Jüdisches Leben
in Bayern

Höchberg Gemeinde

Der erste konkrete Nachweis über jüdisches Leben in Höchberg liegt aus dem Jahr 1595 vor. Damals wurden die Witwe Else Meier und ihr Sohn Wolf als zinspflichtige Juden des Ortes erwähnt. Sie besaßen 1597 ein kleines Landgut und einen Weinberg am Neuberg. Die nächsten stichhaltigen Zahlen datieren aus dem Jahr 1709 als zehn jüdische Haushalte aus dem Ort Abgaben an das Würzburger Kollegiatstift St. Burkard leisten mussten; 1740 waren es bereits 21 jüdische Familien. Unterrabbiner, Vorsänger und Schuldiener werden erstmals 1717 erwähnt, denn sie weigerten sich damals, ein "Dienstgeld“ an den Bürgermeister zu bezahlen. Für die 1720er und 1730er Jahre sind einige Hausverkäufe an jüdische Einwohner überliefert.

1766 waren 17 Häuser im Dorf jüdisches Eigentum, zwei davon gehörten direkt der jüdischen Gemeinde. Die Kultusgemeinde Höchberg beteiligte sich im 18. Jahrhundert an den Versammlungen der Landjudenschaft des Hochstifts Würzburg durch die Entsendung von Abordnungen. Der Amtsbereich des Höchberger Unterrabbiners umfasste zeitweise auch die jüdischen Gemeinden von Veitshöchheim, Karbach, Homburg am Main, Freudenberg und Kirchheim. Die Höchberger Juden verdienten sich ihren Lebensunterhalt im 18. Jahrhundert vor allem als Tuch-, Wein- und Viehhändler. Da die Mainmetropole Würzburg die Beschränkungen für jüdische Händler im Laufe der Zeit immer mehr abbaute, wurde das Dorf als Wohnort für Israeliten zunehmend attraktiv. Ihr Anteil an der Einwohnerschaft stieg stetig an und belief sich 1796 auf 35 jüdische Haushalte.

Als 1803 das Kollegstift St. Burkard säkularisiert wurde, gab es 38 jüdische Haushalte im Dorf, von denen 22 im Besitz von Immobilien waren. 13 Prozent der jüdischen Gemeindemitglieder wurden als vermögend eingestuft; fast 40 Prozent gehörten der Mittelschicht an; rund 25 Prozent waren der Unterschicht zuzurechnen und der Rest galt als bedürftig. 1814 war die Mitgliederzahl der Kultusgemeinde auf 43 Familien mit rund 200 Personen angewachsen. Auf diesem Niveau blieb die jüdische Einwohnerzahl bis in die zweite Hälfte der 1820er Jahre und sank dann bis 1867 um die Hälfte. Den Großteil ihres Lebensunterhalts erzielten die Israeliten anfangs noch im Handel, ab den 1840er Jahren zunehmend im Handwerk und der Landwirtschaft. 1844 gab es im Dorf zehn jüdische Bauern und neun jüdische Meisterbetriebe, darunter drei Metzgereien, je eine Leinsiederei, Spenglerei, Mehlhandlung, Tuchmacherei und Seifensiederei. Da die Bedingungen für Gewerbetreibende ungünstig blieben, suchten sich einige jüdische Familien einen neuen Wohnsitz außerhalb der bayerischen Grenzen. Viele junge Israeliten wanderten in den 1840er Jahren die USA aus.

Die Toten der Kultusgemeinde fanden bis zum Anfang des 19. Jh. ihre letzte Ruhestätte auf den jüdischen Friedhöfen von Allersheim und Schwanfeld. 1809 erwarb die Judenschaft zwei Ackergrundstücke am Sautriebsweg (Plan Nr. 3389 und 3390, heute: Am Trieb). Ein Teil des Geländes wurde mit einer Mauer befestigt und künftig als Begräbnisstätte genutzt. Auch viele Jüdinnen und Juden aus Würzburg ließen sich in der Folgezeit hier begraben. 1809 lebten in Höchberg 22 schulpflichtige jüdische Kinder. Die meisten von ihnen erhielten Privatunterricht. Da die örtliche Elementarschule gut ausgelastet war, ordnete die Königliche Regierung 1816 die Einrichtung einer jüdischen Schule und die Bereitstellung einer Lehrerwohnung an. Das Lehrergehalt sollte zu 2/3 von der Gemeinde und zu 1/3 von den Eltern getragen werden. Diese Anordnungen blieb bei den Mitgliedern der Kultusgemeinde lange umstritten. Daher hatte der seit 1817 an der „Israelitischen Deutschen Schule“ in Höchberg unterrichtende Lehrer Hermann Stern einen sehr schweren Stand. Man verweigerte ihm lange Zeit Gehalt, Kost und eine akzeptable Unterkunft. Der angemietete Schulraum war für den Unterricht kaum geeignet. Nachdem er zwei Jahre lang vergeblich gegen alle Widerstände angekämpft hatte, ließ sich Stern 1819 nach Heidingsfeld versetzen. Erst 1826/27 wurde im Obergeschoss der Synagoge ein zweckmäßiger Schulraum eingerichtet, in dem Sterns Nachfolger Elementar- und Religionsunterricht erteilten. 1852 besuchten nur mehr 11 Kinder die Schule, die dann 1869 aufgrund des Schülermangels schließen musste. Die vier noch verbliebenen jüdischen Kinder besuchten seitdem den Elementarunterricht an der christlichen Schule in Höchberg und den Religionsunterricht in Würzburg.

