Jüdisches Leben
in Bayern

Giebelstadt Gemeinde

Der älteste Hinweis auf jüdisches Leben in Giebelstadt stammt aus dem Protokoll einer Gerichtsverhandlung in Sulzdorf aus dem Jahr 1691. Darin wird der „schwarze Jud aus Giebelstadt“ erwähnt. Im Ort lagen zwei Herrensitze: Das fränkisch-schwäbische Uradelsgeschlecht der Zobel hatte seinen Stammsitz auf Schloss Giebelstadt. Daneben verfügten seit dem Aussterben der Geyer von Giebelstadt im Jahr 1708 die Markgrafen von Brandenburg-Ansbach über Anteile an der Herrschaft und der Gerichtsbarkeit des Ortes. Seit 1711 sind Schutzjuden der Zobel nachgewiesen. 1720 zählte man acht jüdische Haushalte, die den Freiherren Abgaben leisten mussten. Ihre Zahl soll sich jedoch innerhalb von zwanzig Jahren auf nur noch eine Familie reduziert haben. Da das 1757 fertig gestellte Memorbuch des Ortes eine Widmung an den Ansbacher Markgrafen Christian Friedrich Karl Alexander enthält, war dieser wohl auch ein Schutzherr jüdischer Familien im Ort. 1787 umfasste die Kultusgemeinde 24 jüdische Haushalte mit rund 125 Personen. Sie verfügte über folgende Einrichtungen: eine 1797/98 neu erbaute Synagoge (heute Mergentheimer Straße 18); südlich davon stand ein Schulhaus mit Lehrerwohnung (Haus Nr. 63) und daran nach Westen anschließend eine Mikwe. Die verstorbenen wurden auf dem jüdischen Verbandsfriedhof in Allersheim beigesetzt.

1814 gehörten der israelitischen Kultusgemeinde von Giebelstadt 103 Mitglieder an. Bei der Erstellung der Matrikellisten erhielt der Ort 1817 die Genehmigung für 19 jüdische Haushalte. Bis in die 1830er Jahre vergrößerte sich die jüdische Bürgerschaft des Dorfes, erreichte 1833 ihren Höchststand mit 24 jüdischen Familien (124 Personen) und nahm anschließend stetig ab (1872 noch 72 Personen; 1897 nur noch 56 Jüdinnen und Juden). Anfang des Jh. zählte der Großteil der Familien zu den Geringverdienern. Sie bestritten ihren Lebensunterhalt als Kleinhändler oder Vermittler von Geschäftsbeziehungen („Schmuser“). Bis zur Mitte des Jh. verbesserte sich jedoch deren Lebensstandard. 1859 gab es nur noch vier mittellose jüdische Familien, dagegen aber drei Metzger, drei Viehhändler, zwei Landwirte, einen Schuhmacher und fünf jüdische Ladengeschäfte.

Die jüdische Gemeinde musste für ihr Ritualbad und das Schulhaus in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts noch Abgaben in Geld und Naturalien an die Zobelsche Gutsherrschaft leisten. Zur Besorgung religiöser Aufgaben war seit 1809 ein Religionslehrer angestellt, der oft zugleich als Ortsrabbiner, Vorsänger und Schochet wirkte. Die jüdische Gemeinde gehörte zum Distriktsrabbinat Kitzingen (ab 1937 Distriktsrabbiner Würzburg). Den Elementarunterricht besuchten die jüdischen Kinder in der katholischen Schule im Ort. Ein Antrag auf Eröffnung einer israelitischen Volksschule im Jahr 1843 wurde nicht genehmigt. 1848/49 besuchten insgesamt 40 Kinder die katholische Schule; 15 von ihnen gehörten der jüdischen Konfession an.

Nach der Abschaffung des Matrikelparagraphen im Jahr 1861 wanderten viele Jüdinnen und Juden in die Städte ab, da dort bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen herrschten. Die jüdische Gemeinde geriet durch diesen Mitgliederschwund und die daraus resultierenden verringerten Beiträge schon bald in finanzielle Schwierigkeiten. Eine schon länger anstehende Sanierung des Schulhauses konnte daher erst 1881 durchgeführt werden. Ein 1911 erfolgter Synagogen-Neubau brauchte die finanziellen Mittel der Kultusgemeinde völlig auf; notwendige Instandhaltungsarbeiten an den Gemeinde-Einrichtungen konnten in der Folgezeit nur noch durch Zuschüsse bewerkstelligt werden. Die jüdischen Mitbürger waren bis Anfang 1930 in das Dorfleben gut integriert.

Bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 lebten noch rund 50 Jüdinnen und Juden in Giebelstadt. Im selben Jahr gründete Bürgermeister Otto Scheer eine NSDAP-Ortsgruppe und sorgte für die konsequente Umsetzung aller Befehle, die aus der Parteizentrale kamen. SA-Leute besetzten im Juni 1933 die Dorfausgänge und durchschnitten die Telefonleitungen von Juden und nicht parteitreuen Zeitgenossen. Einen gewaltigen wirtschaftlichen Aufschwung brachte der Bau des Fliegerhorstes Giebelstadt, der Anfang Mai 1935 eröffnet wurde. Östlich und westlich des Dorfes entstanden anschließend zwei separate Siedlungen mit zahlreichen Wohnungen für die Angestellten der Deutschen Luftwaffe und ihre Familien. Dadurch verdreifachte sich innerhalb weniger Jahre die Einwohnerzahl. Diese massive Präsenz der Nationalsozialisten im Ort bedeutete für die verbliebenen Israeliten eine große Bedrohung. Jeder, der die Möglichkeit zur Auswanderung hatte, verließ Giebelstadt. Durch den wirtschaftlichen Boykott verarmten die restlichen jüdischen Familien völlig; Diffamierungen und Ausgrenzungen sorgten für zusätzliches Leid. 1938 gab es im Dorf noch fünf jüdische Haushalte mit 12 Personen.

Während des Novemberpogrom 1938 wurden die Israeliten von rund 30 SS- und SA-Männern, die aus dem benachbarten Goßmannsdorf kamen, überfallen. Ihre Wohnungen wurden aufgebrochen, Inneneinrichtung, Hausrat und Vorräte zerstört, jüdische Geschäfte verwüstet und die Waren auf die Straße geworfen. Auch die Synagoge wurde im Innern völlig zerstört; der wütende Mob zerschlug auch die Fenster und Türen. Ein jüdischer Einwohner wurde schwer verprügelt, andere hat man festgenommen und in das Amtsgerichtsgefängnis nach Ochsenfurt verfrachtet. Nach dem Novemberpogrom fielen die jüdischen Geschäfte in arischen Besitz. Die letzten jüdischen Anwesen und alle Gebäude, die sich im Besitz der Kultusgemeinde befanden, mussten zwangsweise zu Spottpreisen verkauft werden. Bis 1941 emigrierten 16 der jüdischen Bürger Giebelstadts nach Palästina, Argentinien, in die USA und die Schweiz; andere zogen nach Würzburg oder in andere deutsche Städte um. Am 21. März 1942 wurden die letzten fünf jüdischen Einwohner über Kitzingen und Würzburg nach Izbica bei Lublin deportiert und ermordet.

Vorübergehend nochmals zahlreiche Juden im Ort. Die US-Armee richtete nahe dem Flughafen ein Lager für 1700 jüdische DPs ein, zumeist Überlebende der befreiten Arbeits- und Todeslager. Ursprünglich waren sie bei Grafenwöhr in der Oberpfalz untergebracht, kamen aber im Frühjahr 1948 im Rahmen einer großen Verlegung nach Giebelstadt. Sie wohnten unter dem Schutz der amerikanischen Militärregierung, abgeschirmt von den Dorfbewohnern, in den Siedlungen, die während der NS-Zeit für die Angestellten des Fliegerhorstes errichtet wurden. Das "Jüdische Komitee Giebelstadt" hatte eine eigene Verwaltung und unterhielt Bildungs- und Kultureinrichtungen, darunter u.a. eine Synagoge, einen Kindergarten, einen Theatersaal, eine Berufsschule und eine Bibliothek. Bis zum Sommer 1949 bereiteten sich die DPs hier auf ihre Auswanderung nach Israel, Kanada, Australien oder in die USA vor. Im Juli 1949 wurde das Lager Giebelstadt aufgelöst.

Vor dem Würzburger Landgericht fanden zwischen 1946 und 1951 mehrere Prozesse gegen elf der an den Ausschreitungen beim Novemberpogrom 1938 im Landkreis Ochsenfurt Beteiligten statt. Acht von ihnen wurden wegen schweren Landfriedensbruch und Hausfriedensbruch zu Gefängnisstrafen von drei Monaten bis zu einem Jahr verurteilt. An die einstige jüdische Gemeinde und an deren Synagoge erinnert heute nur noch eine Gedenktafel im Treppenhaus des Giebelstädter Rathauses.


(Christine Riedl-Valder)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Cornelia Berger-Dittscheid: Giebelstadt, in: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade, Lindenberg im Allgäu 2015, S. 651-665.
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken, in: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken, München 2012, S. 95-113.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, 2 Bde., Frankfurt/Main 1937 u. 1938, hier S. 85-87.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 239.