Jüdisches Leben
in Bayern

Baiersdorf Gemeinde

Eine erste Ansiedlung von Juden erfolgte vermutlich kurz nach der Stadterhebung im Jahr 1353. Der bedeutende jüdische Friedhof wurde nach der Zerstörung und dem Wiederaufbau von Baiersdorf im Städtekrieg 1388 angelegt. Auf ihm ruhen die Verstorbenen aus Orten der Markgrafschaft Brandenburg-Kulmbach (seit 1603: Brandenburg-Bayreuth), des Hochstifts Bamberg, der Reichsstadt Nürnberg und vielen reichsritterlichen Herrschaften. Die Begräbnisgebühren waren eine Einnahmequelle der Landesherren, die daher stets eine schützende Hand über den Ort hielten. Urkundlich ist eine jüdische Gemeinde (Kehillah) erst 1473 erwähnt, die sich jedoch nicht dauerhaft etablieren konnte: Im Jahr 1519 lebte in der Stadt nur noch eine einzige jüdische Familie. Hundert Jahre später waren es wieder neun.

Ein wichtiger Faktor für den Aufschwung der jüdischen Gemeinde im späten 17. Jahrhundert war der Schutz- und Freiheitsbrief, den Markgraf Christian Ernst (reg. 1655-1712) unter dem Einfluss des in Baiersdorf ansässigen Hoffaktors Samson Salomon ausstellte. 1697 errichtete die jüdische Gemeinde auf einem vom Stadtrat erworbenem Grundstück am Gießeckplatz eine Herberge für durchreisende Juden, in der sich auch die Wohnung des Synagogendieners befand (heute Herbergsgässchen 3). Hoffaktor Samson Salomon erwarb im Jahr darauf das ehemalige Kastenhaus in der heutigen Judengasse 1 und ließ es zur repräsentativen Wohnstätte umbauen. Salomon finanzierte auch den Bau einer neuen Synagoge im Jahr 1711 und bezahlte eine neue Umfriedungsmauer der Begräbnisstätte. Die "Judengasse" nördlich des Marktplatzes hieß eigentlich Hintere Gasse und bekam seinen Namen erst 1728, als sich dort rund um die neue Synagoge und den Friedhof ein jüdisches Viertel gebildet hatte. In einem zweigeschossigen Wohnhaus aus dem 17./18. Jahrhundert in der Waaggasse war laut Eintrag in der bayerischen Denkmalliste ehemals eine Mikwe vorhanden.

Bereits 1702 wurde Baiersdorf zum Sitz des Landesrabbinats bestimmt. Markgraf Georg Friedrich Karl von Brandneuburg-Bayreuth ernannte kurz darauf seinen Baiersdorfer Hoffaktor Moses Goldschmidt (ca. 1681-1756) zum ersten Landesrabbiner. Unter seinen Nachfolgern sind so herausragende Persönlichkeiten wie David Diespeck (ca. 1715-1793), der 1786 eine Sammlung halachischer Vorträge mit dem Titel "Sefer Pardes Daṿid" (Davids Obstgarten) in Druck gab , oder der spätere Mainzer Landesrabbiner Noah Chaim Hirsch ben Abraham Meïr Berlin (1734-1802).

Baiersdorf übte auf die jüdischen Gemeinden im Umland eine zunehmend größere Anziehungskraft auf. Ihre Zahl im Ort wuchs beständig an und verdreifachte sich fast auf 83 Familien im Jahr 1771. Auch im Königreich Bayern blieb die jüdische Gemeinde für Baiersdorf ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste Faktor. 1811 wurden 457 jüdische Männer, Frauen und Kinder gezählt. Statt des einen Landesrabbiners gab es nun die beiden „Vice-Rabbiner“ Simon Daid Dispecker und Abraham Seckel; der letztgenannte war gleichzeitig Landjudenschaftschreiber. Es gab einen „Zehengebothschreiber“, einen Synagogendiener, einen Vorsänger und fünf jüdische Lehrer. Allerdings wurde erst 1828 eine rein jüdische Elementarschule gegründet – gegen den Willen des Stadtrats, weil die städtische Schule dadurch einen bedeutenden Teil ihrer Jahreseinnahmen verlor.

In der allgemeinen Auswanderungswelle des 19. Jahrhunderts verlor die Baiersdorfer Gemeinde viele junge Mitglieder. Kontinuierlich schrumpfte sie von 440 Personen im Jahr 1837 auf nurmehr 33 im Jahr 1900. Der Numismatiker und Bankier Abraham Merzbacher (1812-1885), der Maler David Ottensooser (1814-1861) und der Forschungsreisende Gottfried Merzbacher (1843-1926) lebten alle in ihren späteren Jahren in München, wo sie auch ihre Karriere machten.       

Gleichzeitig wuchs der Einzugsbereich des Distriktsrabbinats, der bis 1877 um Zirndorf, Forchheim und Hallerndorf, um die Filialen des aufgelösten Rabbinatsbezirks Hagenbach und Kairlindach erweitert wurde. Auf Dauer war dies nicht aufrechtzuerhalten, zumal der Bezirk vom Fürther Rabbiner Dr. Emmanuel Neubürger als rein persönliche Gefälligkeit für die Töchter des 1888 verstorbenen Baiersdorfer Rabbiners Wolf Cohn kuratiert wurden. Die Regierung von Mittelfranken verfügte am 18. Februar 1894 die Auflösung, und nur vier Tage später schloss sich die Gemeinde dem Rabbinat Fürth an.

