Jüdisches Leben
in Bayern

Lendershausen Gemeinde

Wie viele Orte in den Haßbergen war Lendershausen bis zum Ende des alten Reichs Teil einer Ganerbschaft und unterstand mehreren Herren. Obwohl sich diese Adelsfamilien seit dem 16. Jahrhundert größtenteils den Reformierten angeschlossen hatten, trat Ende des Jahrhunderts auch das Hochstift Würzburg als bedeutender Grundherr in die Ganerbschaft Lendershausen ein. Zu dieser Zeit sind die frühesten jüdischen Niederlassungen nachweisbar. Ein Würzburger Urbar des Amts Hofheim/Rottenstein verzeichnete 1699 nicht weniger als 14 jüdische Familien mit 73 Personen, wobei aber nicht ersichtlich ist, wie viele von ihnen in Lendershausen lebten. Bis Ende des 18. Jahrhunderts sind leider nur vereinzelte Hinweise überliefert, aus ihnen geht aber hervor, dass es kontinuierlich ein jüdisches Leben im Dorf gegeben haben muss. Von 1739 stammt das Recht, vor Ort Sabbatschranken zu errichten. Zwischen 1770 und 1800 bildete sich aus zwölf jüdische Familien eine Kehillah mit einem regelmäßigen Minjan. Mehrheitlich wohnten sie am Nordwestrand des Dorfes in einem kleinteiligen Ensemble, das im Volksmund die Bezeichnung „Judenburg“ erhielt. Der Grund gehörte der ritterlichen Ganerbenschaft, die Synagoge am südöstlichen Ende des Dorfes lag jedoch auf Würzburger Grund.

Im frühen 19. Jahrhundert stellten die jüdischen Lendershauser rund ein Drittel der Gesamtbevölkerung und lebten weiterhin mehrheitlich in der „Judenburg“ (Hausnr. 31-41). Nach der Säkularisation blieben die verworrenen Besitzverhältnisse noch einige Jahre lang im Fluss, bis der ganze Raum 1814 endgültig an das Königreich Bayern fiel. Bei der Durchsetzung des Judendiktes wurden 1817 in Lenderhausen zunächst 23 Matrikelstellen vergeben, 1823 und 1825 kamen noch je zwei Familien dazu. Ähnlich wie in anderen fränkischen Landgemeinden lebten die Juden in Lendershausen größtenteils vom Handel und der Vermittlung in Geschäften („Schmusen“). Dabei dominierte der Viehhandel, gefolgt vom Handel mit Stoffen und Tuchen (Ellenwaren, Schnittwaren). Mit einem Seifensieder bzw. Lichterzieher und zwei Männern, die im Metzgerhandwerk ihren Lebensunterhalt verdienten, waren zwei Handwerke vertreten, in denen Juden trotz der generellen Berufsverbote auch aus religiösen Gründen rationell tätig waren. Mit der Einführung der staatlichen Schulpflicht 1818 besuchten die jüdischen Kinder mit ihren christlichen Nachbarn die evangelische Elementarschule vor Ort. Bei seiner „sanitätspolizeilichen“ Kontrolle der Lendershauser Kellermikwen stellte der Hofheimer Gerichtsarzt Dr. Eglauch – auch das ist ein typischer Zustand –  gravierende hygienische Mängel fest, die jedoch bis 1829 noch immer nicht behoben waren. Als sich Jüdinnen und Juden aus der Umgebung bei Eglauch über den Zustand der Mikwe beschwerten, ließ dieser alle Tauchbäder des Orts schließen. Ihre Standorte sind leider bis auf eines nicht überliefert: Übergangsweise blieb das am besten erhaltene Ritualbad im Keller des Moses Reus (heute An der Schunkenmühle 3) geöffnet. In den 1830er Jahren erwies sich die alte Synagoge als baufällig. Bis 1836 wurde an gleicher Stelle ein einfacher Neubau errichtet, der aber nur den Betsaal enthielt. Daher erwarb die Kultusgemeinde 1861 trotz einer notorisch klammen Kasse das Nachbarhaus neben der Synagoge (heute Synagogenweg 2), um dort weitere Gemeinderäume, ein neues beheizbares Ritualbad mit Wassertank, das Schulzimmer und die Wohnung des Religionslehrers unterzubringen. Eine eigene israelitische Elementarschule war bereits seit Jahrzehnten in Gespräch, seit Mitte der 1830er Jahre hatten die Religionslehrer auch eine staatlich geprüfte Lehrerlaubnis, aber erst 1863 konnte die Gemeinde eine passende Immobilie kaufen. Möglicherweise erhoffte man sich vom neuen „Israelitischen Knaben-Institut“ auch, die zunehmende Abwanderung ganzer Familien aus dem Dorf verhindern zu können: Nach der Abschaffung des alten diskriminierenden Judenedikts hatten bayerische Juden endlich die freie Berufs- und Wohnortswahl gewonnen. Nun mussten sie nicht mehr die gefährliche, in den meisten Fällen endgültige Emigration ins Ausland wagen, sondern konnten gleich in die wirtschaftlichen Zentren Deutschlands ziehen. 

Zwischen 1865 und 1910 schrumpfte die Gemeinde von 115 auf gerade einmal 13 Personen. Trotzdem blühte das Vereinsleben, der Turnverein Lendershausen wurde von Juden und Christen gemeinsam gegründet und diente als Forum für patriotische Kundgebungen. Zunehmend verlagerte sich das jüdische Leben in Lendershausen in das nahe gelegene Städtchen Hofheim, das als Verwaltungssitz mit Eisenbahnanschluss mehr Möglichkeiten bot. Daher musste sich die Kultusgemeinde nicht wie so oft in Unterfranken auflösen, sondern vereinte nun beide Nachbarorte. Im Jahr 1911 fanden bereits Gottesdienste in einer provisorischen Hofheimer Synagoge statt, 1922 wurde ein neues Gemeindezentrum eingerichtet. Womöglich besaß die Kultusgemeinde in den nächsten zwei Jahren also zwei Synagogen, wobei jene in Lendershausen wohl nur noch selten genutzt wurde. Als 1933 nur noch eine Familie dort lebte – Ludwig und Fanny Eckmann mit Tochter Leni – und diese ohnehin am Gemeindeleben in Hofheim teilnahm, verkaufte die Kultusgemeinde das leer stehende Synagogengebäude noch im Herbst des Jahres an eine Privatperson. Damit endete die dreihundertjährige Geschichte der jüdischen Gemeinde von Lendershausen. Durch einen Stadtratsbeschluss heißt der bis dahin namenlose Weg von der Hofheimer Straße zum Synagogengrundstück seit dem 13. Juli 1988 offiziell „Synagogenweg“.


(Patrick Charell)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Axel Töllner / Hans-Christof Haas: Lendershausen-Hofheim. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.1. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 514-527.
  • Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. 2. Aufl. München 1992 (= Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit A85), S. 93.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 222.