Jüdisches Leben
in Bayern

Lichtenfels Gemeinde

Man darf davon ausgehen, dass hier bereits seit Gründung des Marktes Lichtenfels, der sich zu Füßen der gleichnamigen Burg ab Anfang des 13. Jh. entwickelte, jüdische Händler ansässig waren. Der erste schriftliche Nachweis ihrer Existenz liegt aus dem Jahr 1268 vor. Beim Verkauf der Burg an den Bamberger Bischof legte der damalige Besitzer Graf Hermann von Henneberg fest, welcher Teil der Kaufsumme zum Begleichen seiner Schulden an die Lichtenfelser Juden zu bezahlen ist. Etwas später wurde in dem seit 1296 geführten Nürnberger Memorbuch ein Lichtenfelser Jude verzeichnet, der 1298 beim Rintfleischpogrom ums Leben kam. Es handelte sich um den junge Lehrer Lemlin, Sohn des Rabbi Baruchs. In den folgenden Jahrhunderten sind nur vereinzelt Israeliten im Ort nachweisbar: 1403 gibt es Nachrichten über zwei, 1450 über fünf ansässige Juden; im 16. Jh. ist nur selten von einzelnen Juden die Rede. Die meisten von ihnen standen unter dem Schutz des Bamberger Fürstbischofs. In der Zeitspanne zwischen 1600 und dem letzten Drittel des 17. Jh. scheint es überhaupt keine jüdischen Einwohner gegeben zu haben. 

Mit Isaias von Horb am Main, der 1677 einen Schutzbrief von Fürstbischof Philipp Valentin Voit von Rieneck erhielt, setzt wieder ein Zuzug von Juden nach Lichtenfels ein, der trotz schwieriger Umstände und Feindseligkeiten anhielt. Der Magistrat versuchte immer wieder, die Anzahl der Juden in der Stadt zu beschränken und ihnen ausgewiesene Wohngebiete in abgelegenen Ortsteilen zuzuweisen. Auch die antisemitischen Krawalle in der Region Lichtenfels im Jahr 1699 schreckten jüdische Neubürger nicht dauerhaft ab. Vor allem Israeliten aus dem Osten, die aufgrund der Verfolgungen in ihrer Heimat ausgewandert waren, suchten hier Zuflucht. 1746 gab es sieben jüdische Familien in Lichtenfels; 1790 hatte sich ihre Zahl auf 79 Personen erhöht. Die meisten der Israeliten arbeiteten als Händler und mussten sich ihren Lebensunterhalt schwer erkämpfen. Zur Bestattung ihrer Toten nutzten sie seit 1737 den jüdischen Distriktfriedhof in Burgkunstadt.

 

Mit der Angliederung eines Großteils von Franken an Bayern im Jahr 1803 verbesserte sich die wirtschaftliche Situation der Juden im Hochstift Bamberg, das nun auch bayerisch geworden war. In der Folgezeit fielen die Zollschranken weg und das potentielle Erwerbsgebiet für Kaufleute und Händler erweiterte sich dadurch beträchtlich. Die jüdische Gemeinde in Lichtenfels erreichte 1812 mit 155 Personen ihren Höchststand. Sie wurde 1825 dem neu gegründeten Distriktsrabbinat Redwitz zugeteilt. Bei dem dort amtierenden Rabbiner Moses Gutmann handelte es sich um den ersten akademisch ausgebildeten jüdischen Geistlichen im Königreich Bayern. Er war, wie sein Kollege in Burgkunstadt, ein Anhänger der jüdischen Reformbewegung. Nach dem Tod von Gutmann im Jahr 1862 wurde sein Rabbinat jedoch wieder aufgelöst und die Lichtenfelser Gemeinde fiel unter die Aufsicht des Rabbiners in Burgkunstadt.

1826/27 hat man in Lichtenfels im Gemeindehaus in der Badstraße (heute Judengasse 14) eine jüdische Schule eröffnet. Sie lag direkt neben der Synagoge (Judengasse 12). Im weiteren Verlauf des 19. Jh. sank die Mitgliederzahl der Gemeinde erst beträchtlich, stieg jedoch nach dem erfolgten Eisenbahnanschluss von Lichtenfels im Jahr 1846 auch wieder an. Zahlreiche Juden aus dem Umland zogen nun in die Stadt. Viele von ihnen fanden Arbeit in der Korbherstellung und dem Korbhandel, der damals durch den Zuzug der Unternehmerfamilien Pauson und Zinn aus Redwitz und der Familie Bamberger aus Mitwitz großen Aufschwung nahm.

1910 hatte sich der jüdische Bevölkerungsanteil in Lichtenfels auf 80 Personen verringert. Schon seit Anfang des 20. Jh. gab es im der Stadt keine eigene jüdische Schule mehr, nur noch einen israelitischen Konfessionsunterricht, der im städtischen Schulhaus abgehalten wurde. Ihn besuchten vier Kinder. In das Gemeindehaus (Judengasse 14; nach 1945 abgerissen), dem ehemaligen Sitz der jüdischen Schule, zogen jüdische Familien ein. Die jüdischen Mitbürger lebten jedoch in sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen und genossen großes Ansehen. Lichtenfels hatte sich dank der weitreichenden Kontakte der jüdischen Fabrikanten zum Zentrum der deutschen Korbindustrie entwickelt. Die jüdischen Korbhandelsfirmen Bamberger, Brüll & Kohn, Gosser, Pauson und Zinn boten vielen Arbeitern eine Dauerbeschäftigung und machten den Ort international bekannt. Bis in die 1930er Jahre war die Lichtenfelser Judenschaft mit rund 70 Mitgliedern die größte Kultusgemeinde am Obermain. Neben den Juden in der Stadt gehörten noch acht Israeliten aus Seubelsdorf und 18 aus Oberlangenstadt zu der Gemeinschaft. Seit der Auflösung des Bezirksrabbinats Burgkunstadt 1914 war sie dem Rabbinat in Bayreuth zugeordnet. 

