Jüdisches Leben
in Bayern

Klingenberg Gemeinde

Das Martyrologium des Nürnberger Memorbuchs erwähnt Juden aus Klingenberg unter den Opfern des Rintfleischpogroms 1298. Einzelne Juden aus dem Ort werden auch im 15. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den Quellen erwähnt. Im Jahr 1666/67 bezahlten drei Schutzjuden in Klingenberg für sich und ihre Familien Schutzgeld an Kurmainz. Einer Beschwerdeschrift der christlichen Bürger an den Erzbischof aus dem Jahr 1691 ist zu entnehmen, dass es damals neben rund 60 christlichen Familien auch vier jüdische Haushalte in der Stadt gab, die ihren Lebensunterhalt mit dem Handel von Fleisch und Kramwaren bestritten. Weil sie nur zur Miete wohnten, lehnten sie auch eine Beteiligung an den Wach- und Frondiensten ab. 

Die jüdische Einwohnerschaft betrug auch im 18. Jahrhundert nicht mehr als vier Familien. Zwei der Haushalte verarmten gegen Ende des Jahrhunderts so sehr, dass sie keine Steuern mehr bezahlen mussten. Allerdings war die Mitgliederzahl der Gemeinschaft doch groß genug, um spätestens ab der Zeit um 1760 den Minjan für gemeinsame Gottesdienste zu erfüllen: 1768 wird ein Streit in einer Klingenberger Synagoge aktenkundig, bei dem es zu Handgreiflichkeiten kam. Grund dafür war die umstrittene Finanzierung des jüdischen Chasan und Melamed. Ein Amtsbericht erwähnt 1781 ebenfalls eine Synagoge, die sich im Privathaus eines Juden befunden haben muss. Nähere Informationen dazu gibt es nicht.

Einer Statistik zufolge, lebten 1808 fünf jüdische Haushalte mit insgesamt 28 Personen in der Stadt. Der Ort erhielt 1817 fünf, 1821 sechs Matrikelstellen zugesprochen. Bis in die 1880er Jahre umfasste die Klingenberger Judenschaft konstant rund 30 Personen. 1898 gehörten ihr 36 Mitglieder an. Die kleine Kultusgemeinde gehörte dem Distriktsrabbinat Aschaffenburg an und begrub seine verstorbenen auf dem Verbundfriedhof in Reistenhausen. Zur Besorgung religiöser Aufgaben der Gemeinde war zeitweise ein Melamed angestellt, der zugleich als Chasan und Schochet tätig war. ls Religionslehrer und Vorsänger beschäftigte die Kultusgemeinde den Privatlehrer Juda Roswald, der jedoch 1834 nach Nordamerika auswanderte. Danach gab es aufgrund der schlechten finanziellen Lage nur noch provisorische Aushilfen. Ab 1845 stellten die jüdischen Gemeinden von Wörth am Main und Klingenberg einen gemeinsamen Religionslehrer und Vorsänger ein, der abwechselnd in den beiden Orten seinen Dienst versah. In Klingenberg erhielt er eine Wohnung mit Unterrichtszimmer im Privathaus des Viehhändlers und wohl auch de-facto Gemeindevorstands Salomon Herzberg (Standort unbekannt). 1854 schied Wörth aus dem Schulverband aus und wurde durch die IKG Röllbach ersetzt. Diese Regelung wurde bis ins frühe 20. Jahrhundert beibehalten.

Ihre Einnahmen erzielten die jüdischen Familien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch den Handel mit Ellenwaren, mit Vieh und mit Immobilien. 1811 wurde eine Synagoge im Haus Nr. 44 (heute Synagogenplatz) eingerichtet, die von den Klingenberger und den benachbarten Röllfelder Juden gemeinsam genutzt wurde. Die Mikwe lag im Keller eines jüdischen Privathauses, musste jedoch 1829 geschlossen werden, da sie zu klein und nicht beheizbar war. Laut einer Mitteilung von Gudrun Berninger aus dem Jahr 2002 gab es zwei Ritualbäder im Ort, eines im Anwesen Nr. 34 (heute Altstadt 17) und ein zweites in einem Häuschen direkt am Wassergraben der Stadtmauer (entspricht heute Rathausstraße 4), das zum Anwesen Nr. 33 gehörte. Dieses lag neben dem Anwesen 34 und wurde im 19. Jahrhundert von der jüdischen Familie Herzberg bewohnt.

