Jüdisches Leben
in Bayern

Heidenheim Gemeinde

Aus der Zeit vor dem 17. Jahrhundert gibt es keine direkten Spuren jüdischen Lebens in Heidenheim. Das nur vier Kilometer entfernte Dorf Hohentrüdingen wurde jedoch vom Rintfleisch-Pogrom des Jahres 1298 erfasst, ebenso wie Gunzenhausen, Weißenburg und Wassertrüdingen. Die Ansiedelung von Juden war nach dem Dreißigjährigen Krieg ein typischer Aspekt der Brandenburgisch-Ansbacher‘schen Siedlungspolitik, um das verwüstete Land wieder aufzurichten. Am 17. Februar 1671 erhielt Abraham aus dem pfälzischen Neuburg als erster Heidenheimer Schutzjude das Recht, sich im Marktflecken niederzulassen. Nach seinem Tod ging der Schutzbrief auf seinen Sohn Abraham Hirsch über. Ihm gehörte das Haus Nr. 127 (heute Krankenhausstraße 9). 1685 erwarb der wohlhabende Ansbacher Hoffaktor Marx (Mordochaj) Model (gest. 1709) das Anwesen Nr. 93 (heute Ringstraße 45).

Das Register der Landjudenschaft verzeichnet 1714 bereits zehn steuerpflichtige Familienhäupter. Begüterte Juden wie der Hoffaktor Aaron Fränkel beteiligten sich unter anderem an der Finanzierung drei neuer Glocken für den katholischen Münster St. Wunibald beteiligte. Mit dem fortschreitenden 18. Jahrhundert erscheinen regelmäßig jüdische Namen in Kirchen- und Rechnungsbüchern. Aus ihnen geht hervor, dass die Heidenheimer Juden in erster Linie vom Handel und der Landwirtschaft lebten, sie verkauften aber auch Vieh und Immobilien. Jüdische Wohnstätten lagen über den ganzen Ort verteilt – schwerpunktmäßig südlich des Marktplatzes im Bereich der heutigen Krankenhausstraße, Moosgasse und in der Oberen Steingrube. 1749 wurde im Haus Nr. 141 eine Herberge für jüdische Wanderbettler erbaut. Es stand noch im 19. Jahrhundert, hat sich jedoch nicht erhalten. Ihre Toten bestattenden die Gemeine bis 1783 auf dem Friedhof in Bechhofen. Im 18. Jahrhundert gehörte Heidenheim zum Distriktsrabbinat Altmühl mit Sitz Gunzenhausen. Wohl seit der Gebietsreform im Königreich Bayern 1806 war das Distriktsrabbinat Ansbach zuständig. Die alltäglichen Riten des Vorsängers und Schächters übernahm für gewöhnlich der jeweilige Lehrer in Personalunion. Es ist überliefert, dass während des Sabbats hölzerne Schranken den Synagogenbezirk weiträumig zu einem Eruv abgrenzten. 

Der bekannteste jüdische Sohn Heidenheims ist Wolf Benjamin ben Samson Heidenheim (1757-1832); nach Studien an den Jeschiwot in Fürth und Frankfurt a.M. gründete er 1799 in Rödelheim die "Privilegierte orientalische und occidentalische Buchdruckerey". Er legte viele ältere hebräische Schriften (Religionsphilosophie, mittelalterlichen Astronomie, Naturgeschichte und Grammatik) in korrigierten und kommentierten Fassungen neu auf, um sie in einer möglichst fehlerlosen Originalform der Forschung zugänglich zu machen.                

In der Nacht auf den 21. Juli 1807 wäre beinahe der ganze Ort einer Brandstiftung zum Opfer gefallen: Seligmann Lazarus legte in der Scheune seines Bruders Hirsch Lazarus Feuer, wodurch vierzehn Häuser niederbrannten.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die jüdische Bevölkerung in Heidenheim zu und erreichte 1857 mit 130 Personen ihren Höchststand. Bereits vor der Aufhebung des restriktiven Judenedikts betrieben sie Landwirtschaft und verschiedene Handwerksbetriebe. Seit 1821 ist eine israelitische Schule gesichert. Vermutlich befand sich das Klassenzimmer in einem Nebenraum der barocken Synagoge. Als dieses Gotteshaus im Jahr 1851 ein Raub der Flammen wurde, entstand wohl zeitgleich mit einer neuen Synagoge auf einem bislang unbebauten Eckgrundstück das kleine Tropfhaus, welches traditionell als "Judenschule" gilt (Hausnummer 15 b, heute Moosgasse 6). Das eingeschossige Gebäude enthielt neben dem Schulraum auch die Lehrerwohnung und eine beheizbare Kellermikwe. 1886 wurde das Schulzimmer um die Lehrerwohnung vergrößert, welcher in ein Privathaus zog. Einstweilen fand der Unterricht im ersten Stock der Bäckerei Rebmann am Marktplatz 5 statt. Die "Judenschule" mit dem Ritualbad ist zumindest in der Substanz bis heute erhalten. 

