Jüdisches Leben
in Bayern

Gabersee/Wasserburg Gemeinde

Gabersee ist seit 1978 ein Stadtteil von Wasserburg am Inn. Auf dem Grund des ehemaligen Einödhofs entstand 1883 die "Königlich Bayerische Heil- und Pflegeeinrichtung für Nervenkranke": Eine damals hochmoderne, rund 50 Hektar große psychiatrische Musterklinik mit "freiester Behandlung und ausgedehnter landwirtschaftlicher Betätigung". Die Anstalt wurde in der NS-Diktatur ein Schauplatz der sog. "Euthanasie"-Politik, ab 1941 diente es als Herberge der Kinderlandverschickung, dann als Lazarett und zuletzt als Sitz eines Luftwaffenstabs. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs richtete die US-Armee ein jüdisches DP-Lager auf dem Gelände ein, das bis bis 1950 von der UNRRA betrieben wurde. Seit 1953 ist das Areal wieder eine Pflegeanstalt.

Das idyllisch gelegene, weitläufige Areal mit vielen Nutzbauten, Krankenzimmern und der zur Versorgung benötigten Infrastruktur eignete sich ausnehmend gut, um Displaced Persons (DPs) unterzubringen. Die US-Armee hatte das Klinikum bereits am 2. Mai 1945 besetzt und stellte es spätestens im März 1946 als DP-Lager zur Verfügung. Laut Aussage eines UNRRA-Berichts stand gleich zu Beginn Platz für 1500 DPs zur Verfügung, die überwiegend aus der ehem. Tschechoslowakei und Polen stammten. Jedoch war Gabersee schon bald derart überbelegt, dass DPs auch in die Kellerräume ziehen mussten: Im Juli 1946 drängten sich trotz aller Bemühungen, den Zustrom umzuleiten, rund 2100 Personen im hoffnungslos überfüllten Gebäudekomplex. Besondere Schwierigkeiten brachten Anfangs nicht nur eine angemessene Versorgung, sondern auch die Unterbringung von Familien mit kleinen Kindern. Ihnen konnten die UNRRA-Helfer eine Massenunterkunft nicht zumuten und bemühten sich, mit provisorischen Trennwänden und Zeltplanen wenigstens ein Mindestmaß an Privatsphäre zu schaffen.

Gemeinsam mit dem gewählten DP-Komitee unter dem Vorsitz von Leopold Weiss und Elias Fiks wurden jedoch die Probleme relativ zeitnah gelöst. 1947 fanden Wahlen im DP-Lager statt, bei denen zionistische und religiöse Gruppierungen dominierten. Für einen strenggläubigen Teil der DPs entstand auf dem Gelände eine außergewöhnlich umfassende religiöse Infrastruktur entstand. Kindergarten, Kinderheim, Volksschule und Berufsschule (von der JOINT und ORT betrieben), eine Cheder und sogar eine Jeschiwa, ein Betsaal, Ritualbad (Mikwe) und eine koschere Küche. Insgesamt arbeiteten 400 DPs in den Einrichtungen, die auch von den Bewohnern im benachbarten DP-Lager Attel benutzt wurden. Für die Sicherheit sorgte eine eigene Lagerpolizei. Zur sportlichen Betätigung und Entspannung wurde der Sportverein "Hakoach Gabersee" gegründet. "Die autonome jüdische Administration spielte eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung der Überlebenden auf ein zukünftiges Leben im eigenen Staat oder einem der westlichen Emigrationsländer [...]. Zwischen 1946 und 1950 boten die Camps Gabersee und Attel bis zu 2.500 Menschen eine vorübergehende Heimat. Sie bildeten Punkte eines weitverzweigten Netzes von insgesamt 77 DP-Camps und Gemeinden innerhalb Oberbayerns; wichtige jüdische Zentren im näheren Umfeld waren etwa in Rosenheim, Prien, Traunstein oder Bad Reichenhall entstanden" (Jim G. Tobias).

Noch im März 1950 lebten 1.369 Jüdinnen und Juden im DP-Lager Gabersee. Bis Juni jedoch wurden diejenigen, die noch nicht ausgewandert waren oder sich einer der neu gegründeten Kultusgemeinden angeschlossen hatten, in andere Lager verteilt. Gabersee wurde im Juni 1950 offiziell geschlossen und nach einer längeren Umbauphase 1953 wieder als Heilanstalt neueröffnet. Das "kbo-Inn-Salzach-Klinikum" gehört heute nach eigener Aussage zu den größten Fachkrankenhäusern für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatische Medizin, Geriatrie und Neurologie in Deutschland.


(Patrick Charell)

Adresse / Wegbeschreibung

Gabersee 7, 83512 Wasserburg a.Inn

Moderne Postanschrift

Literatur

  • Jim G. Tobias / Nicole Grom (Hg.): Gabersee und Attel. Wartesäle zur Emigration. Die jüdischen Displaced Persons Camps in Wasserburg 1946-1950. Nürnberg 2016.