Immer wieder kamen im Dorf antisemitische Tendenzen auf, die zu Sachbeschädigungen und tätlichen Angriffen auf jüdische Mitbürger führte. 1837 wurden die Fenster der jüdischen Schule eingeworfen und der jüdische Friedhof geschändet. Daher zog unter anderem die Familie Sonnemann aus dem Ort fort; Leopold Sonnemann wurde später in Frankfurt a.M. ein einflussreicher Politiker und Zeitungsverleger. 1842 erwarb die Kultusgemeinde das Haus Nummer 93 (heute: Sonnemannstraße 62) zur Nutzung als Gemeindehaus. Es handelte sich um das Geburtshaus des späteren Bankiers, Verlegers und Politikers Leopold Sonnemann (1831‒1909). In dem Anwesen befand sich wohl schon zuvor das Ritualbad. Es diente bis 1833 als Wohnsitz des jüdischen Gemeindedieners. 1850 wurde in dem Anwesen eine Mazzot-Bäckerei installiert.

Anfang des 18. Jahrhunderts waren die Ämter des Ortsrabbiners und des Vorsängers/Schochets noch separat besetzt gewesen. 1828 richtete die Gemeinde die Stelle eines besoldeten Ortsrabbiners ein und gewannen für diese Aufgabe den 30jährigen jüdischen Gelehrten Lazarus Ottensoser. Er übernahm neben dem Rabbineramt die Aufgaben des Vorsängers und Schochets, beaufsichtigte u.a. auch das Mazzebacken, organisierte und leitete die Beerdigungen und übernahm die Lesung an Purim. Zusammen mit seiner Frau wohnte er im jüdischen Gemeindehaus. Ottensoser gründete 1841 eine Jeschiwa (Talmudschule), in der sich junge Männer dem Torastudium widmen konnten. Bald hatte diese Bildungsanstalt einen hervorragenden Ruf und wurde jährlich von über 20 Schülern besucht. Die Einrichtung lebte ganz von Spenden; die Schüler bekamen ihre Unterkunft, Verpflegung und das Studium bezahlt. Auf Anregung von Rabbiner Seligmann Bär Bamberger begann Ottensoser 1861, die Jeschiwa in eine Präparandenschule umzuwandeln. 1863 gab er mit Billigung der Regierung von Unterfranken erste Anstaltsstatuten heraus. Die erfolgreich abschließenden Schüler konnten ab 1864 in die Israelitische Lehrerbildungsanstalt nach Würzburg oder in andere Lehrerseminare wechseln. 1865 eröffnete Ottensoser ein neues Studienhaus mit Unterrichts- und Wohnräumen (heute: Sonnemannstraße 15). Beim seinem Tod 1876 hatte die Präparandenschule bereits drei Lehrer und rund 40 Studenten. Dann übernahm Rabbiner Nathan Ehrenreich die Leitung der Präparandenschule. Auch er war zugleich Ortsrabbiner in Höchberg. Ehrenreich starb 1886. Nun folgte der seit 1875 an der Präparandenschule unterrichtende Lehrer Nathan Eschwege in der Schulleitung und führte die erfolgreiche Arbeit des Gründers bis zu seinem Tod 1908 fort. Das Ortsrabbinat, die Vorsängerstelle und das Bestattungswesen übernahm 1887 Elchanan Wechsler. Nach dessen Tod 1894 wurde aufgrund der starken Mitgliederreduzierung der jüdischen Gemeinde die Stelle des Ortsrabbiners nicht mehr besetzt. Das Amt des Vorsängers übten danach Lehrer der Präparandenschule und Absolventen der Israelitischen Lehrerbildungsanstalt in Würzburg abwechselnd aus.

Um 1900 befand sich die israelitische Kultusgemeinde in einer schweren finanziellen Krise. Sie hatte viele zahlungskräftige Mitglieder verloren und für die Instandsetzung von Gemeindeeinrichtungen hohe Zahlungen leisten müssen. 1910 lebten noch 69 Jüdinnen und Juden in Höchberg. Ihre Zahl erhöhte sich bis 1925 auf 83 Personen; dabei wurden jedoch 50 jüdische Studenten der Präparandenschule mitgezählt. In den 1920er- und 1930er-Jahren besuchten bis zu 70 junge Männer diese Bildungsstätte, in der damals 6 bis 7 Lehrer unterrichteten. Auch die "Talmud-Thora-Bürgerschule", die 1919 zusätzlich im Erdgeschoss eingerichtet worden war, und jüdischen Schülern ab 10 Jahren neben den Traditionen des Judentums auch eine fundierte Ausbildung in kaufmännischen Fächern und Fremdsprachen vermittelte, hatte eine enorme Anziehungskraft. Da das Schulgebäude aber im Laufe der Zeit dringend renovierungsbedürftig wurde und es große finanzielle Schwierigkeiten gab, musste die Schule 1931 nach Würzburg an die dortige Israelitische Lehrerbildungsanstalt (ILBA) umziehen. Die Abwanderung der Schüler reduzierte die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde Höchberg so drastisch, dass ihre Auflösung drohte.