Weil sich der lange Weg nach Bechhofen schon lange als große Beschwernis erwiesen hatte, plante die Kultusgemeinde ab 1846 die Anlage eines eigenen Friedhofes im Ort. Letztendlich wurde dieses Projekt nie realisiert, dafür schloss sich Heidenheim 1873 dem Friedhofsverband Gunzenhausen an. Ansonsten verlief das Leben in Heidenheim beschaulich. Die jüdische Gemeinde engagierte sich im lokalen Vereinsleben und feierte offensichtlich gerne Feste, an denen der gesamte Ort Anteil nahm. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts führten Emanzipation und rechtliche Gleichstellung im gesamten ländlichen Raum zu einer Abwanderung der jüdischen Bevölkerung; bis 1910 hatte sich die Kultusgemeinde Heidenheim halbiert und bestand nur noch aus 53 Personen. Dadurch verkümmerte auch die Wirtschaft des ganzen Marktfleckens, weil viele Geschäftsleute und Handwerker den Ort verließen. Am Ersten Weltkrieg nahmen sechs jüdische Männer aus Heidenheim teil, Simon Rohrbach kam dabei ums Leben.                                                   

1930 besuchten die letzten drei jüdischen Kinder die christliche Volksschule; unter ihnen war Herbert Gutmann, der immer das Holz im Kanonenofen des Schulzimmers nachlegen musste, weil er "a Judabübla" war. Sein Vater Dr. Moses Gutmann (1894–1961) war Arzt und Allergologe. 1936 emigrierte er mit seiner Familie nach Palästina und gründete dort die Israelische Gesellschaft für Allergologie. Nach den Repressalien, die mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 begonnen hatten, lebten in Heidenheim 1938 nur noch 13 Jüdinnen und Juden. In der Nacht auf den 10. November wurden die jüdischen Häuser geplündert, aus einem aufgebrochenen Geldschrank stahl der Mob 30.000 Reichsmark. Die Synagoge ging in Flammen auf, der angerückten freiwilligen Feuerwehr zerschnitten SA-Leute die Schläuche. Die letzten jüdischen Bewohner verließen bis zum 6. Dezember 1938 den Markt. Acht Haushalten gelang noch rechtzeitig die Flucht ins Ausland, der letzte Vorbeter und Schächter Issak Neuburger nahm sich noch in der Pogromnacht das Leben. Dreißig gebürtige oder ansässige Heidenheimer starben als Opfer des NS-Regimes.

Am Standort der Synagoge steht heute ein Gedenkstein von 1988. An die Pogromnacht erinnert auch eine Tafel am Eingang der Hahnenkammkaserne: „Jene, die sich nicht an die Vergangenheit erinnern, sind verdammt sie zu wiederholen“. 2005 entstand im AWO Therapiezentrum und Museum Schloss Cronheim ein Modell der zerstörten Synagoge. Im fränkischen Freilandmuseum von Bad Windsheim befindet sich das 1831 erbaute jüdische Tropfhaus (Haus Nr. 73, ehemals Ostheimerstr. 1). Auf Betreiben der Internationalen Wolf-Benjamin-Heidenheim-Gesellschaft e.V. wurde 2015 ein Teil der Straße „Im Moos“ in „Wolf-Heidenheim-Gasse“ umbenannt und erinnert so an den jüdischen Gelehrten. Andere Projekte zur Aufarbeitung jüdischen Lebens in Heidenheim warten noch auf ihre Verwirklichung.

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Freilandmuseum Franken Bad Windsheim / Herbert May (Hg.): Lang gegrindet - Jüdisches Leben in Franken. Bad Windsheim 2022, S. 38.
  • Cornelia Berger-Dittscheid: Heidenheim. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 2: Mittelfranken. Erarbeitet von Barbara Eberhardt, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Angela Hager unter Mitarbeit von Frank Purrmann und Axel Töllner mit einem Beitrag von Katrin Keßler. Lindenberg im Allgäu 2010, S. 372-382.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 185.