Jüdisches Leben
in Bayern

Leutershausen Gemeinde

Die kleine Stadt Leutershausen unterstand bis zum Reichsdeputationshauptschluss 1803 den Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, die in den Mauern ein Stadtvogteiamt unterhielten. Eine Eidformel aus dem Jahr 1469 belegt die etablierte Ansiedelung jüdischer Einwohner. Vereinzelte Notizen in den Archivalien zeugen davon, dass ihnen bis in die 1530er Jahre der befristete Aufenthalt genehmigt wurde. Danach erschwerten verschiedene Ausschaffungsmandate einen längerfristigen Aufenthalt. Erst in der Ägide von Markgraf Joachim Ernst (reg. 1603-1625) verbesserten sich die rechtliche Stellung und einigen Familien konnten sich als Schutzjuden dauerhaft in Leutershausen niederlassen. Mehrere Brandschatzungen im Dreißigjährigen Krieg trafen den ganzen Ort sehr hart, 1659 gab es nur noch fünf jüdische Haushalte. In der Folgezeit siedelten die Markgrafen verstärkt Juden und protestantische Glaubensflüchtlinge aus Österreich zur Hebung der Wirtschaft an. Die wachsende jüdische Gemeinde stieß bei der christlichen Bevölkerung auf wenig Gegenliebe. Davon zeugt ein ausführlicher Beschwerdebrief der Bürgergemeinde aus dem Jahr 1692, mit dem sie vergeblich gegen die Niederlassung eines Viehhändlers namens Sabala protestierte.

Im Ort selbst gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen (Religions-)Lehrer und einen Vorsänger. Der Großteil der sechzehn jüdischen Haushallte lebte von kleinen Handelsgeschäften in eher bescheidenen Verhältnissen; 1815 musste die Gemeinde eine Hypothek von 450 Gulden auf die Synagoge aufnehmen, damit sie ein Armenhaus einzurichten konnte. Leutershausen nutzte den Verbandsfriedhof in Bechhofen und schloss sich 1825 dem Distriktsrabbinat Ansbach an, weil der Staat nur noch geprüfte Rabbiner und Lehrkräfte zuließ. Das betraf auch den Religionsunterricht, denn der alte ortsansässige Lehrer, Schächter und Vorsänger Löw Samuel Sutro konnte keine akademische Ausbildung vorweisen. Die Kultusgemeinde musste daher mit Salomon Modle aus Fürth den ersten professionellen Lehrer einstellen, der zunächst im Haus der Witwe Schmolzer (Am Markt 4), ab 1832 in seiner eigenen Wohnung unterrichtete.

Zur Gemeinde gehörte auch das nahe Wiedersbach - dort gab es keine eigene Mikwe und die Frauen mussten sich bei Bedarf nach Leutershausen begeben. Zwei private Mikwen lagen in den Kellern der Häuser von Löw Gutmann und Jacob Rosenfeld, das Ritualbad in der Synagoge war jedoch schon 1828 seit längerem außer Betrieb. „Wegen ihrer Dürftigkeit“ erließ man der armen Kultusgemeinde vorerst den Umbau zum Warmwasserbad, obwohl dieses durch das neue Hygienegesetz eigentlich zur Vorschrift geworden war. Nachdem Aaron Rosenfeld zunächst ein eigenes Ritualbad im Keller seines Hauses eingerichtet hatte, setzte er 1833/34 den Bau einer gemeindeeigenen modernen Mikwe in der Synagoge durch.

Die allgemeine Auswanderungswelle erfasste Mitte des 19. Jahrhunderts auch Leutershausen, weil die kleinstädtische Enge vor allem der Jugend nur wenig Perspektiven bot. Hatten 1811 noch 133 Jüdinnen und Juden im Ort gelebt, war ihre Zahl bis 1900 auf 62 gesunken.

Als ab 1911 ein staatlicher Fonds für leistungsschwache israelitische Kultusgemeinden eingerichtet wurde, stellten auch die Leutershausener Juden immer wieder Anträge. Mit dem Geld bediente die Gemeinde in erster Linie ihre Schuldzinsen, denn aus eigener Kraft konnte sie eine Generalsanierung ihrer Synagoge und weitere dringende Arbeiten am Gemeindehaus nicht mehr stemmen. Zum Beispiel erhielt die Synagoge einen Anschluss an das neue städtische Elektrizitätsnetz.

Im Ersten Weltkrieg verschlechterte sich die Situation zusätzlich, weil von siebzehn erwerbstätigen jüdischen Männern acht als Soldaten an der Front kämpften, und daher keinen Beitrag in die Gemeindekasse leisten konnten. Bis 1918 fielen Selmar Ansbacher, Leo Mayer und der Religionslehrer Benno Friedmann. Aus finanziellen und rationalen Erwägungen wurde Jochsberg – wo nur noch zwei Juden lebten – mit Leutershausen am 17. Juni 1920 zu einer Kultusgemeinde zusammengelegt. Der Vorstand verkaufte die Jochsberger Synagoge mitsamt dem Inventar, um Schulden tilgen und eine Restaurierung der Leutershausener Torarollen bezahlen zu können.