Ein antisemitischer Vorfall ereignete sich bereits 1918, als dreizehn Grabsteine auf dem seit Mitte des 19. Jh. bestehenden jüdischen Friedhof in Lichtenfels umgeworfen wurden; 1930 wurde er erneut geschändet. Nach der NS-Machtübernahme wurden die jüdischen Mitbürger nach und nach aus dem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben ausgeschlossen. Am 1. April 1933 rief die NSDAP-Ortsgruppe bei einer Kundgebung vor rund 600 Zuhörern in Lichtenfels zum Boykott jüdischer Geschäfte auf. Ab Oktober 1935 waren die jüdische Händler nicht mehr zu den Märkten der Stadt zugelassen. Bis 1940 wanderten 44 jüdische Bürger aus; sie suchten vor allem in den USA und in Großbritannien Zuflucht.

In der Reichspogromnacht (9./.10.11.1938) wurde unter Führung des damaligen Bürgermeisters durch die NSDAP-Ortsgruppe und weitere NS-Mitläufer die Synagoge verwüstet, die Wohnungen und Geschäftsräume der jüdischen Mitbürger aufgebrochen, ausgeraubt und demoliert. Den Plünderungen fielen wertvolle Gemälde und Wertgegenstände der Kaufmannsfamilie Bamberger und die historische Korbsammlung des Kommerzienrats Philipp Zinn zum Opfer. Die jüdischen Bewohner wurden bedroht, gedemütigt und schwer misshandelt. Als Folge dieser Gewaltaktion starben zwei Mitglieder der jüdischen Gemeinde. Am folgenden Tag wurden alle jüdischen Familienväter verhaftet und ins Amtsgerichtsgefängnis gebracht. Von hier sollten sie in das KZ Dachau eingeliefert werden; doch wegen Überfüllung des Lagers wurde der Häftlingstransport ins Gefängnis nach Hof umgeleitet. Erst nach drei bis vier Wochen hat man sie wieder frei gelassen.

In den folgenden Monaten mussten die jüdischen Lichtenfelser ihre Häuser und Grundstücke zwangsweise zu Spottpreisen verkaufen. Ihre Firmen wurden „arisiert“. Damit hat das NS-Regime auch die Blüte der Korbwarenindustrie in der Stadt gewaltsam beendet. Im Frühjahr 1940 mussten alle Lichtenfelser und Seubelsdorfer Juden, die noch vor Ort waren, in das Gemeindehaus (Judengasse 14) umziehen. Der jüdische Friedhof wurde geschlossen; die Friedhofsmauer hat man abgetragen und die Steine zum Straßenbau verwendet. 1942 wurden die letzten Lichtenfelser Juden in zwei Transporten in Vernichtungslager deportiert und ermordet. Eine einzige Lichtenfelser Jüdin, die mit einem Christen verheiratet war, überlebte den Holocaust.

Nach dem 2. Weltkrieg erklärte sich die Stadt Lichtenfels bereit, den jüdischen Friedhof zu restaurieren. Damals war jedoch nur noch eine geringe Anzahl an Grabsteinen erhalten. 1952 hat man hier ein Denkmal für die 25 jüdischen Lichtenfelser errichtet, die während des NS-Regimes ermordet wurden. In der Fußgängerzone wurde 1993 der „Schulbrunnen“ aufgestellt und mit folgender Inschrift versehen: „Zur steten Mahnung an die Verbrechen der Pogromnacht vom 09. und 10.11.1938 und das Unrecht gegenüber ihren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Dritten Reich benennt die Stadt Lichtenfels diesen Brunnen nach der damals im gegenüberliegenden Anwesen Judengasse 14 befindlichen israelitischen Volksschule.“

 

(Christine Riedl-Valder)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Hager, Angela / Haas, Hans-Christof: Lichtenfels, in: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hrsg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern, Schwaben. Erarbeitet von Barbara Eberhardt und Angela Hager unter Mitarbeit von Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Frank Purrmann. Lindenberg i. Allgäu 2007, S. 193-200
  • Hans-Peter Süss, Jüdische Archäologie im nördlichen Bayern. Franken und Oberfranken, in: Arbeiten zur Archäologie Süddeutschlands Band 25, Büchenbach 2010, S. 83 – 85
  • Bamberger, Claude: Aus der Geschichte der Familie Bamberger: Kindheitserinnerungen an Lichtenfels, Lichtenfels 2005
  • Gesellschaft für Familienforschung in Franken / Staatliche Archive Bayerns (Hg.): Staatsarchiv Bamberg - Die 'Judenmatrikel' 1824-1861 für Oberfranken (gff digital, Reihe A: Digitalisierte Quellen, 2 = Staatliche Archive Bayerns, Digitale Medien, 4), Nürnberg 2017