Jüdisches Leben
in Bayern

Binswangen Gemeinde

Binswangen gehörte zur Markgrafschaft Burgau, die vom 14. Jahrhundert an bis 1805 Teil der Habsburger Erblande war. Jüdisches Leben wurde in dem Ort zum ersten Mal im Jahr 1539 urkundlich bestätigt. Kaiser Ferdinand I. (reg. 1558-1564) erwähnte in seinem „Freiheitsbrief wider die Juden“, den er 1561 für die Reichsstadt Ulm ausstellte, gleichzeitig kaiserliche Schutzjuden in Binswangen. Die Ortsherrschaft lag seit 1412 bis 1563 bei der Augsburger Freiherrenfamilie von Langenmantel. Als diese als Lehensträger ausschieden, stellten die christlichen Bürger von Binswangen 1564 den Antrag auf Ausweisung der Juden. Dazu kam es jedoch nicht, denn 1576 sind in einer Besitzbeschreibung der Markgrafschaft Burgau sieben jüdische Hausväter verzeichnet.

Als Markgraf Karl von Burgau 1617 per Erlass die Juden aus der Markgrafschaft verbannen wollte, erhielten sie ihr Wohnrecht durch ein 1618 von Kaiser Mathias ausgestelltes Privileg zugesichert. Dafür hatte die gemeinde einen jährlichen Opferpfennig an den Kaiser zu bezahlen. 1609 waren im Ort 27 jüdische Familien ansässig; bis 1625 erhöhte sich ihre Anzahl auf 32. Ab 1663 verfügten sie über einen eigenen Friedhof auf der sog. "Schwärz". Da er sich auf Wertinger Gebiet befand, forderten die dortigen Ortsherren dafür Abgaben, worüber es zu Streitigkeiten kam, die sich bis 1693 hinzogen. Vermutlich gab es im 17. Jahrhundert auch bereits eine Mikwe im Dorf. Es ist aber nicht bekannt, wo sie sich genau befand.

Im Jahr 1800 gehörten der israelitischen Kultusgemeinde 270 Personen an; 1811/12 war ihre Anzahl auf knapp 330 gestiegen. Ihre höchste Mitgliederzahl erreichte sie 1864 mit 412 Personen mehr als 38 Prozent der Bevölkerung. Die IKG errichtete 1807 ein Armenhaus (Nr. 75; heute Raiffeisenweg 11). Ab 1829 gab es in Binswangen eine israelitische "Religions-Werktags-Schule", in der als erster Lehrer Isaack Neuburger bis 1865 wirkte. Er erteilte den Unterricht eine Zeitlang auch in seinem eigenen Haus. Eine Mikwe bestand in der 1. Hälfte des 19. Jh. auf dem Grundstück Plan-Nr. 64 (heute: Am Kugelbergweg). Dieses Gebäude existiert heute nicht mehr.

In der zweiten Hälfte des 19. Jh. ging die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde stark zurück. Viele von ihnen wanderten in die USA aus oder zogen in andere Orte Deutschlands um, nachdem der Matrikelparagraph 1861 abgeschafft worden war. 1875 lebten noch 193 Jüdinnen und Juden in Binswangen. Nach dem Tod ihres Rabbiners Isaac Hirsch Gunzenhauser 1881 verlor die Kultusgemeinde ihr bislang selbstständiges Rabbinat und wurde nach einer Übergangsverwaltung, die der damalige Religionslehrer übernahm, 1894 dem Distriktsrabbinat Augsburg zugeteilt.

Zwischen 1900 und 1925 schwand die jüdische Bevölkerung der Gemeinde um über 50 Prozent von 109 auf 49 Personen. Anfang der 1920er Jahre wurde daher mangels Nachfrage der Religionsunterricht eingestellt. Antisemitische Umtriebe von Augsburger Mitgliedern des Schlageterbundes führten 1924 zu einer Verwüstung des Friedhofs, bei der 20 Grabsteine umgeworfen und mit Hakenkreuzen geschändet wurden.

Bei Adolf Hitlers Machtergreifung 1933 waren noch 36 Jüdinnen und Juden in Binswangen ansässig. 1935 hat man eine Gedenktafel für die jüdischen Teilnehmer und Gefallenen des Ersten Weltkriegs in der Synagoge enthüllt. Im Juli 1938 und 1940 wurde der jüdische Friedhof u.a. von der Augsburger Hitlerjugend, die ihr Zeltlager in unmittelbarer Nachbarschaft aufschlugen, erneut verwüstet. Zahlreiche jüdische Grabsteine fanden während der Kriegsjahre als Baumaterial Verwendung. Während des Novemberpogroms fiel ein SA-Trupp aus Augsburg in die Gemeinde ein und zerstörte die Inneneinrichtung der Synagoge. Danach verließen elf jüdische Mitbürger ihren Heimatort. Der Großteil von ihnen wanderte nach Übersee aus. Die letzten sieben Israelitinnen, die noch im Ort lebten, wurden 1942 in zwei Deportationen in die Vernichtungslager nach Piaski bei Lublin und nach Theresienstadt gebracht und dort ermordet.

Neben der restaurierten Synagoge, die heute ein kulturelles Zentrum der Gemeinde ist, erinnert ein Gedenkstein am Eingang des jüdischen Friedhofs und ein Relief am Binswanger Dorfbrunnen an die einstigen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger von Binswangen. Anlässlich der Ausstellung "Geschichte und Kultur der Juden in Bayern" 1988/1989 hat das Haus der Bayerischen Geschichte eine Exkursion in Mittelschwaben angelegt. Die Route beginnt in Augsburg und erschließt neun jüdische Landgemeinden (Fischach-Thannhausen-Krumbach-Fellheim-Illereichen-Altenstadt-Ichenhausen-Binswangen-Buttenwiesen).

 

(Christine Riedl-Valder)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Angela Hager / Frank Purrmann: Binswangen. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hrsg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern, Schwaben. Erarbeitet von Barbara Eberhardt und Angela Hager unter Mitarbeit von Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Frank Purrmann. Lindenberg i. Allgäu 2007, S. 414-422.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 277.