In der Weimarer Republik waren die jüdischen Leutershausener in das Ortsleben gut integriert, mit Julius Weiß saß erstmals ein Jude im Stadtrat. Allerdings galt die Kleinstadt als Hochburg der NSDAP, die entsprechend offen und häufig gegen die jüdische Gemeinde agitierte. 

Ab dem 30. Januar 1933 setzte wie überall in Deutschland eine staatlich geförderte Diskriminierung ein, die das Leben zunehmend unerträglich machte. Die Stadtverwaltung unter Bürgermeister Georg Schiller versuchte zwischen dem 26. September und dem 5. Oktober 1938 zunächst vergeblich, die jüdischen Bewohner zum Verkauf ihrer Immobilien und zur Abwanderung zu zwingen. Am 11. Oktober soll nach einem Sportabend der Hitlerjugend – und wohl auf eine entsprechende Provokation hin – aus dem Hause Jochsberger der Ruf „Macht, dass ihr heimkommt, ihr Lumpen!“ gekommen sein. In den Nächten darauf randalierte die Hitlerjugend vor jüdischen Häusern und am Sonntag, dem 16. Oktober 1938, kam es zu einem lokalen Pogrom. Die Synagoge wurde gleich mehrfach zum Ziel der Zerstörungswut und bis zum Abend völlig demoliert. Nach einer Siegesfeier im Gasthaus „Zur Sonne“ wandte sich der angetrunkene Mob den jüdischen Wohnhäusern zu, stürmte und plünderte sie. Die verängstigten Bewohner flüchteten teils in Nachthemden unter die Dächer und ins Freie, bis sie in befreundeten Häusern Unterschlupf fanden. Tags darauf erschien Bernhard Kolb, der Sekretär der Nürnberger Kultusgemeinde mit mehreren Lastwägen. Hastig wurde jüdisches Kulturgut und Privateigentum verladen und mit den allermeisten Jüdinnen und Juden nach Nürnberg gebracht. Im Jahr 1939 verließen als letztes Selmar Ansbacher und Rudolf Weil den Ort. 

Von den in Leutershausen geborenen und/oder längere Zeit am Ort wohnhaften jüdischen Personen sind in der NS-Zeit umgekommen: Else Sofie Ansbacher (*1914), Max Ansbacher (*1921), Nathan Fritz Ansbacher (*1889), Selma Ansbacher (*1889), Wilhelm Selmar Ansbacher (*1913), Karoline Eckmann geb. Wittelshöfer (*1862), Gerta Einstein geb. Enslein (*1890), Sofie Gerson geb. Strassberger (*1867), David Jochsberger (*1886), Heinrich Jochsberger (*1909), Ignaz Jochsberger (*1887), Nathan Jochsberger (*1889), Otto Jochsberger (*1926), Sigmund Jochsberger (*1885), Sofie Jochsberger geb. Enslein (*1894), Betty Kaufmann geb. Jochsberger (*1889), Jeanette Löwenbaum geb. Weil (*1866), Fanny Meyer geb. Morgenthau (*1870), Josef Rosenfeld (*1878), Mathilde Schloß (*1888), Klara Sollender geb. Jochsberger (*1894), Rosele (Rosalie) Sondhelm geb. Rosenfeld (*1868), Jette Ida Uhlfelder geb. Gutmann (*1877), Fanny Weil (*1872), Simon Weil (*1874), Rudolf Wittelshöfer (*1872).  

Am 16. Dezember 1975 kehrte das Ehepaar Paula und Louis Kissinger, die Eltern des damaligen amerikanischen Außenministers Henry Kissinger (*1923), in ihren Geburtsort zurück und trugen sich in das Goldene Buch der Stadt ein. Anlässlich der 1000-Jahrfeier von Leutershausen 2000 wurde am Rathaus, dem ehemaligen jüdischen Wohnhaus der Familie Ansbacher (Am Markt 2) eine bronzene Gedenktafel enthüllt. Henry Kissinger besuchte selbst 2010 den Geburtsort seiner Mutter.


(Patrick Charell)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Barbara Eberhardt / Frank Purrmann: Leutershausen. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 2: Mittelfranken. Erarbeitet von Barbara Eberhardt, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Angela Hager unter Mitarbeit von Frank Purrmann und Axel Töllner mit einem Beitrag von Katrin Keßler. Lindenberg im Allgäu 2010, S. 404-415.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 173.