Jüdisches Leben
in Bayern

Kleineibstadt Gemeinde

Vermutlich um 1554 siedelten sich Jüdinnen und Juden in Kleineibstadt an, das überwiegend den adeligen Dorfherren aus der Familie von Münster unterstand. Rund 100 Jahre später führte eine "Judenerhebung" des Hochstifts Würzburg 1655 die drei armen Schutzjuden Lazarus, Benjamin und Samuel mit ihren Familien auf, zu denen insgesamt 19 Personen gehörten. Vier Jahre später lebten laut einer Gemeinderechnung von 1669 bereits neun Schutzjuden der Herren von Münster im Dorf. Laut einer Liste der Münsterschen Schutzjuden von 1731 war ihre Zahl bereits auf 19 Familien angewachsen. Rund 20 Jahre später erwähnt das "Kleineibstädter Ackerbuch" 1753 bereits jüdische 14 Häuser. Zu dieser Zeit gehörten rund 50 Personen zur Gemeinde.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wirkte in Kleineibstadt Naphtali Ottensoser als Religionslehrer, Kantor und Schächter, dessen Sohn Lazarus als Gründe der Höchberger Präparandenschule bekannt werden sollte. In dieser Zeit besuchten die jüdischen Kinder die katholische Volksschule und erhielten von Ottensoser jüdischen Religionsunterricht in der Religionsschule.

Der eingeschossige, auf einem L-förmigen Grundriss mit einer Flügellänge von jeweils acht Metern errichtete Fachwerkbau grenzte unmittelbar westlich an die Synagoge an und bot Raum für einen kleinen Hausplatz, das Schlafzimmer, eine Kammer, die Küche und die beheizbare, gleichzeitig als Unterrichtsraum genutzte Wohnstube. 1813 gehörten 104 Personen zur jüdischen Gemeinde, der der Viehhändler David Samuel Ambach als "Judenschultheis" vorstand. Nach dem Übergang des Großherzogtums Würzburg an Bayern trugen sich 1817 wie überall im Königreich die 18 jüdischen Kleineibstädter Haushalte, die sich überwiegend vom Vieh-, Klein- und Warenhandel ernährten, in die Matrikellisten ein. Die Gemeinde gehörte zum Distriktsrabbinat Burgpreppach, wo sie auch ihre Toten bestattete.

Bereits 1848 plante die jüdische Kultusgemeinde die Errichtung einer neuen Elementarschule. Bis zur Eröffnung der offiziell bereits am 30. August 1874 eröffneten Bildungsanstalt im Jahr 1875 vergingen allerdings noch 27 Jahre. Unklar bleibt bisher, ob es sich dabei um ein umgebautes oder neu errichtetes Gebäude handelte. Schließlich wurde das bestehende Schulhaus bis Ende 1877 abgerissen. Als erster Elementarschullehrer wirkte Salomon Senger rund 30 Jahre und trat 1904 in den Ruhestand, den er in Würzburg verbrachte, wo er 1928 auch verstarb. Nach der Aufhebung der Matrikelpflicht im Jahr 1861 verließen zahlreiche Juden Kleineibstadt und ließen sich in größeren Orten nieder. 

Zu Streitigkeiten in der Gemeinde führte im Jahr 1900 die Festlegung der Höhe der Gemeindesteuer, als der höchstbesteuerte Moses Reinhold der Ansicht war, seine Veranlagung sei zu hoch ausgefallen. Problematisch war im frühen 20. Jahrhundert auch die Finanzierung der jüdischen Elementarschule, da sich die Zahl der jüdischen Einwohner Kleineibstadts seit Eröffnung der Schule ungefähr halbiert hatte. Da Kleineibstadt 1910 zu den ärmsten jüdischen Kultusgemeinden in Unterfranken zählte, gewährte die Würzburger Kreisregierung der Gemeinde einen Zuschuss in Höhe von 100 Mark, die bei ihrer Entscheidung auch die Zahl und den Zustand der Einrichtungen der Gemeinde berücksichtigte. Da sich an der finanziellen Situation der jüdischen Gemeinde nichts änderte, erhielt diese bis mindestens 1918 staatliche Zuschüsse.  

