Jüdisches Leben
in Bayern

Geretsried Gemeinde

Da Geretsried zum 1. April 1950 aus der namengebenden Gemeinde und weiteren umliegenden Ortsteilen gegründet wurde, ist sie die jüngste Stadt Bayerns. In keinem der zusammenfassten Siedlungen hat es eine jüdische Bevölkerung gegeben. Während des Zweiten Weltkriegs entstanden auf dem heutigen Stadtgebiet zwei große Sprengstofffabriken, jeweils eine der Deutschen Sprengchemie (Tochterfirma der WASAG) und der Verwertchemie (Tochterfirma der Dynamit AG), die auf dem Gebiet der heutigen Ortsteile Stein und Gartenberg lagen. Nach dem Sturz der NS-Diktatur gründeten die US-Armee und die UNRRA in einer ehemaligen Fabrikarbeitersiedlung ein DP-Lager mit zahlreichen Einrichtungen, in dem zumeist osteuropäische Jüdinnen und Juden eine Heimat auf Zeit fanden.

Das jüdische DP-Lager Geretsried öffnete im März 1947 und beherbergte im April 177 Personen. Im Sommer waren es schon fast 600, zumal auch die DPs aus dem Trainingskibbutz "Chana Senesch" bei Holzhausen heirher verlegt wurden, und im Januar 1948 erreichte das Lager mit 806 Bewohnern die Höchstzahl. Die DPs verwalteten sich wie es üblich war größtenteils selbstständig und wählten ein Komitee unter dem Vorsitz von Herzl Wetrin, Al Giercyk und David Jakubowitz. Eine eigene Lagerpolizei sorgte für die innere Sicherheit, es gab zwei Sportvereine (Negew Geretsried, Hapoel Geretsried). Das DP-Lager Geretsried hatte im vergleich eine ausgeprägtere religiöse bzw. zionistische Prägung, wobei sich daraus keine persönlichen Rückschlüsse auf die einzelnen Bewohner ziehen lassen. Jedenfalls unterhielt die damals noch illegale jüdische Miliz Hagana hier eine Trainingsstätte, um Kämpfer für die Auseinandersetzungen in Palästina heranzubilden, es gab eine Synagoge und einen Cheder (Religionsschule). Zur Ausbildung der Kinder und zur Vorbereitung auf das Pionierleben in Palästina stellte die UNRRA das Personal für eine jüdische Volksschule, eine Berufsschule, und sie richtete eine Bibliothek ein. In Geretsried wurde außerdem eine Sonderschule für sprachbehinderte DPs gegründet: Sog. "Taubstumme" und "Stotterer", wobei letztere oft durch die enormen körperlichen und seelischen Belastungen diese Symptome entwickelt hatten und vor allem psychologische Hilfe brauchten. Nach der Gründung des Staates Israel am 14. Mai 1948 wanderten die DPs nach und nach aus, andere wurden verlegt oder bauten sich im Land der Täter eine neue Existenz auf. Das DP-Lager zählte im Dezember 1949 noch 435 Bewohner und wurde im laufe des Jahres 1950 geschlossen.


(Patrick Charell)