Ab 1408 wird jüdisches Leben in Erlangen nachweisbar, 1459 und 1475 leben jeweils drei Familien in der Stadt. Vereinzelt erscheinen Erlanger Juden in den Archiven von Wöhrd (1432), Bayreuth (1470) und Nürnberg (1459, 1490). Da im Jahr 1478 ein Rabbiner Vogelein erwähnt wird, muss es zu dieser Zeit bereits eine aktive Gemeinde gegeben haben. Auch Erlangen war vom Brandenburgisch-Bayreuther Ausschaffungsedikt 1515 betroffen. Die ausgewiesenen Familien dürften sich zumindest teilweise in umliegenden Orten wie Bruck und Baiersdorf niedergelassen haben. Samuel Feustel, der 1537 ein befristetes Wohnrecht erhielt, sollte für Jahrhunderte der letzte Jude in Erlangen bleiben. Allerdings promovierte an der noch kleinen Universität der Stadt im Jahr 1778 erstmals ein jüdischer Student in Medizin und Pharmazie.
Die Matrikelbestimmungen des Bayerischen Judenedikts von 1813 limitierten weiterhin die Zahl der jüdischen Haushalte: Da in Erlangen ohnehin keine Gemeinde existierte, blieb es auch dabei. Ab 1815 konnten sich immerhin die ersten regulären Schüler jüdischen Glaubens in das Gymnasium der Stadt einschreiben, doch pendelten diese von Außerhalb oder lebten als Zöglinge bei christlichen Familien. Am 22. Mai 1841 wurde mit Dr. Jakob Herz (181–1871) erstmals ein jüdischer Mediziner als Assistent von Prof. Strohmeyer an die Universität berufen. Herz erhielt 1862 gegen internen Widerstand eine Professur und besetzte 1869 den Lehrstuhl für Anatomie. Für den weithin geachteten Ehrenbürger errichtete die Stadt 1875 ein großes Denkmal mit einer Statue dem damaligen Holzmarkt (heute Hugenottenplatz).
Erst mit der neu gewonnenen Gewerbe- und Wohnortsfreiheit ließen sich ab 1861 Juden in Erlangen nieder. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung stieg ihre Zahl weiter an, wobei die meisten aus den umliegenden Landgemeinden wie Bruck zuwanderten. Am 15. März 1873 bildete sich in Erlangen offiziell eine Kultusgemeinde, die bis zur Jahrhundertwende noch "Jüdische Kultusgemeinde Erlangen-Bruck" hieß und zunächst mit der größeren jüdischen Gemeinde in Baiersdorf verbunden blieb, weil es dort bereits eine Synagoge, Mikwe, Friedhof und eine kleine jüdische Schule gab. Ein freistehendes Gotteshaus wurde in Erlangen nie gebaut, die Kultusgemeinde nutzte private beziehungsweise angemietete Räumlichkeiten. 1890 erreichte die IKG Erlangen-Bruck mit 239 Personen – circa 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung – ihren Höchststand. Im Jahr drauf wurde ein eigener Friedhof an der Rudelsweiherstraße am Nordhang des Burgbergs eingeweiht und zur selben Zeit ein Taharahaus von Casimir Böhner gebaut. Das soziale und religiöse Leben organisierte sich auch außerhalb der Gottesdienste in der Chewra Kadischa (Wohltätigkeitsverein, gegründet um 1890) und dem Israelitischen Frauenverein (1898).
In den 1860er und frühen 1870er Jahren hatten deutsche Studentenverbindungen relativ problemlos jüdische Mitglieder akzeptiert, weil sich Studierende ohnehin noch als gesonderte, elitäre Klasse betrachteten ("Corpsgeist"). Schmähungen gegenüber eines ihrer Mitglieder galt als ehrverletzender Angriff auf die gesamte Verbindung. Studenten jüdischen Glaubens verhielten sich konform dem waffenstudentischen Regelwerk, indem sie für antisemitische Beleidigungen Satisfaktion mit der Klinge forderten. Mit der lang anhaltenden Wirtschaftskrise nach dem Gründerkrach 1873 veränderte sich jedoch die Situation: Einerseits wurden die Chancen der Hochschulabsolventen auf dem Arbeitsmarkt deutlich schlechter, andererseits stieg der Anteil jüdischer Studenten immer weiter an. Zunehmend wurden Juden in der akademischen Welt als Bedrohung und Konkurrenz empfunden.
Aufgrund der wachsenden Anfeindungen entstanden seit den 1880er Jahren eigene jüdische Verbindungen. Mehrheitlich behielten sie die Organisationsformen und Wertvorstellungen des "schlagenden" Verbindungswesens bei. Später wurden auch freie Verbände und Kartellorganisationen gegründet, die ihre religiöse, zionistische oder paritätische, das heißt säkulare und politisch neutrale Einstellung betonten. Sie verzichteten daher weitgehend auf das Tragen von Verbindungsfarben (Couleur), verpflichtende Fechtübungen (Pauken), Ehrenduelle mit anderen Verbindungen (Mensur) und gemeinsame Trinkabende (Kneipe).
