Jüdisches Leben
in Bayern

Kleinbardorf Gemeinde

Vermutlich nach 1556 ließen sich Juden in Kleinbardorf nieder. Erstmals urkundlich dort nachweisbar sind Jüdinnen und Juden 1602, als laut einem Salbuch die Juden Wolf, Schmul, Süs(s)mann und Joel Schutzgeld entrichten mussten. Drei Jahre später kam es zwischen den zu diesem Zeitpunkt fünf jüdischen Familien und dem Kleinbardorfer Gemeindediener Hans Lutz zum Konflikt: Lutz verlangte von den Kleinbardorfer Juden die Erstattung der Kosten, die ihm für die Verpflegung und erneute Verhaftung eines auswärtigen Juden entstanden waren. Schließlich wurden die Kleinbardorfer Juden am 1. Dezember 1605 zur Zahlung von 4,5 Gulden an Lutz verurteilt. 

Dass sich im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen der jüdischen und christlichen Bevölkerung bilden konnte, zeigt sich bei der Wahl des Juden Joßele um Brunnenwart anlässlich des Walburgismahls 1627 (der Festtag von St. Walburga wurde damals noch am 1. Mai gefeiert), und bei der Einschwörung der Juden Hirsch und Jols als Brunnenmeister drei Jahre später.

Zwischen 1691 und 1696 unterstand der Ort direkt dem Hochstift Würzburg, das nach einem alten Erlass des Fürstbischofs Friedrich von Wirsberg (reg. 1558-1573) aus dem Jahr 1560 keine Juden auf seinem Territorium duldete. Erst als das Hochstift die Reichsritter von Guttenberg mit Kleinbardorf belehnte und neue Schutzbriefe ausgestellt wurden, konnten sie bis 1710 wieder nach Kleinbardorf zurückkehren.

In jenem Jahr kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Otto Philipp von Guttenberg und dem Hochstift Würzburg, da dieses einen Wegzoll von den Kleinbardorfer Juden erhob. Auch 60 Jahre später stritten sich die Guttenbergs und das Hochstift zum Jahreswechsel 1773/1774, weil der würzburgische Oberzöllner Bader angeblich von dem aus Kleinbardorf stammenden Kaufmann Joseph Fromm, einem Schutzjuden der Guttenbergs, zu viel Wegzoll eingefordert hatte.

Um 1787 wurde in Kleinbardorf Alexander Cohn geboren, auf dessen Talent fünf Jahre später der Burgpreppacher Rabbiner Jakob Samuel Schwabacher aufmerksam wurde. Der Rabbiner nahm das Kind mit nach Burgpreppach und förderte die weitere Ausbildung. Obwohl Cohn die Jeschiwa in Fürth mit sehr guten Ergebnissen absolvierte, entschied er sich für den Beruf des Kaufmanns und ließ sich in Preßburg nieder, das damals zum Königreich Ungarn gehörte. Dort gründete er die "Königliche Israelitische Primär-Hauptschule", an der auch weltliches Wissen und die deutsche Sprache vermittelt wurden, und amtierte als erster Vorsteher der Bildungsanstalt. Cohn starb im Alter von 54 Jahren am 26. Februar 1842 in Preßburg.  

