Jüdisches Leben ist in Gemünden bereits Ende des 13. Jahrhunderts. nachweisbar. Das Nürnberger Memorbuch verzeichnet unter den Opfern des Rintfleischpogroms 1298 auch Opfer aus Gemünden, die von judenfeindlichen Horden ermordet wurden. Aus den folgenden Jahrzehnten existieren dann nur spärliche Nachrichten über einzelne Juden, die aus Gemünden stammten und als Neubürger in Nürnberg erfasst wurden. Erst 1558 ist unter der Herrschaft des Würzburger Bischofs Melchior Zobel von Giebelstadt (reg. 1544-1558) wieder ein Schutzjude aus Gemünden verzeichnet. Unter Melchiors Nachfolger Friedrich von Wirsberg (reg. 1558-1573) war es jedoch alle Juden wieder verboten, sich im Hochstift Würzburg anzusiedeln.
Im Jahr 1563 wurde städtischen Wochenmarkt vom Donnerstag auf den Samstag verlegt, Dies geschah wohl, um jüdische Kaufleute vom Handel auszuschließen, weil sie am Schabbat nicht arbeiten dürfen. Für die Jahre 1638, 1655 und 1675 bezeugen Aktennotizen aus dem Archiv des Hochstift Würzburg die Existenz von einer, bzw. zwei jüdischen Familien in Gemünden. Sie gehörten der wohlhabenden Bevölkerungsschicht an und hatten einen Lehrer für ihre Kinder angestellt.
1675 umfasste die jüdische Gemeinde 17 Personen. Um 1720 kamen zwei weitere jüdische Haushalte hinzu, die Johann Heinrich Stern, der Besitzer eines Rittergutes in Kleingemünden ansiedelte. Damit hatte die städtische Gemeinde vermutlich den Minjan erreicht. Ihre Toten begrub die Gemündener Gemeinde in Altengronau (Hessen), und Pfaffenhausen bei Hammelburg.
Die jüdische Gemeinde in Gemünden verblieb bis Mitte des 19. Jahrhunderts bei einem Umfang von drei bis vier Familien mit zehn bis 20 Personen. Ihre Mitglieder verdienten sich den Lebensunterhalt mit dem Handel von Eisen, Ellenwaren (Stoffzuschnitte) und Spezereien (Gemischtwaren). Als Begräbnisorte dienten weiterhin die jüdischen Friedhöfe in Altengronau und Pfaffenhausen; dazu kam noch der Gottesacker in Laudenbach. Die Kreisregierung führte 1832 den israelitischen Schulsprengel Adelsberg-Gemünden ein, mit Sitz des Religionslehrers in Adelsberg. Gleichzeitig wurde angeordnet, dass die jüdischen Kinder den allgemeinbildenden Unterricht in den christlichen Schulen besuchen müssen.
Nachdem 1861 der Matrikelparagraph abgeschafft worden war, der die Anzahl der jüdischen Haushalte in Gemünden auf drei begrenzt hatte, zogen viele jüdische Familien aus dem umliegenden Landgemeinden in die Stadt. 1884 konnte deshalb mit Genehmigung des Distriktrabbiners aus Bad Kissingen eine eigene Kultusgemeinde gegründet werden. Zu ihr gehörten sechs Jahre später 90 Mitglieder; im Jahr 1900 erreichte sie mit 100 Personen ihren Höchststand. Um die nötigen Voraussetzungen für die Einrichtung einer israelitischen Kultusgemeinde vorschriftsmäßig zu erfüllen, erfolgte 1887/88 in der Plattnersgasse der Neubau eines Gemeindehauses mit Synagoge, Ritualbad, sowie Schul- und Versammlungsraum.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 war – wie überall in Deutschland – auch die israelitische Kultusgemeinde von Gemünden mit ihren damals rund 70 Mitgliedern wachsender Entrechtung und gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt. Die beiden jüdischen Stadtratsmitglieder verloren im April 1934 ihre Ämter. Aufgrund der fortschreitenden Repressalien verließen in der Folgezeit viele Jüdinnen und Juden Gemünden, zogen in Großstädte um oder wanderten aus. Im März 1938 gingen bei antisemitischen Ausschreitungen die Fenster der Synagoge und jüdischer Privathäusern zu Bruch. Die jüdische Gemeinde, die zu dieser Zeit nur noch rund 20 Mitglieder zählte, plante bereits ihre Auflösung und verhandelte im August 1938 mit dem Stadtrat über den Verkauf der Synagoge. Um Platz für den Straßenverkehr zu schaffen, war von den Stadtoberen der Abriss nämlich mehrere Häuser in der Plattnergasse vorgesehen.