Gute Beziehungen zu den nicht-jüdischen Lehrerkollegen unterhielt Sengers Nachfolger Löb Klugmann, der als einziger Jude an den von den Beamten der Gegend veranstalteten Gesellschaftsabenden teilnahm. Seine Laufbahn führte ihn nach dem Ersten Weltkrieg nach München, wo er bis zu seiner Zwangspensionierung 1937 als Gymnasiallehrer wirkte. Während des Ersten Weltkriegs fielen Gustav Reinhold, Theo Wolf Reinhold und Abraham Wildberg. Die Namen der Gefallenen werden auf der Gedenktafel im Kleineibstadter Dorffriedhof genannt, obwohl sie bereits vor Kriegsbeginn nicht mehr in Kleineibstadt gelebt hatten.  Da die Zahl der jüdischen Kinder im Dorf gesunken war, wurde am 1. Juli 1919 die israelitische Elementarschule in Kleineibstadt geschlossen. Rund zwei Jahre später verkaufte die Gemeinde das Schulhaus an das Gemeindemitglied Josef Reinhold. In den 1920er Jahren lebten etwa 25 Jüdinnen und Juden in Kleineibstadt und machten damit rund fünf Prozent von circa 500 Einwohnern aus. Zu dieser Zeit stand der Tuchwarenhändler Abraham Wolfrom der jüdischen Kultusgemeinde vor, der 1928 starb. Bereits in dieser Zeit hatten antisemitische Ressentiments in Kleineibstadt deutlich zugenommen. Dies äußerte sich unter anderem in Spottreimen und Beleidigungen jüdischer Dorfbewohner.  

Kurz nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten begann auch die Verfolgung jüdischer Kleineibstädter. Beispielsweise wurde im März 1933 der Kolonialwarenhändler William Strauß, der letzte Vorsteher der jüdischen Gemeinde Kleineibstadt, wegen einer angeblichen Beleidigung Adolf Hitlers von SA-Männern verschleppt und kurzfristig inhaftiert. 1937 wurde die jüdische Gemeinde Kleineibstadt durch den Verband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern (VBIG) offiziell aufgelöst. Mehr als zwei Jahre später entschloss sich William Strauß nach seiner Verhaftung während der Reichspogromnacht zur Emigration und wanderte im Juni 1939 mit seiner Frau und seiner Tochter nach Shanghai aus. Dort verstarb er 1943. Als 1939 die "Bayerische Bauernsiedlung" den Großteil der landwirtschaftlichen Nutzflächen "arisiert" hatte, die zuvor jüdischen Kleineibstädtern gehört hatten, verloren fast alle Juden des Dorfes ihren Grundbesitz und ihre Häuser.

Am 7. Februar 1942 lebten in Kleineibstadt noch elf Jüdinnen und Juden, die am 25. April 1942 von Würzburg nach Krasniczyn bei Lublin deportiert und später in Sobibor ermordet wurden. Ein halbes Jahr später wurden die Möbel und der Hausrat der Ermordeten öffentlich versteigert. Der Shoah fielen auch drei Jüdinnen zum Opfer, die 1942 zwangsweise von Kleineibstadt nach Schweinfurt umgezogen waren und von Würzburg am 10. September 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden. Während Sophie und Lena Reinhold in Theresienstadt starben, wurde Ida Reinhold in Treblinka ermordet.

Insgesamt wurden während der Shoah 25 Jüdinnen und Juden, die in Kleineibstadt geboren wurden, und sieben jüdische Personen, die im Ort gelebt hatten, ermordet. Dieses Schicksal blieb Jenny Stumpf erspart, die die Zeit des Nationalsozialismus dank der Unterstützung durch christlicher Nachbarn in einem Versteck im Dorf überlebte.  


(Stefan W. Römmelt)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Gerhard Gronauer / Hans-Christof Haas: Kleineibstadt. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.1. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 740-759.
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken. In: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hrsg.): Die Juden in Franken. München 2012, S. 95-113.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt/Main 1938, S. 137-140.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 229.