1810 machten die 85 Jüdinnen und Juden, die zu diesem Zeitpunkt in Kleinbardorf lebten, fast ein Drittel der Einwohnerschaft aus. Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts kam es mehrmals zu Auseinandersetzungen zwischen jüdischen Kleinbardorfern und den christlichen Lehrern um die Entrichtung von Gebühren: Am 26. September 1806 hatte der christliche Schullehrer Johann Mauer die neu aufgenommenen Schutzjuden Joseph Machela Nathan und Moses Abraham vor dem Patrimonialgericht verklagt, da diese die für jüdische Mieter christlicher Häuser vorgeschriebene Abgabe von 2 Maß Weizen nicht entrichtet hatten. Ein Jahr später, am 23. Dezember 1807, wurden die beiden Juden zur Entrichtung der Abgabe binnen drei Tagen verurteilt. Zehn Jahre später, im Jahr 1817, als in Kleinbardorf laut der Judenmatrikel 16 jüdische Familien lebten, verklagte der christliche Lehrer Georg Halbig den Kleinbardorfer Juden Simson Hirsch vor dem Patrimonialgericht. Obwohl Hirsch sich bei seiner zwei Jahre zuvor erfolgten Schutzannahme verpflichtet hatte, an Lehrer und katholischen Pfarrer Stolgebühren zu entrichten, weigerte er sich, die für zwei seiner kurz nach der Geburt verstorbenen Kinder fälligen Gebühren für zwei Taufen, die 1 Maß Korn und 24 Kreuzer betrugen, und für zwei Beerdigungen in Höhe von 1 Maß Korn und 30 Kreuzern zu entrichten. Wie bereits 1807 entschied das Patrimonialgericht am 22. Oktober 1817 zugunsten des Lehrers, an den Hirsch innerhalb von acht Tagen die geforderten Gebühren entrichten musste.

1808 wurde in Kleinbardorf der spätere Lehrer Samuel Kahn (Cahn) geboren, der am Israelitischen Lehrerseminar in Würzburg ausgebildet wurde. Nach einer kurzfristigen Tätigkeit als Religionslehrer in Rieneck unterrichtete Kahn von 1841 bis 1851 in Kleineibstadt und von 1852 bis 1871 in Altenschönbach. Von 1871 bis zu seinem Tod 1891 war der beliebte und didaktisch geschickte Pädagoge als Elementarschullehrer in Niederwerrn tätig. Eine jüdische Religionsschule, in der auch die Gottesdienste stattfanden, existierte in Kleinbardorf wohl schon vor 1812. Vermutlich einige Zeit vor 1833 wurde ein rund zehn Meter langes und rund sechs Meter breites jüdisches Gemeindezentrum mit Satteldach neben der kleineren Synagoge erbaut (Nr. 4, heute Obere Hauptstraße 6-8).

Über Details des wahrscheinlich als Fachwerkbau errichteten Schulhauses, dessen Grundriss dreiteilig organisiert war, informiert eine Bestandsaufnahme des Königshofener Zimmermeisters Johann Glückstein aus der Zeit um 1833. Der Handwerker verwies auf die Baufälligkeit des Gebäudes und empfahl wohl nicht ganz uneigennützig einen Neubau. Seit 1868 fand der Religionsunterricht in dem Weinstock'schen Anwesen statt (Nr. 35, heute Untere Hauptstraße 5). Der eingeschossige, rund 13 Meter lange und rund sieben Meter breite Bau mit Satteldach verfügt noch heute über ein massives Erdgeschoss aus Sandsteinquadern und einen Fachwerkgiebel. 1879 kam es zu einem Konflikt innerhalb der jüdischen Gemeinde, da Hirsch Hofmann und Josef Kahn dem neuen Gemeindevorsteher Nathan Kahn mangelnde Transparenz bei der Verwaltung der Gemeindefinanzen vorwarfen. Schwierig gestaltete sich das Verhältnis zwischen Bernhard Kurzmann und Jakob Kurzmann, der von 1877 bis 1924 als Religionslehrer und Friedhofsaufseher in Kleinbardorf tätig war und seit 1890 auch das Amt des Schächters bekleidete. Der Ausgang des Streits um die Kombination von Schächter- und "Begräbnisaufseheramt" ist bisher nicht bekannt.  