Während des Novemberpogroms 1938 drangen SA-Männer in die Privatwohnungen jüdischer Bürger ein und zerstörten sie. Die Synagoge wurde aufgebrochen, geplündert und durch eine Brandbombe verwüstet, die in der Stadt verbliebenen jüdischen Männer verhaftet und interniert. Auch ein Nichtjude, Franz Holzemer, der seine israelitischen Nachbarn in dieser Notsituation unterstützen wollte, wurde monatelang eingesperrt und als „Judenknecht“ verhöhnt und drangsaliert. Alle Israeliten verließen nach diesen Ereignissen fluchtartig die Stadt. Am 15. Dezember 1938 meldete der „Gemündener Anzeiger“, der Ort sei seit einer Woche „judenfrei“.
Am 1. September 1940 hat man alle geistig behinderten Patienten des Gemündener St. Josefshauses, darunter sechs jüdische Jugendliche, erst nach Haar bei München und dann in das Vernichtungslager nach Lublin verschleppt und ermordet. Heimdirektor Dr. Friedrich Lehnert und die Schwestern der Würzburger Kongregation der „Töchter des Allerheiligsten Erlösers“ konnten ihre Schützlinge trotz massiver Proteste nicht vor der menschenverachtenden Grausamkeit der Nazi-Schergen bewahren. Laut dem Gedenkbuch des Bundesarchivs und der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem fanden neun weitere ehemalige jüdische Mitbürger von Gemünden in den Todeslagern ihr Ende.
Die Große Strafkammer des Landgerichts Würzburg führte in den Jahren 1949/50 Strafverfahren gegen die zumeist namentlich bekannten Täter des Novemberpogroms von Gemünden, Adelsberg und Heßdorf durch. Es wurden ausschließlich milde Urteile gefällt, die man in einer Revision noch weiter entschärfte. Eines der beiden verbliebenen Hafturteile setzte der bayerische Justizminister Dr. Josef Müller vor Haftantritt zur Bewährung aus, das andere setzte er außer Vollzug.
2009 beschloss der Stadtrat, mit der Verlegung von sechs Stolpersteinen an die ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu erinnern. Die Ausführung übernahm der Künstler Gunter Demnig (* 1947) aus Köln. Die Kommune unterstützt die Initiative DenkOrt Deportationen in Würzburg und hat in der Plattnersgasse nahe dem ehemaligen Standort der Synagoge die Skulptur eines Kinderrucksacks aufgestellt. Er symbolisiert das Schicksal des kleinen Nathan Weinberg, der nach dem Umzug nach Frankfurt von dort mit seiner Mutter deportiert wurde. Ein Gegenstück ergänzt das zentrale Mahnmal auf dem Würzburger Bahnhofsplatz.
(Christine Riedl-Valder)
Bilder
Bevölkerung 1910
Literatur
- Hans Schlumberger / Cornelia Berger-Dittscheid: Gemünden. In: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 167-178.
- Theodor Harburger: Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, hg. von den Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem, und dem Jüdischen Museum Franken – Fürth & Schnaittach, Bd. 2. Fürth 1998, S. 226.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 214.