1566 bestätigte Kaiser Maximilian II. den Reichsrittern der Rüdt von Kollersberg das kaiserliche Privileg, in ihrer Gutsherrschaft Fechenbach-Reistenhausen Schutzjuden aufzunehmen. Nähere Informationen über jüdisches Leben in diesem Ort im 16. Jahrhundert gibt es jedoch nicht. Nachdem die Kollenberger 1635 in der männlichen Linie ausstarben, erwarb Freiherr Nikolaus Georg von Reigersberg den Ort. Im 17. und 18. Jahrhundert gab es im Gut eine kleine jüdische Gemeinschaft, die zum Großteil in Fechenbach lebte. In der Gemeinderechnung sind hier für 1671 zwei jüdische Haushalte nachgewiesen, 1739 sechs Familien, die allesamt Abgaben an die Reigersberger leisteten.
Ab 1744 mussten die örtlichen Schutzjuden die Gebühren an ihre Verwaltungsgemeinde bezahlen. Diese versuchte, die Juden langfristig aus dem Kirchdorf zu vertreiben und leistete dafür an die Herrschaft eine Abfindung von 2.000 Gulden. Gleichzeitig durfte sie nun auch das herrschaftliche Schutzgeld und das "Sinagog gelt" einziehen. Vier Jahre später zogen die Fechenbacher Juden vor Gericht, da ihnen die Gemeinde nicht erlaubte, eine Lehrer und Kantor zu beschäftigen. Dieses Recht hatte ihnen ihr Schutzherr Wilhelm Damian von Reigersberg jedoch noch zugesagt. Unter der Voraussetzung, dass dem Lehrer jeder Handel mit den Christen verboten ist, wurde 1748 dann doch die Einstellung eines Lehrers genehmigt. Zwischen 1780 und 1799 verzeichnen die Gemeinderechnungen sieben bis acht jüdische Haushalte.
Zur Kultusgemeinde Fechenbach/Reistenhausen gehörten 1808 neun Familien mit 52 Personen in Fechenbach und vier weitere Juden in Reistenhausen. Ihren Lebensunterhalt verdienten sie sich vor allem durch Vieh- und Ellenwarenhandel. 1817 gab es in Fechenbach 14 jüdische Haushalte. Deren Zahl erhöhte sich bis 1848 nur unwesentlich auf 15 Familien mit 55 Personen. Die Kultusgemeinde gehörte dem Distriktsrabbinat Aschaffenburg an und begrub seine Verstorbenen auf dem Friedhof in Reistenhausen, der jedoch zu 1/7 der Fechenbacher Gemeinde gehörte. Er wurde bereits im 16. Jahrhundert als Verbandsfriedhof der umliegenden jüdischen Gemeinden angelegt.
Um 1810 erwarb die Kultusgemeinde von Seligmann Behr das Grundstück Hausnummer 97 (heute Kleine Gasse 10) am Fechenbach (auch Mühlbach genannt) und errichtete darauf ihr neues Gemeindehaus mit Synagoge, Ritualbad, Schulzimmer und Lehrerwohnung. Die Einweihung folgte im Jahr 1811. Die Mikwe entsprach 1829 nicht mehr den neuen hygienischen Vorschriften, aber erst 1859 waren alle Mängel beseitigt. Da sich die kleine Kultusgemeinde keinen staatlich geprüften Religionslehrer leisten konnte, wies die Regierung an, ihre Schulkinder in die Religionsschule nach Eschau zu schicken. Weil aber der Weg dorthin sehr weit und beschwerlich war, legte die jüdische Gemeinde 1830 Protest ein und erwirkte eine Übergangsregelung. Erst 1837 gibt es Nachrichten über einen Religionslehrer, der in Fechenbach und zeitweise auch in Klingenberg Unterricht erteilte.
Die Mitgliederzahl der Kultusgemeinde nahm bis 1897 auf 32 Personen ab und reduzierte sich bis 1906 auf 6 Haushalte. In den 1920er Jahren konnte kein Minjan mehr gebildet werden. Seitdem besuchten die Fechenbacher Israeliten die Synagoge in Miltenberg. 1927 beschloss die Gemeindeversammlung, ihr Vermögen dem Verband der Bayerischen Israelitischen Gemeinden zu überschreiben. Die Kultusgemeinde blieb jedoch weiterhin (bis 1938) bestehen, vermutlich um den bedeutenden Bezirksfriedhof in Reistenhausen weiterhin betreuen zu können. Bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 zählte die Kultusgemeinde im Ort nur noch elf Mitglieder; 1936 waren es vier Haushalte mit zwölf Personen. Anfang 1938 wurde die Kultusgemeinde aufgelöst; damals lebten nur mehr fünf Jüdinnen und Juden in Fechenbach. Sie wurden zur Zielscheibe während der brutalen, antisemitischen Ausschreitungen des Novemberpogroms 1938. Unbekannte Täter brachen ihre Wohnung auf und zerstörten allen Hausrat. Auch die Synagoge wurde demoliert.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ab 1948 ein Ermittlungsverfahren durchgeführt, das die Täter des Novemberpogroms 1938 in Fechenbach ausfindig machen sollte. Nach zwei Jahren musste es mangels gerichtsverwertbarer Angaben eingestellt werden. Den ehemaligen jüdische Gemeindebau hat man 1988 umgebaut. Er wird seitdem von zwei Eigentümern für Privatzwecke genutzt. Eine Gedenktafel, die an die jüdische Gemeinde Fechenbach/Reistenhausen erinnert, befindet sich im Rathaus.
(Christine Riedl-Valder)
Bilder
Bevölkerung 1910
Literatur
- Axel Töllner / Cornelia Berger-Dittscheid: Fechenbach/Reistenhausen. I: Wolfgang Kraus, Gury Schneider-Ludorff, Hans-Christoph Dittscheid, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/1: Unterfranken, Teilband 1. Erarbeitet von Axel Töllner, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Hans Schlumberger unter Mitarbeit von Gerhard Gronauer, Jonas Leipziger und Liesa Weber, mit einem Beitrag von Roland Flade. Lindenberg im Allgäu 2015, S. 395-403.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 233.