1913 verordnete die Kreisregierung den Gemeinden Klingenberg, Wörth und Hofstetten die Anstellung eines gemeinsamen Religionslehrers und Schächters. Diese Stelle trat noch im gleichen Jahr Simon Steinhäuser an. Er starb 1918 als Soldat im Ersten Weltkrieg. Der Weinhändler und Küfer Mayer Fried, der einer der vier alteingesessenen jüdischen Familien Klingenbergs entstammte, brachte es um die Jahrhundertwende zu Wohlstand und Ansehen. Er engagierte sich in vielen Vereinen, war Abgeordneter im Stadtmagistrat und besaß eine Reihe von Niederlassungen in den deutschen Weinbaugebieten. Bei der Eröffnung der bayerischen Landes-, Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung in Nürnberg 1896 durfte er seinen Klingenberger Rotwein auch Prinzregent Luitpold kredenzen. Der Silberkelch, dessen Inschrift an dieses Ereignis erinnert, verwahrt heute das Weinbau- und Heimatmuseum Klingenberg. Der jüngste Sohn der Familie Fried starb im Ersten Weltkrieg. Zwei weitere Söhne wurden von den Nationalsozialisten ermordet.

Bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 hatte sich die Kultusgemeinde Klingenberg bereits auf 18 Personen reduziert. Sie erlitten nun die Anfeindungen, Bedrohungen und die massiv einsetzende Ausgrenzung aus dem Gesellschafts- und Wirtschaftsleben des NS-Regimes. Mayer Frieds Sohn Willy, der in nahezu allen Ämtern die Nachfolge seines Vaters angetreten hatte, musste seine Aktivitäten für die örtlichen Vereine aufgeben; bereits 1933 verlor er sein Stadtratsmandat, 1935 wurde er gezwungen, aus dem Weinbauverein auszutreten. Am Abend des 10. November 1938 zog eine Menschenmenge von 50 bis 60 Personen unter Führung des Klingenberger Bürgermeisters vor die Häuser der jüdischen Familien, warf die Fenster ein, zerstörte die Türen und verwüstete die Einrichtungen. Auch die Synagoge wurde völlig demoliert. Willy Fried und die anderen jüdischen Männer aus Klingenberg hat man inhaftiert. Zusammen mit einem Verwandten deportierte man Fried dann in das Konzentrationslager Dachau. Anschließend musste die Familie die gesamte Firma mit Weinhandlung, Weinbergen, weiteren Immobilen und Inventar weit unter Wert verkaufen. Den Erlös erhielt sie nicht, denn er wurde auf ein Sperrkonto eingezahlt. 1939 wurden er und seine Frau Ida mit der ersten Gruppe der mainfränkischen Juden von Würzburg nach Riga verschleppt, wo sich ihre Spur verlor. Im Dezember 1939 verließen die letzten Jüdinnen und Juden der Ort. Nur wenigen Israeliten aus Klingenberg gelang die Auswanderung; der Großteil starb in den Vernichtungslagern im Osten.

Das Landgericht Aschaffenburg erhob im Februar 1948 Anklage gegen 15 Personen, die der Täterschaft bei den Übergriffen in der Pogromnacht 1938 in Klingenberg bezichtigt wurden. Neun der Angeklagten wurden zu Haftstrafen zwischen einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Am 9. November 2008 hat man auf einer Grünfläche in der Nähe der einstigen Synagoge eine Gedenktafel enthüllt. Sie trägt die Inschrift: „In Klingenberg a. Main bestand bis zum Jahre 1939 eine jüdische Kultusgemeinde mit einer Synagoge in der Lindenstraße. ZUR ERINNERUNG UND MAHNUNG.“ 2018 wurde die Freifläche anlässlich des 80. Jahrestags der Novemberpogrome städtebaulich ertüchtigt und zum "Synagogenplatz" umgestaltet. Klingenberg nimmt außerdem an der Initiative DenkOrt Deportationen Würzburg teil und hat am Synagogenplatz eine Skulptur in Form eines Koffers installiert, mit der an die Deportation der jüdischen Familien über Würzburg hin in den Osten erinnert wird. Das Gegenstück des Koffers steht auf dem zentralen Mahnmal am Würzburger Bahnhofsplatz.


(Christine Riedl-Valder)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Axel Töllner: Klingenberg. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 436-443.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 238.