Jüdisches Leben
in Bayern

Goßmannsdorf Gemeinde

In Goßmannsdorf gab es bis Anfang des 19. Jahrhunderts drei Herrschaften, die befugt waren, Schutzjuden aufzunehmen: die Freiherrn Zobel von Darstadt, die Freiherrn Geyer von Ingolstadt, die 1708 durch die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach abgelöst wurden, sowie das Hochstift Würzburg. 1510 werden in den Protokollen des Würzburger Domkapitels erstmals Juden aus Goßmannsdorf genannt, die in Würzburg Handelsgeschäften nachgehen wollten. In einer Urkunde aus dem Jahr 1532 sind zehn jüdische Männer erwähnt bei denen es sich vermutlich um Haushaltsvorstände handelte. Weitere Dokumente im Staatsarchiv Wertheim aus den Jahren 1514 bis 1518, 1523 und 1543 verweisen auf einzelne Juden im Ort. Ob sich damals bereits eine Kultusgemeinde mit entsprechenden Einrichtungen bilden konnte, ist nicht bekannt. 

1644 und 1662 wohnten zwei jüdische Familien im Hof der Freiherrn Geyer (Reste davon auf dem Grundstück Zehnthofstr. 31). Im Freihof der Zobel von Darstadt, der zwischen der Dorfmauer und dem heutigen Anwesen Linke Bachgasse 8 bis 11 lag, gab es im 17. Jahrhundert ebenfalls eine jüdische Familie. Um die Jahrhundertmitte erfolgte der Zuzug von mehreren jüdischen Familien aus Eibelstadt, nachdem das Domkapitel dort die gesamte Judenschaft vertrieben hatte. Sie nahmen ihr um 1610/20 angelegtes Memorbuch mit und führten es in Goßmannsdorf weiter. 1655 lebten sieben jüdische Familien, insgesamt 39 Jüdinnen und Juden, am Ort, dazu ein Schulmeister mit seiner Frau. Die Israeliten verdienten ihren Lebensunterhalt v.a. mit Vieh-, Pferde- und Warenhandel (u.a. Alteisen und Stoffe). Zwischen 1694 und 1715 erteilte das Würzburger Hochstift zwölf jüdischen Familienvätern Schutzbriefe, wodurch ihnen die Ansiedlung im Dorf erlaubt war. Wohl schon im 17. Jahrhndert existierte eine private Betstube, die in den Folgejahren der gesamten Gemeinde zur Verfügung gestellt wurde. 

1723 wird erstmals ein Ritualbad am Mühlbach erwähnt (heute: Linke Bachgasse 5). Diese private Keller-Mikwe war bis ins 19. Jahrhundert hin in Benutzung. Da sich die katholischen Dorfbewohner über die anwachsende jüdische Bevölkerung beschwerten, sicherte ihnen das Hochstift eine Reduzierung auf neun jüdische Familien zu. Die Zahl der jüdischen Bewohner stieg aber trotzdem weiter an. Deshalb wurde 1762 in der Dorfordnung eine Obergrenze von 15 jüdischen Haushalten festgelegt. Bei dieser Zahl blieb es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. 1765 erfolgte der Neubau des jüdischen Gemeindezentrums, welches Synagoge, Schulsaal und Rabbinerwohnung (heute: Zehnthofstraße 29) umfasste. Durch den großen finanziellen Aufwand dieses Bauvorhabens befand sich der Großteil der jüdischen Familien danach in desolaten wirtschaftlichen Verhältnissen. Da der Handel auf dem Gebiet des Würzburger Hochstifts etlichen Beschränkungen und Auflagen unterworfen war, hatten die jüdischen Geschäftsleute auch kaum Möglichkeiten, größere Einnahmen zu verbuchen. Die Kultusgemeinde von Goßmannsdorf unterstand religionsrechtlich in den meisten Fällen dem Oberrabbiner von Heidingsfeld und strafrechtlich dem Würzburger Hochstift. Als letzte Ruhestätte diente der Judenschaft der Verbandsfriedhof in Allersheim.