Am 1. September 1903 stellte Bernhard Wildberg einen Antrag auf Auflösung der israelitischen Kultusgemeinde in Kleinbardorf, da zur Gemeinde laut seiner Aussage nur noch acht und nicht mehr für den Minjan vorgeschriebenen zehn religionsmündigen Männer gehörten und die Umlagezahlungen an die Kommune die jüdischen Kleinbardorfer zunehmend belasten würden. Im Gegenzug wies der Kleinbardorfer Bürgermeister Voll darauf hin, dass der Minjan im Dorf erfüllt sei und die israelitische Kultusgemeinde durchaus ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen könne, so dass das Bezirksamt Wildbergs Antrag auf Auflösung der Gemeinde ablehnte. Wildbergs Darstellung widersprach auch der mit diesem verfeindete Lehrer Jakob Kurzmann, dessen von Wildberg gewünschte Entlassung möglicherweise der eigentliche Impuls für den Antrag auf Auflösung der Gemeinde gewesen war. Der Konflikt zwischen Wildberg und Kurzmann setzte sich auch in den folgenden Jahren fort, so dass sich der Lehrer am 11. September 1914 darüber beschwerte, dass Bernhard Wildberg seinen vertragsmäßig zugesicherten Beitrag zur Finanzierung der Lehrerstelle nicht mehr entrichte. Wildberg hingegen, der nicht mehr die Kleinbardorfer, sondern die Synagoge in Kleineibstadt besuchte, blieb bei seiner Argumentation, dass die israelitische Kultusgemeinde in Kleinbardorf wegen ihrer geringen Mitgliederzahl nicht mehr existenzberechtigt sei. Erst nach einer Intervention des Distriktsrabbiners erklärte sich Wildberg am 16. November 1914 dazu bereit, für die Zeit, in der die IKG Kleinbardorf offiziell bestehe, den Unterhalt des Religionslehrers mitzufinanzieren.

Nach dem Tod des letzten jüdischen Religionslehrers Jakob Kurzmann am 13. Januar 1924, der 50 Jahre in Kleinbardorf gewirkt hatte, gehörten zur Kultusgemeinde nur noch vier religionsmündige Männer, die das Schul- und Lehrerhaus im Mai 1924 für 5000 Reichsmark an einen Privatmann verkauften. Kurzmanns Funktionen als Kantor, Schächter und Begräbnisaufseher übernahm der Schneider Abraham Kahn, da die kleine jüdische Gemeinde 1925 nur noch aus elf Personen bestand und eine professionelle Kraft nicht mehr finanzieren konnte. Für die Gottesdienste, in denen Kahn als Kantor fungierte, kooperierten die Kleinbardorfer mit der Gemeinde in Kleineibstadt. Anfang der 1930er Jahre erteilte Kahn auch Religionsunterricht.

Bereits am 6. April 1933 wurde der Kleinbardorfer Hermann Reis in Schutzhaft genommen. Trotz der sich verschärfenden Diskriminierung gab die Kleinbardörfer Feuerwehr dem am 2. April 1934 verstorbene Bernhard Wildberg das letzte Geleit und begleitete den Trauerzug bis zum jüdischen Friedhof. Kurze Zeit danach wurde das Vermögen der israelitischen Kultusgemeinde im März 1936 beschlagnahmt. Anfang 1942 lebten in Kleinbardorf noch drei Juden – Martha Hofmann und Abraham und Rosa Kahn – , die am 25. April 1942 nach Krasniczyn deportiert wurden. Dort verliert sich ihre Spur. Insgesamt fielen der Shoah 27 in Kleinbardorf geborene und sieben während der NS-Zeit im Dorf ansässige Juden zum Opfer. 

In den 1980er Jahren wurde eine Gedenktafel, die an die ehemalige jüdische Kultusgemeinde Kleinbardorf erinnert, an der rechten Eingangsseite des jüdischen Friedhofs angebracht. Seit 2008 hängt die Tafel an einem Landwirtschaftlichen Nutzgebäude, das an die ehemalige Synagoge angebaut wurde.


(Stefan W. Römmelt)

Kreisheimatpfleger Reinhold Albert hat uns dankenswerterweise verschiedene Materialien zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Kleinbardorf zur Verfügung gestellt, die er auf der Grundlage von Archivalien aus dem Staatsarchiv Würzburg erarbeitet hat.


Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Gerhard Gronauer / Hans-Christof Haas: Kleinbardorf. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.1. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 714-739.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 229.