Den verschiedenen Verbindungen gelang es zwar nie, eine Mehrheit der jüdischen Studenten zu organisieren, dafür wurden jüdische Führungseliten der Weimarer Zeit überwiegend in ihnen sozialisiert. Das Streben nach Anerkennung blieb letztlich erfolglos, trotz der Loyalität zur deutschen Kultur und Gesellschaft, trotz des hohen Blutzolls, den ihre Mitglieder überproportional im Ersten Weltkrieg als Soldaten gezahlt hatten. Nach ihrer Machtübernahme lösten die Nationalsozialisten alle deutsch-jüdischen Verbindungen zwangsweise auf.
Unter ganz anderen Gesichtspunkten entstanden in den 1950er Jahren neue Korporationen: Seit 2016 vertritt die Jüdische Studierendenunion Deutschland (JSUD) die Interessen Studierender jüdischen Glaubens in der Bundesrepublik. Der Verband Jüdischer Studenten in Bayern (VJSB) ist die größte regionale Vereinigung für jüdischer Studierende und junge Erwachsene im Freistaat Bayern.
Vereinigung jüdischer Akademiker 1907-1933
Dass es in Erlangen keine jüdischen oder paritätischen Verbindungen gab ist auffällig, zumal die nahe gelegene Stadt Fürth ein traditionell bedeutendes jüdisches Zentrum in Franken war. Man wird diese Fehlstelle wohl damit erklären können, dass an der (protestantischen) Universität Erlangen, deren Professoren und Studenten schon früh sehr stark rechtsorientiert waren und deren Evangelisch-Theologische Fakultät die Kaderschmiede der bayerischen lutherischen Landeskirche war, das Klima besonders antisemitisch war. Ähnliches gilt z.B. auch für die Universität Jena. Die am 23. Februar 1907 gegründete VJA war keine studentische Verbindung im klassischen Sinne, sondern ein Ortsverband des im Jahr zuvor entstandenen, konfessionellen "Bunds Jüdischer Akademiker" (BJA). Als religiös-orthodoxer Studentenverein führte sie keine Farben. Die Mitglieder tauschten und verschenkten lediglich einen Bier- bzw. Weinzipfel aus schwarzem Tuch mit silberner Perkussion. Auf gesamtdeutschen Bundestagen wurden organisatorische, aber auch wissenschaftliche und religiöse Fragen behandelt. Der BJA hatte bei seiner zwangsweisen Auflösung 1933 rund 800 Mitglieder in insgesamt zehn Mitgliedsbünden, wobei die Mitgliederzahl jeweils vergleichsweise gering blieb. Die Mitglieder der Vereinigung bezogen öffentlich keine gesellschaftspolitischen Positionen, typische Merkmale einer Studentenverbindung hatte der BJA ebenfalls kaum. Er unterschied nicht zwischen Aktiven und Alten Herren und lehnte Mensur, Couleur und Kneipe ab. Ihm ging es um Glauben, Kultur und Wissenschaft. Der sog. "Fuxenunterricht" der jüngeren Semester diente vor allem dazu, über die jüdische Weltanschauung und ein Leben gemäß der Kaschrut zu informieren. Fast allwöchentlich gab es entsprechende Vortragsabende.
Seit der Jahrhundertwende war die Kultusgemeinde jedoch konstant rückläufig: Ihre Zahl reduzierte sich von 224 Personen im Jahr 1910 auf 130 im Jahr 1933. Im Ersten Weltkrieg waren sechs Erlanger Gemeindemitglieder gefallen; trotzdem verbreitete sich der Antisemitismus in den 1920er-Jahren, vor allem an der Universität. Erlangen gehörte von 1921 bis 1925 zum Bezirksrabbinat in Ansbach, danach zum Bezirksrabbinat Fürth. Als Lehrer für die religiöse Unterweisung der Kinder, als Vorbeter und Schächter stellte die Kultusgemeinde anfänglich Salomon Henle aus Ichenhausen an. Ihm folgte eine ganze Reihe von Religionslehrern. In den 1920er Jahren unterrichtete der jüdische Religionslehrer auch an öffentlichen Schulen. Im Februar 1929 verlangten völkisch orientierte Studenten den Numerus clausus für jüdische Studenten. Für die koschere Verpflegung der Studierenden – und wohl auch um ihnen angesichts des wachsenden Antisemitismus ungestörte Mahlzeiten zu ermöglichen – wurde in der Engelstr. 21 eine eigene "Mensa academica" eingerichtet. Im Jahr 1932 gründete Abraham Cohn die Erlanger Ortsgruppe des "Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens".