Nachdem die Region an das Königreich Bayern gefallen war, endete der Status der Schutzjuden. 1816 wurde das bayerische Judenedikt im Untermainkreis eingeführt. Bei der Erstellung der Matrikellisten erhielt Goßmannsdorf 1817 sechzehn Matrikelstellen zugewiesen. Bis zur Jahrhundertmitte erhöhte sich die Zahl auf 19 Familien. Die größte Mitgliederzahl verzeichnete die jüdische Gemeinde 1869, als ihr knapp 80 Personen angehörten. Dann verringerte sich deren Zahl bis 1897 auf 56 Mitglieder.

Die jüdische Kultusgemeinde Goßmannsdorf wurde dem Distriktsrabbinat Kitzingen zugeordnet. Ihre Religionslehrer übten gleichzeitig auch das Amt des Vorsängers und Schochets aus. Doch es wurde im Laufe der folgenden Jahrzehnte immer schwieriger, Lehrer, die nun staatlich geprüft sein mussten, zu finden. Deshalb beschäftigte die Kultusgemeinde zeitweise jüdische Religionslehrer aus den Nachbarorten. Auf die Dauer war dies jedoch kein zufriedenstellender Zustand. Eine längerfristige Lösung brachte erst die Anstellung von Moses Waizfelder im Jahr 1861. Aufgrund seines geringen Gehalts musste er sich aber ständig um Nebeneinkünfte bemühen. Das über 100 Jahre alte Tauchbad im Keller des Privathauses Linke Bachgasse 5 musste auf sanitätspolizeiliche Anweisung hin 1835 geschlossen werden, da es nicht beheizbar war und man sich nicht über die Kosten einer Sanierung einig werden konnte. In der Folgezeit benutzte man das Ritualbad in Sommerhausen.

In der ersten Jahrhunderthälfte verdienten sich die jüdischen Haushalte ihren Lebensunterhalt weiterhin größtenteils im mobilen Kleinhandel. Erst im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung veränderte sich die Erwerbsstruktur. Jüdische Ladengeschäfte eröffneten mit einem breiten Sortiment an Gütern des täglichen Bedarfs. Isaak Saalheimer stieg zu einem erfolgreichen Stoffhändler auf und wurde in den 1880er Jahren zu einem der größten Gewerbesteuerzahler im Ort. Damals waren die Israeliten weitgehend im gesellschaftlichen Leben integriert. Die Juden hatten sich 1870/71 im Krieg engagiert; sie waren Mitglieder der Feuerwehr und der dörflichen Vereine. Auch in den Gemeindeämtern waren sie vertreten; beispielsweise war der Viehhändler Joseph Firnbacher zwischen 1894 und 1904 im Gemeinderat aktiv. Da es den Juden seit dem Fall des Matrikelparagraphen 1861 erlaubt war, sich überall anzusiedeln, gab es in Goßmannsdorf wie auch in anderen Landgemeinden eine starke Abwanderung in die Städte, die bessere Lebens-und Berufsbedingungen boten. Nach dem Tod von Kultusvorstand Isaak Saalheimer 1911 bestand die jüdische Gemeinde nur mehr aus fünf Familien. Schon zuvor konnte der Minjan nicht mehr durch genügend Männer im Ort gebildet werden, so dass gemeinsame Gottesdienste nur mehr durch die Beteiligung auswärtiger Juden möglich waren. Die Kultusgemeinde war auch finanziell am Limit. Daher gewährte das Bezirksamt 1917 einen Zuschuss für Reparaturen, um die Synagoge "vor dem gänzlichen Verfall zu bewahren". 1910 gehörten der jüdischen Gemeinde nur noch 16 Mitglieder an, bis 1925 verringerte sich die Zahl nochmal auf zwölf.

Bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 lebten noch sieben Jüdinnen und Juden im Ort. Ihr Leben gestaltete sich unter dem NS-Regime durch die wachsenden Anfeindungen und Ausgrenzungen aus dem öffentlichen Leben als zunehmend schwierig. 1935 beschloss der Gemeinderat, dass keiner, der noch Geschäftsbeziehungen mit jüdischen Bürgern unterhält, mehr öffentliche Leistungen und Aufträge erhalten sollte. 1938 löste der letzte Vorstand Jakob Mayer die Kultusgemeinde auf und übergab die Ritualien dem Verband Bayerischer Israelitischer Gemeinden in München. Während des Novemberpogroms (10./11.11.1938) schickte die Ochsenfurter NSDAP-Kreisleitung eine Horde von rund 30 SA- und SS-Männern durch den Landkreis, um in den einzelnen Orten die Synagogen und Anwesen der jüdischen Bevölkerung zerstören zu lassen. Goßmannsdorf war die erste Station, in dem der Mob einfiel. Die Männer brachen die Häuser der jüdischen Familien und deren Synagoge auf, verwüsteten die Inneneinrichtungen und drangsalierten die jüdischen Bürger. Die jüdischen Männer wurden verhaftet und in das Gefängnis nach Ochsenfurt gebracht.

Am 21. Januar 1939 verkauften die beiden letzten jüdischen Familien, die noch im Dorf verblieben waren, die Synagoge und das daran angebaute Gemeindehaus weit unter Wert an die Gemeinde. Drei Jüdinnen und Juden gelang noch die Emigration ins Ausland. Der letzte Kultusvorsteher Jakob Mayer musste im Oktober 1939 sein Haus verkaufen und zog im März 1940 mit seiner Frau Klara in das Altersheim nach Würzburg. Von dort wurde das Ehepaar im September 1942 nach Theresienstadt deportiert und umgebracht. Das letzte noch im Dorf lebende jüdische Ehepaar - Seligmann Lind und Gisela Lind geb. Adler - wurde im März 1942 nach Izbica bei Lublin verschleppt und ermordet. Im jüdischen Gemeindezentrum hat man während des Zweiten Weltkriegs zeitweise französische Kriegsgefangene untergebracht.

Die Gewalttätigkeiten während des Novemberpogrom 1938 wurden am Landgericht Würzburg ab 1946 in vier Prozessen aufgearbeitet. Elf Männer erhielten wegen Haus- und Landfriedensbruchs Haftstrafen von drei Monaten bis zu einem Jahr.

Während der Abwicklung des Restitutionsverfahrens mit der JRSO (Jewish Restitution Successor Organisation) trat die Gemeinde Goßmannsdorf 1949 von dem Vertrag als Käuferin der Synagoge zurück und stimmte im Folgejahr einem Vergleich zu, durch den der Ertrag aus der Nutzung an einen Treuhänder der JRSO fiel. Anfang 1952 stand die Synagoge leer; das einstige jüdische Gemeindehaus war zu einem Wohnhaus umgebaut worden. Im November 1952 erwarb ein Privatmann das gesamte Anwesen und ersetzte es 1957 weitgehend durch einen Neubau. Ein Teil der Umfassungsmauern ist bis zur Gegenwart erhalten. An der Ostseite des Hauses ist noch die bauliche Ausbuchtung zu sehen, in der sich der Toraschrein befand.

Das erhaltene Memorbuch der jüdischen Gemeinden Eibelstadt und Goßmannsdorf befindet sich heute im jüdischen Zentralarchiv in Jerusalem; eine Kopie wird in Eibelstadt aufbewahrt. Die Schriftstücke einer 1988 bei Umbaumaßnahmen in der ehemaligen Synagoge entdeckten Genisa wurden dem Stadtarchiv Ochsenfurt übergeben.

 

(Christine Riedl-Valder)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Axel Töllner / Hans-Christof Haas: Goßmannsdorf. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade, Lindenberg im Allgäu 2015, S. 666-680.
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken. In: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken. München 2012, S. 95-113.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt am Main 1937, S. 46f.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 239.