1458 soll der erste Nachweis einer jüdischen Familie in Kleinerdlingen vorliegen. Die Ortsherrschaften, der Johanniterorden und die Grafen Oettingen-Spielberg, waren die Schutzherren von bis zu acht jüdischen Familien, die noch 1510 nachgewiesen sind. Trotzdem erfolgte 1514 die Ausweisung und das knospende jüdische Leben erlosch wieder. Erst 1658 ließen sich wieder vier jüdische Familien aus Neresheim im Ort nieder. Jüdisches Leben konzentrierte sich auf den "Judenhof". Die Gemeinde wuchs von acht Familien (1684) auf 49 (1728) und sank dann wieder auf 40 Familien (1785). Dabei rangen die Johanniter und die Oettinger Grafen von Spielberg oft erbittert um die Zuständigkeiten und außergewöhnlich hohen Schutzgelder.
Am 12. Juli 1803 wurde der Schutzjude Marx David Gundelfinger, der auf dem Weg von Kleinerdlingen nach Dischingen in Ostwürttemberg unterwegs war, von zwei Räubern überfallen und ausgeplündert. Marx verlor bei diesem Überfall einen großen Teil seiner Waren. Die im Oettingischen Wochenblatt publizierte Verlustliste führte vor allem wertvolle Textilien, Schuhschnallen, Bargeld und eine Uhr einen Gesamtwerrt von 179 Gulden an. Das Steueraufkommen der jüdischen Gemeinde war zu dieser Zeit durchaus bemerkenswert.
Mit der Mediatisierung des Fürstentums Oettingen fiel auch Kleinerdlingen 1806 an das neu gegründete Königreich Bayern. Bis 1848 behielten die Oettinger Fürsten aber ihre Patrimonialgerichtsbarkeit und spielten am Münchner Hof weiterhin eine bedeutende Rolle. Einer Aufstellung von 1814 führte die "Judenschaft" zu Kleinerdlingen mit 110 Gulden auf. Diese Summe war als freiwilliger Beitrag zur "allgemeinen Landes-Bewaffnung" in den Napoleonischen Kriegen deklariert. Zum Vergleich: Der gesamte übrige Steuerbezirk Kleinerdlingen spendete nur 92 Gulden. 1819 ist in in einer Beschreibung überliefert: " Es wohnen viele Juden dahier, die bedeutenden Handel treiben." Sie besuchten unter anderem die Pfingstmessen von Nördlingen.
Die Familie Waldmann betrieb einen Pfandhandel in Kleinerdlingen. Bereits Matthäus Waldmann war als Pfandleiher tätig, da nach dessen Tod die Pfänder an seinen Sohne Jakob Waldmann, Schutzjude zu Kleinerdlingen, und dessen Schwester Sibla, überging. Beim wahrscheinlich erbenlosen Ableben von Jakob Waldmann 1820 wurden die Pfandbesitzer zur Einlösung aufgefordert. Die bewegliche Habe von Waldmann war für März 1820 zur Versteigerung im Synagogen- und Schulgebäude ausgeschrieben. Aufgeführt wurden Textilien, Silberbesteck, Haushaltsgegenständen, "2 Behäng zu den 10 Geboten" und Bücher in hebräischer Sprache.
1828 wird im Wochenblatt für das Fürstenthum Oettingen-Spelberg der jüdische Vorsänger Joseph Gotthelf aus Kleinerdlingen genannt. Aus der Notiz geht aber nicht eindeutig hervor, ob Gotthelf diese Funktion in Kleinerdlingen ausgeübt hatte.
Ein großer Teil der jüdischen Familien in Kleinerdlingen hatte als Erwerbszweig die Handelstätigkeit. So waren 1837 in Oettingen die Handelsleute Lauchheimer, Buhler, Faul und Liebermann aus Kleinerdlingen tätig. Die Landesbeschreibung von 1840 gibt über Kleinerdlingen mit seinen 512 Einwohnern an:" Mehrere Juden im Rabbinate Wallerstein mit Schule. 20 Familien sind Grundholden des Fürsten von Oettingen- Spielberg". Die jüdische Gemeinde dürfte zu dieser Zeit also aus über 100 Personen bestanden haben, rund 25% der Gesamtbevölkerung. Sie gehörte zu dieser Zeit zum Distrikt Wallerstein. Dort wurden auch die Verstorbenen bestattet.