Im April 1933 erfolgte die Gründung einer Ortsgruppe der NSDAP in Höchberg. Damals lebten noch 22 jüdische Mitbürger im Dorf. Ab Herbst 1934 gab es die Anweisung an die Bauern, keine jüdischen Erntehelfer mehr zu beschäftigen. Bis 1937 verließ etwa die Hälfte der Jüdinnen und Juden den Ort und wanderte nach England, Palästina, die Schweiz oder die USA aus. Die meisten jüdischen Immobilien mussten zwangsweise verkauft werden. Seit März 1936 gab es Verhandlungen über den Anschluss der Höchberger an die jüdische Gemeinde in Würzburg. Der Akt wurde am 28. April 1938 mit einem Vertrag besiegelt und am 9. September desselben Jahres der Grundbesitz der Würzburger Judenschaft überschrieben.

Während des Novemberpogroms 1938 schändeten NS-Parteiangehörigen die Synagoge und zerstörten deren Inneneinrichtung. Auch das im Jahr 1739 angelegte Memorbuch der jüdischen Gemeinde ging damals verloren. Die jüdischen Häuser und Wohnungen im Dorf wurden aufgebrochen, die Wertsachen gestohlen, alle Möbel und Fenster zerschlagen. Am 3. April 1939 musste Emanuel Eldod der politischen Gemeinde das Stiftungsvermögen übergeben; die Enteignung der Synagoge erfolgte am 4. Juli 1939. 1942 hat man den jüdischen Friedhof geschlossen. Die letzten fünf jüdischen Mitbürger von Höchberg sind im April 1942 über Würzburg nach Lublin und in das Ghetto Theresienstadt deportiert und dort ermordet worden.

Im März 1948 ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen zehn mutmaßliche Straftäter während des Novemberpogroms 1938 in Höchberg. Zwei Männer erhielten wegen Land- und Hausfriedensbruchs Haftstrafen von vier Monaten. Vier der Beschuldigten waren inzwischen verstorben und die übrigen Angeklagten wurden freigesprochen, da man ihnen die Taten nicht mehr nachweisen konnte.

Der jüdische Friedhof in Höchberg wurden 1948 wieder instand gesetzt und seitdem von der Marktgemeinde gepflegt. Anlässlich der 1250-Jahr-Feier von Höchberg schuf der Würzburger Komponist Prof. Dr. Klaus-Hinrich Stahmer für alle hier Bestatteten ein musikalisches Memorbuch. Naftali Bar-Giora Bamberger erarbeitete im Auftrag der Gemeinde von 1985 bis 1991 eine wissenschaftliche Abhandlung unter dem Titel „Der jüdische Friedhof in Höchberg – Memor-Buch“. Darin sind alle lesbaren Grabinschriften dokumentiert. Nachdem im Mai 1994 unbekannte Täter den Friedhof erneut schändeten, sorgte die Marktgemeinde für seine Wiederherstellung. Eine Gedenkfeier der Kirchen setzte ein Zeichen gegen Gewalt und Terror.

Am Geburtshaus des berühmten jüdischen Bürgers Leopold Sonnemann (Sonnemannstr. 62) wurde 1956 eine Gedenktafel angebracht, die seine Leistungen als Begründer der Frankfurter Zeitung würdigt. Auch die Höchberger Realschule wurde nach ihm benannt.

Die ehemalige Präparandenschule (Sonnemannstraße 15) kam 1978 in den Besitz der Gemeinde Höchberg. Bis 1993 wurde sie als Wohnhaus genutzt und anschließend saniert. Im Nebenhaus entstand eine Dauerausstellung, in der die Geschichte des Hauses und der jüdischen Gemeinde Höchberg dokumentiert ist. Eine Tafel an der Fassade verweist auf die einstige Bedeutung des Gebäudes. Der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern ließ 1997 zur Eröffnung der Dauerausstellung vor dem Haus einen Gedenkstein aufstellen.

Anlässlich der Ausstellung "Geschichte und Kultur der Juden in Bayern" 1988/1989 erstellte das Haus der Bayerischen Geschichte eine Exkursion in der Würzburger Umgebung. Die Route erschließt vier jüdische Landgemeinden in Unterfanken (Heidingsfeld-Gaukönigshofen-Höchberg-Veitshöchheim).


(Christine Riedl-Valder)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Cornelia Berger-Dittscheid / Hans-Christof Haas: Höchberg. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 718-749.
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken. In: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken, München 2012, S. 95-113.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt am Main 1937, S. 65-70.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 243.