Jüdisches Leben
in Bayern

Gerolzhofen Gemeinde

Ein Eintrag im ältesten Lehenbuch des Hochstifts Würzburg aus der Zeit vor 1331 erwähnt erstmals "Häuser von Juden" in Gerolzhofen. Archivalisch nachweisbar sind sie in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, als der Würzburger Bischof Johann II. von Brunn (reg. 1411-1440) seinen Schutzjuden im Jahr 1414 Wohnrecht und beschränkten Handel in "Würzburg, Neustadt, Haßfurt und Gerolzhofen" gewährte. Acht Jahre später werden Gerolzhöfer Juden im Zusammenhang mit einer Gefangennahme durch denselben Bischof während einer Fehde mit Erkinger von Seinsheim erwähnt. 1448 gestand das Hochstift den fünf damals in Gerolzhofen lebenden Juden dieselben Freiheiten wie den Würzburger Juden zu. 

Einzelne Juden werden im 16. Jahrhundert greifbar. Eine wichtige Rolle spielte Abraham von Gerolzhofen, der zwischen 1540 und 1561 in den Akten nachweisbar ist. Er betätigte sich als regionaler Kreditgeber und stand auch im Dienst von Fürstbischof Melchior Zobel von Giebelstadt, dem er wahrscheinlich als Hoffaktor ebenfalls Geld lieh und auch Waren vermittelte. Abraham trat als Barnos der Würzburger Landjudenschaft in Erscheinung, als er beispielsweise 1558 im Auftrag Zobels dessen Geldforderungen von den Juden eintreiben sollte.

Als 1591 die zuvor reichsunmittelbare Herrschaft Gerolzhofen an das Hochstift fiel, setzte Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn (reg. 1573-1617) seine rigide Judenpolitik auch dort um und lies alle Juden ausweisen. Während des Dreißigjährigen Krieg konnten sich Juden – nach der Aussetzung des Niederlassungsverbots – wieder in Gerolzhofen niederlassen. Eine von Bürgermeister und Rat verfasste Beschwerde von 1625 deutet auf eine antijüdische Stimmung im Dorf hin, dokumentiert jedoch zugleich die Anfänge einer provisorischen jüdischen Gemeinde. Es entstanden eine Mikwe, ein Betsaal und der bis heute existierende Friedhof.

Nachdem sich in der Folgezeit weitere Juden in Gerolzhofen niedergelassen hatten, lebten dort 1655 bereits sieben Familien mit 27 Personen als Schutzjuden des Hochstifts Würzburg. Ein eigenes Haus bewohnte aber nur der aus Untereisenheim stammende Meier, der auch in Lülzfeld ein großes Feld als Lehen besaß. Sein Vermögen hatte Meier als Kreditgeber und Lederhändler erworben. Vom Handel lebten auch die meisten anderen Juden in Gerolzhofen.1691 ordnete ein Bescheid des zuständigen Kastenamts an, dass der ortsansässige Schutzjude Cusel nur in seinem Privathaus mit Eisen handeln durfte. Für das Jahr 1699 sind in Gerolzhofen sechs jüdische Familien mit 32 Personen nachweisbar, die Großteils vom Handel mit den würzburgischen Orten in der Umgebung lebten.

Ein jüdischer Lehrer ist erstmals 1675 nachgewiesen. Ende des 17. Jahrhunderts ließen zwei Familien ihre Kinder von Privatlehrern unterrichten. Seit 1715 ist in Gerolzhofen eine Chevra Kaddischa (Beerdigungsbruderschaft) nachweisbar. 1747 beschwerten sich Bürgermeister und Rat über die vom Fürstbischof erlaubte Ansiedlung zweier neuer Schutzjuden, da sie von der hierdurch gestärkten jüdischen Konkurrenz weitere Gewinneinbußen befürchteten. Die Beschwerde war wohl erfolgreich, da 1763 nur sechs jüdische Hausväter mit Familien in Gerolzhofen lebten und so die bereits im 17. Jahrhundert festgelegte Zahl nicht überschritten wurde. Im Jahr 1783 kam es zum Konflikt zwischen dem 1773 als Vorsänger, Lehrer, Schächter und Totengräber angestellten Hayum Gabriel und drei weiteren Gemeindemitgliedern, die beanstandeten, dass Gabriel von ihm aufgenommene auswärtige jüdische Kinder mit den Gerolzhöfer Schülern unterrichte und durchreisende Juden gegen Entgelt beherbergte. Da jedoch Gabriels Anstellungsvertrag die Unterrichtung auswärtiger Kinder nicht ausdrücklich untersagte, wurde ihm diese Praxis im begrenzten Umfang durch Fürstbischof Franz Ludwig von Erthal (reg. 1779-1795) auch weiterhin gestattet. 1781 war die jüdische Gemeinde in Gerolzhofen 1791 auf vier Familien geschrumpft.