Mitte des 19. Jahrhunderts setzte auch in Kleinerdlingen die allgemeine Abwanderungswelle ein, weil vor allem junge Jüdinnen und Juden im Ausland eine bessere Zukunft suchten. Ab 1861 richtete sich die Abwanderung mit dem freien Recht auf Wohnorts- und Berufswahl verstärkt in die industriellen Zentren Deutschlands.
Eine kurzzeitige überregionale Bedeutung erfuhr die Gemeinde 1876, als Rabbiner David Weiskopf den Sitz des Bezirksrabbinats von Wallerstein nach Kleinerdlingen verlegte. Hier lebte sein Schwiegersohn Marx Michael Kohn, der 1879 die Aufgaben seines Schhwiegervaters übernahm. Mit Weiskopfs Tod am 9. März 1882 endete allerdings diese Episode. Kohn war noch bis 1888 Rabbiner in Kleinerdlingen.
1892 schien sich die Gemeinde, wenn auch auf niedrigem Niveau, zu stabilisieren. Es lebten 12 Familien am Ort, die jüdische Gemeinde umfasste 60 Mitglieder. Die Religionsschule betreute 10 Kinder, es gab eine Chewra Kadischa.
Aber bereits 1898 bestand die Gemeinde nur noch aus 18 Personen, wie die Statistischen Jahrbücher des Deutsch-Israelitischen Gemeindebundes zeigen.
Das Jahrbuch von 1905 weist Kleinerdlingen mit 341 Einwohnern, darunter 23 jüdische Einwohner als Filialort von Hainsfarth aus. Wieso nicht das weitaus näher und bequemer gelegene Nördlingen gewählt wurde, bleibt unklar, mag aber an einer historischen Verbundenheit zur Grafschaft Oettingen-Spielberg gelegen haben. Im Jahr 1911 gehörte Kleinerdlingen mit seinen 15 jüdischen Bewohnern weiterhin zum Distriktsrabbinat Walllerstein, ohne dass eine Filialstellung deutlich würde.
Im Handbuch von 1924/1925 fehlte der Ort bereits. Die noch verbliebenen fünf Mitglieder schlossen sich jetzt doch der IKG Nördlingen an. In den folgenden Jahren wurde das Synagogengebäude verkauft. Die Auflösung der Israelitischen Kultusgemeinde Kleinerdlingen im Jahr 1935 war nur noch eine Formalität.
Die Straßenbezeichnung i"Judenhof" ist noch heute im Gebrauch. Das ehemalige jüdische Wohnhaus Judenhof 2 / 3 ist im Bayerischen Denkmal-Atlas verzeichnet.
Bevölkerung 1910
Literatur
- Johannes Mordstein: „daß wür ebenfahlß Eur Hochgräffliche Excellenz gehorsame unterthanen seint.“ Partizipation von Juden an der Legislationspraxis des frühmodernen Staates am Beispiel der Grafschaft Oettingen 1637- 1806. In: Rolf Kießling, Peter Rauscher, Stefan Rohrbacher, Barbara Staudinger (Hg.): Räume und Wege Jüdische Geschichte im Alten Reich 1300-1800 (= Colloquia Augustana 25). Berlin 2007, S. 79-105.
- Johannes Mordstein: Selbstbewußte Untertänigkeit: Obrigkeit und Judengemeinden im Spiegel der Judenschutzbriefe der Grafschaft Oettingen 1637 - 1806. Epfendorf 2005.
- Israel Schwierz: Steinerne Zeugnisse jüdischen Lebens in Bayern. Eine Dokumentation. 2. Aufl. München 1992 (= Bayerische Landeszentrale für politische Bildung A85), S. 266.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 273.