Schulsprengel, der sich in den 1870er Jahren nach dem Ende der Kultusgemeinden Rimbach und Järkendorf auflöste. 1835 bestand die jüdische Gemeinde in Lülsfeld aus 13 Familien mit 71 Personen. Die meisten Familien lebten vom Not- und Hausierhandel und verfügten über kein Vermögen, sondern waren verschuldet und lebten vom Schmusen, Stricken und Lumpenhandel. Vier Jahre später war die jüdische Gemeinde in Lülsfeld bereits um ein Viertel geschrumpft.

Zum Konflikt mit dem Landgericht Gerolzhofen kam es 1849, als die Lülsfelder Juden, die seit 1840 zum Rabbinatsbezirk Niederwerrn und ab 1864 zum Rabbinatsbezirk Schweinfurt gehörten, trotz eines 1847 ausgesprochenen Verbots an den Eruvdrähten festhielten, die am Sabbat das Tragen in nicht von Mauern umgebenen Orten ermöglichten. Am 29. Dezember 1850, gab das bayerische Staatsministerium des Innen, das für Kirchen- und Schulangelegenheiten zuständig war, der Beschwerde der Lülsfelder und Altenschönbacher Juden vom September 1849 statt und hob das vom Landgericht Gerolzhofen ausgesprochene Verbot der Eruvdrähte auf.  

 Nach der Aufhebung der bayerischen Matrikelgesetzgebung 1861 schrumpfte die jüdische Gemeinde Lülsfeld in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich und zählte 1894 33 Mitglieder. Ein Ziel der Abwanderung war die Kreisstadt Gerolzhofen, wo sich Abraham Prölsdorfer, Hirsch Haas, Hermann Kohn, Moses Pfeifer und Jakob Rheinfelder mit ihren Familien niedergelassen hatten.

Im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts bestand die jüdische Gemeinde Lülsfeld nur noch aus vier Familien. Dennoch hielt sie an ihrer Selbständigkeit fest und beantragte 1912 einen Staatszuschuss, um die Lülsfelder Synagoge renovieren zu können.

Auch in der Weimarer Republik blieb die Israelitische Kultusgemeinde Lülsfeld selbstständig und teilte sich bis 1927 mit der Kultusgemeinde Frankenwinheim den Lehrer, Kantor und Schächter. 1930 wohnten in Lülsfeld noch drei jüdische Familien, die vom Viehhandel und dem Handel mit Lebensmitteln, Haushaltswaren und technischen Geräten lebten.

Vor Mai 1938 wanderte der Lülsfelder Sally Kohn über Amsterdam nach New York aus. Zur Zeit des Novemberpogroms wohnten noch die zwei jüdischen Familien Kohn und Münz mit insgesamt neun Personen in Lülsfeld, die am 10. November 1938 von SA-Leuten aus Gerolzhofen und Volkach misshandelt wurden. Nachdem Adolf Kohn, seine Tochter Erna und Siegfried Münz mit dem Lkw nach Frankenwinheim gebracht worden waren, mussten sie die demolierte Inneneinrichtung der dortigen Synagoge auf einen in der Ortsmitte errichteten Scheiterhaufen tragen.

Während Adolf Kohns Sohn Alfred 1942 in den Niederlanden verhaftet wurde und am 31. März 1944 in Auschwitz starb, wurden seine Eltern und seine Schwester am 23. April 1942 nach Würzburg transportiert und von dort am 25. April in das Durchgangslager Krasniczyn deportiert. Siegfried Münz wurde mit seiner Frau Else und der gemeinsamen Tochter Lilli wahrscheinlich am 11. Juni 1942 von Frankfurt am Main in ein Durchgangslager im Bezirk Lublin deportiert und dort wahrscheinlich getötet. 

Insgesamt fielen mindestens 17 in Lülsfeld geborene und zeitweise in dem Dorf lebende Juden der Shoa zum Opfer.

Bei den Prozessen, die 1949 und 1950 vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Schweinfurt stattfanden, um die Novemberpogrome im Landkreis Gerolzhofen aufzuklären, wurden der ehemalige Obersturmbannführer Alexander Haupt zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis und fünf weitere Männer zu Gefängnisstrafen von neun Monaten bis zu einem Jahr und neun Monaten verurteilt.

2019 besuchte Harold Kohn, ein Urenkel von Abraham Löb Kohn, auch Lülsfeld. Dort ließ er sich das Wohn- und Geschäftshaus seines Urgroßvaters zeigen, in dem auch sein Großonkel Adolf Kohn bis zur Deportation gelebt hatte.

An die ehemaligen jüdischen Lülsfelder erinnert ein Gedenkstein im Vorgarten des Rathauses.  


(Stefan W. Römmelt)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Berger-Dittscheid, Cornelia: Lülsfeld, in: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hrsg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/2: Unterfranken Teilband 2.2. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries, Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1390-1408