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten kippte die Stimmung endgültig. Die NS-Stadtverwaltung drangsalierte die Juden mit willkürlichen Einschränkungen, zum Beispiel untersagte sie ihnen den Besuch der öffentlichen Badeanstalten. Auf Grund der zunehmenden Repressalien, des wirtschaftlichen Boykotts und der Entrechtung verließ die Mehrzahl der jüdischen Einwohner in den folgenden Jahren die Stadt. Bereits am 15. September 1933 rissen SA-Leute unter dem Gejohle vieler Schaulustiger das Denkmal für Dr. Herz nieder. Im April 1937 wurde der jüdische Kantor und Lehrer Justin Fränkel verhaftet. Die Gestapo Würzburg beschuldigte ihn, sich am Ritualmord (sic!) eines Kindes in Manau bei Hofheim beteiligt zu haben. Im Novemberpogrom 1938 wurden am Morgen des 10. November sämtliche jüdischen Einwohner aus ihren Häusern geholt und ins Rathaus verschleppt. Die Männer kamen von dort für sechs Wochen in das das Gefängnis nach Nürnberg, die Frauen in ein Obdachlosen-Asyl. Die erst jüngst umgezogenen Beträume wurden verwüstet und leergeräumt. Auf dem jüdischen Friedhof warfen Unbekannte Steine um, er blieb jedoch noch in Betrieb. Jedoch entfernten die NS-Behörden im Rahmen einer "Metallspende" 1940 von den Grabsteinen alle Metallapplikationen. Von den noch verbliebenen Gemeindemitgliedern waren nun viele auf die Unterstützung durch das jüdische Winterhilfswerk oder den Hilfsfonds der Gemeinde Fürth angewiesen. Ende November 1941 lebten nur noch 13 Jüdinnen und Juden in der Stadt, die nach und nach deportiert wurden. Im Dezember 1943 kam die letzte jüdische Erlangerin in Auschwitz ums Leben.
Von den wenigen überlebenden Gemeindemitgliedern kehrte nach dem Sturz der NS-Diktatur 1945 keines mehr nach Erlangen zurück. Im Jahr 1961 lebten insgesamt nur sechs jüdische Personen in der Stadt, gehörten jedoch der IKG Nürnberg gehörten. 1967 wurde an Jakob Herz' ehemaligem Wohnhaus in der Heuwaagstraße 18 eine Gedenktafel enthüllt, 1983 folgte eine Stele, die "Ein Denkmal für ein Denkmal" darstellen und an die ursprüngliche Statue erinnern sollte.
Weil bis zu den 1970er-Jahren wieder vermehrt Juden nach Erlangen zogen, plante der Verleger Shlomo Lewin die Gründung einer neuen Kultusgemeinde. Er wurde jedoch mit seiner Lebensgefährtin am 19. Dezember 1980 ermordet, vermutlich durch ein Mitglied der rechtsextremen Wehrsportgruppe Hoffmann. Der mutmaßliche Täter beging Selbstmord. Erst am 1. Dezember 1997 entstand eine neue Kultusgemeinde Erlangen, unter der ersten Vorsitzenden Rose Wanninger. Ihre Mitgliederzahl stieg bis zum Jahr 2000 auf 300 Mitglieder, rund 80 Prozent stammen dabei aus Ländern des ehemaligen Warschauer Paktes. Seit 2005 wird die Kultusgemeinde wieder von einem Rabbiner betreut.
An das Vermächtnis von Dr. Jakob Herz erinnerte die Stadt im Jahr 2002 (zum Jubiläum von Herz' Professur) gleich zwei Mal: Im März wurde ihm ein Erschließungsweg von der Henke- zur Hartmannstraße gewidmet, und am 15. September enthüllten Stadt und Universität gemeinsam eine Bronzetafel, die in die Pflasterung des Hugenottenplatzes eingelassen ist und an den Sturz des Denkmals 1933 erinnert. Seit dem Jahr 2007 installierte der Künstler Gunter Demnig (*1947) insgesamt 54 Stolpersteine zum Gedenken an die Opfer der NS-Diktatur. Ab 2009 vergibt die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg jährlich den Jakob-Herz-Preis für Medizinische Forschung, der mit 10.000 Euro dotiert ist. Zum 200. Todestag von Dr. Herz wurde außerdem eine kubusförmige Infostation am ehemaligen Standort seines Denkmals aufgebaut. Am 29. September 2016 errichtete die IKG Erlangen zum Anlass des 125-jährigen Jubiläums ihres Friedhofs ein Denkmal.
(Patrick Charell)
Bilder
Bevölkerung 1910
Literatur
- Barbara Eberhardt / Hans-Christof Haas: Erlangen. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 2: Mittelfranken. Erarbeitet von Barbara Eberhardt, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Angela Hager unter Mitarbeit von Frank Purrmann und Axel Töllner mit einem Beitrag von Katrin Keßler. Lindenberg im Allgäu 2010, S. 190-224.
- Christa Habrich: Koppel (Jakob) Herz (1816–1871), Mediziner und »ordentlicher Universitätsprofessor. In: Manfred Treml /Wolf Weigand (Hg.): Geschichte und Kultur der Juden in Bayern: Lebensläufe. München 1988 (= Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur 18), S. 143-152.
- Michael Doeberl, Otto Scheel u.a. (Hg.): Das Akademische Deutschland. Berlin 1931, Bd. 3, S. 525.
- K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 172.