Auch im Jahr 1802 lebten nur vier Schutzjuden mit ihren Familien in Gerolzhofen. Ein größeres Vermögen besaß um 1810 nur Joseph Raphael, der von der Würzburger Regierung in die erste Vermögensklasse eingestuft wurde. Ein weiterer wohlhabender Jude, der Würzburger Bankier Julius von Hirsch, war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Eigentümer eines Guts in Gerolzhofen.

Bei der Erstellung der Matrikellisten 1817 werden auf den insgesamt sieben Matrikelstellen in Gerolzhofen die folgenden Familienvorsteher genannt (mit bereits neuem Familiennamen und Erwerbszweig): Hirsch Hirschberger (Schnitt- und Weinhandel), Jacob Hitzinger (Handel mit alten Kleidern), Joel Uhlfelder (Schnitthandel), Lazarus Hirschberger (Tuch- und Spezereihandel), Raphael Bamberger (Handel mit kleinen Ellenwaren), Raphael Jacobi (Schmusen), Witwe Rifka Schloß (Kapitalien sowie Wein- und Schnitthandel).

Antisemitische Ressentiments auf Behördenebene werden 1820 in einem Bericht des Gerolzhofener Landrichters Hugo Franz Wirth an die Regierung des Untermainkreises deutlich: Wirth unterstellte unter anderem, die Juden im Ort hätten an "ehrbaren" Handwerksberufen kein Interesse sondern würden es bevorzugen, im Viehhandel die lokalen Bauern zu ruinieren. Wirths Nachfolger relativierte zwar 1825 die Aussagen seines Vorgängers, sah aber den privaten Hebräischunterricht durch Vorsänger und Schächter als Problem. Angeblich würde hierdurch Aberglauben weitergegeben.

Ungefähr seit 1822 war mit Gabriel Burg, der auch als Vorsänger, Schächter und Friedhofspfleger amtierte, erstmals ein geprüfter Lehrer für die jüdische Gemeinde Gerolzhofen tätig. 1828 verfügte die Regierung von Unterfranken die offizielle Einrichtung einer Religionsschule. Trotz Widerstände in der Gemeinde wirkte Burg bis zu seinem Tod 1856 im Alter von 85 Jahren.

1849 kam es zum Konflikt zwischen dem der Gemeinde und dem Landgericht, da die Behörde sämtliche Eruv-Drähte und Schabbatschranken im ganzen Bezirk verboten hatte. Das Innenministerium entschied den Rechtsstreit schließlich zugunsten der jüdischen Gemeinden. Einige Jahrzehnte später kam es nach dem Abbruch der Gerolzhöfer Stadttore und der dadurch bedingten Zerstörung des Eruv zum Konflikt zwischen der jüdischen Gemeinde und dem Stadtmagistrat. Trotz einer bereits 1871 erfolgten Entscheidung der Kreisregierung zugunsten der jüdischen Gemeinde kam es erst 1880 zu einem Kompromiss: Die Schabbatdrähte wurden in verschließbaren Kästchen aufbewahrt und im Bedarfsfall über die Straße gespannt. Nachdem sich diese Lösung als ungünstig erwies, dienten die Schabbatdrähte schließlich zur Aufhängung der Straßenbeleuchtung.  

Nach der Abschaffung des Matrikelgesetzes 1861 wuchs die jüdischen Gemeinde in Gerolzhofen kontinuierlich. 1868 erteilte Josef Löb Kellermann, der 1883 starb, elf jüdischen Kindern Religionsunterricht.1870 oder 1888 wurde in Gerolzhofen eine "Heilige Schwesternschaft" gegründet. Für Unterhaltung sorgte der 1894 gegründete jüdische Verein "Frohsinn".

1900 war mit 148 Personen der Höchststand der IKG Gerolzhofen erreicht. 1900 gehörten 148 Personen zur jüdischen Gemeinde (6,8 Prozent der Gesamtbevölkerung). Anfang des 20. Jahrhunderts gehörte die Gemeinde zum Rabbinatsbezirk Schweinfurt. Von 1908 bis 1938 wirkte Heinrich Reiter als letzter jüdischer Religionslehrer in Gerolzhofen, der 1933 sein 25-jähriges Dienstjubiläum feiern konnte und 1934 den Titel eines "Chawers" (quasi Ehrenrabbiners) erhielt. 

Die jüdische Integration in die Stadtgesellschaft belegten Geschäfte wie das Manufaktur- und Konfektionsgeschäft von Emanuel Lewisohn, die Eisen- und Maschinenhandlung Kohn und die Schuhhäuser von Moriz Schwarz und Max Henle, die Lederhandlung von Otto Hahn und das von Frieda Lichtenauer geführte Modehaus. Bis in die 1930er Jahre existierten außerdem vier Viehhandelsgeschäfte, ein koscherer Metzger und das Café Pfeifer. Zahlreiche jüdische Bürger waren auch in den örtlichen Vereinen vertreten, wie dem Krieger- und Veteranenverein Gerolzhofen, der Freiwilligen Feuerwehr, der 1. Rad- und Kraftfahrervereinigung 1898, der Schützengesellschaft, dem Turnverein, dem Liederkranz, dem Fußballverein und dem Steigerwald-Klub. Juden engagierten sich auch politisch im Stadtrat, der Bürgerwehr und dem städtischen Armenrat.

Als nach dem Ende des Ende Weltkriegs antisemitische Tendenzen spürbar zunahmen, wurde bereits am 1. Mai 1920 in Gerolzhofen eine Ortsgruppe des "Jüdischen Jugendvereins" gegründet, der eine jüdische Identität stärken sollte.

Im Frühjahr 1923 wurde das Schaufenster des Modegeschäfts von Frieda Lichtenauer eingeworfen, und vor einer Veranstaltung der antisemitischen Agitatorin Andrea Ellendt (1890-1931) kam es zu tumultartigen Schlägereien.1924 gab der Kolonialwarenhändler Siegfried Krämer den Anstoß zur Gründung einer Ortsgruppe des "Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten". Der Mord, den der Sohn des jüdischen Kaufmanns Moriz Schwarz am 23. Februar 1925 am Dienstmädchen seiner Eltern begangen hatte, wurde von der nationalsozialistischen Propaganda in ganzen Artikelserien instrumentalisiert.

Bereits kurz nach der NS-Machtübernahme 1933 wurde Moriz Schwarz im März mehrere Monate in Dachau interniert, da er öffentlich für den Kommunismus eingetreten sei. Im November 1937 wanderte er nach Palästina aus. Für den Ausschluss der Gerolzhöfer Juden aus der Öffentlichkeit und dem Wirtschaftsleben sorgte Ortsgruppenleiter Ludwig Schwarz, der einen Boykott jüdischer Geschäfte veranlasste und in den Gaststätten und Cafés Schilder mit der Aufschrift "Juden sind hier unerwünscht" anbringen ließ. Im November 1936 schlugen unbekannte Täter Fensterscheiben jüdischer Privathäuser ein. Zwei Jahre später, im Oktober 1938, fand in Gerolzhofen ein antisemitischer Propagandamarsch statt, nachdem der Frankenwinheimer Viehhändler illegal ein totes Kalb in seinem Garten begraben hatte. Wie bereits 1936 gingen dabei Fensterscheiben von jüdischen Privathäusern und auch von Geschäften zu Bruch.

Am Morgen des 10. November 1938 zerstörten Mitglieder der lokalen NS-Kampfverbände die Inneneinrichtung jüdischer Wohnungen und misshandelten die Hausbesitzer. Nach der Verhaftung eines Teils der Gerolzhöfer Juden und der Schändung der Synagoge überfielen rund 30 Personen die bis dahin noch unzerstörten jüdischen Wohnungen und Geschäfte. Zahlreiche Juden wurden beleidigt, geschlagen und gedemütigt. Um der Verfolgung zu entgehen, verließen 96 Gerolzhöfer Juden zwischen 1933 und 1942 ihre Heimat. Sie emigrierten vor allem in die USA, aber auch nach England, Palästina und Holland oder zogen innerhalb Deutschlands um. In den Jahren 1941/42 wurden die noch in Gerolzhofen verbliebenen Juden zum größten Teil deportiert und fielen bis auf Flora Tully, die mit dem katholischen Steinbildhauer Otto Tully verheiratet war, der Shoah zum Opfer. 

Am 6. November 1988 enthüllte die Stadt Gerolzhofen einen Gedenkstein in Stelenform, der an die ermordeten Gerolzhofener Juden erinnerte. 2007 wurde die Gedenkstätte um eine Stein- und eine Schautafel erweitert. 2014, 2015 und 2016 verlegte der Künstler Gunter Demnig (*1947) mehrere Stolpersteine, die an ehemalige Gerolzhöfer Juden erinnern. Teil des dezentralen Denkmals „DenkOrt Deporationen“ ist seit 2019 und 2020 jeweils ein Metallkoffer, der in der Marktstraße und vor dem Würzburger Hauptbahnhof an die deportierten Gerolzhöfer Juden erinnert. Stadtführungen zur jüdischen Geschichte in Gerolzhofen werden immer wieder angeboten, weitere Auskünfte und Termine gibt das Tourismusamt im Rathaus.


(Stefan W. Römmelt)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Cornelia Berger-Dittscheid: Gerolzhofen. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.2. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 1325-1364.
  • Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns (Hg.) / Cornelia Berger-Dittscheid (Bearb.): Mehr als Steine. Synagogen in Unterfranken. Eine Ausstellung des Staatsarchivs Würzburg in Kooperation mit dem Team des Synagogen-Gedenkbands Bayern und dem Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe. München 2021 (= Staatliche Archive Bayerns - Kleine Ausstellungen 68), S. 105f.
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken, in: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken. München 2012, S. 95-113.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt am Main 1937, S. 144-146.