Trotz ihrer stark geschwundenen Zahl blieben die Jüdinnen und Juden von Baiersdorf weiterhin im gesellschaftlichen Leben der Kleinstadt aktiv und in fast allen Vereinen treten. Ein wichtiger Beitrag war 1905/06 das „Seligmann‘sche Kinderheim“, eine Stiftung der US-Amerikanischen Brüder Henry und Isaak Seligmann zum Andenken an ihre Eltern. Weitere finanzielle Zuwendungen kamen von den gebürtigen Baiersdorfer Hopfengroßhändlern Ludwig und Philipp Wilhelm von Gerngros. Letztgenannter hatte zusätzlich eine Stiftung zur Unterstützung notleidender Feuerwehrangehöriger gegründet. Zum Dank für das soziale Engagement erhielten sie alle die Ehrenbürgerschaft verliehen, außerdem wurde die Straße, an der das Kinderheim stand, 1929 in Seligmannstraße umbenannt.

Bereits vor der NS-Machtübernahme war die kleine Kultusgemeinde antisemitischen Angriffen ausgesetzt. Als weitere Demütigung entfernten die Nationalsozialisten 1934 alle jüdischen Ehrentafeln und benannten die Seligmannstraße in Horst-Wessel-Straße um. Die traditionsreiche jüdische Begräbnisstätte wurde bereits seit 1937 immer wieder das Ziel schwerer Zerstörungen. Einzig weil die NSDAP für die siegreiche Nachkriegszeit ein Forschungsprojekt plante, ließ sie ab 1940 weitere Schändungen verhindern. Zur Zeit der Novemberpogrome existierte die Kultusgemeinde ohnehin nicht mehr, denn es lebten nur noch drei Juden in Baiersdorf: Ludwig Kohn, seine Frau Lina sowie Marie Schübel, die einen evangelischen Christen geheiratet hatte. Am 10. November um halb sechs Uhr früh brachten sie SA-Leuten in einem Lastwagen nach Erlangen, wo man sie für einige Tage in Schutzhaft sperrte. Die letzten jüdischen Immobilien im Ort – das Rabbinerhaus Judengasse 14, die Wohnhäuser Nr. 144 und 145 (Judengasse 16), das Synagogengrundstück sowie den jüdische Friedhof mit Taharahaus – erwarb die Stadt 1943 von der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland.

Mit dem Ehepaar Kohn starben die letzten Juden von Baiersdorf im Konzentrationslager.

Marie Schübel überlebte dank der Sondergesetze für Mischehen die NS-Zeit in Baiersdorf und setzte sich vergebens für eine Widerbelebung der Baiersdorfer Kultusgemeinde ein. 1946 richtete ein Nürnberger Steinmetz die Grabsteine auf dem Friedhof provisorisch auf, zu weiteren Sanierungsmaßnahmen kam es aus Geldmangel erst Jahre später. Die Grundstücke der Synagoge und des benachbarten, bereits 1951 abgerissenen Rabbinerhauses kamen nach Abschluss des Rückerstattungsverfahrens der JRSO in den Besitz der Stadt-und Kreissparkasse Erlangen, die darauf 1957 eine Filiale errichtete. 1980 stiftete der Landesverband der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern einen Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof. An den Standort der ehemaligen Synagoge erinnert seit 1986 eine Gedenktafel des Erlanger Künstlers Gerhard Schmidt-Kahler. Die alten Ehrentafeln für die Gebrüder Gerngros hängen seit 2007 wieder an ihrem Geburtshaus in der Forchheimer Straße 3. Die Tafel für Henry Seligmann wurde am ehemaligen Kinderheim angebracht, die anliegende Straße heißt erneut Seligmannstraße. Das restituierte Stiftungsvermögen wurde durch eine dringend notwendige Sanierung 1994/95 aufgebraucht, die Stiftung selbst bleibt jedoch bestehen. Heute beherbergt das Haus die städtische Kindertagesstätte. Für das ermordete Ehepaar Ludwig und Marie Kohn fügte der Künstler Gunter Demnig (*1947) im März 2009 zwei Stolpersteine in das Pflaster der Hauptstraße ein.

In einer Kooperation mit den Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP) in Jerusalem werden von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns nach und nach die erhaltenen jüdischen Gemeindearchive – darunter das Gemeindearchiv aus Baiersdorf sowie das Archiv des Distriktsrabbinats – digitalisiert, um sie erstmals und vollständig online zugänglich zu machen.


(Patrick Charell)

           

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Barbara Eberhardt / Hans-Christof Haas: Baiersdorf. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. 2: Mittelfranken. Erarbeitet von Barbara Eberhardt, Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Angela Hager unter Mitarbeit von Frank Purrmann und Axel Töllner mit einem Beitrag von Katrin Keßler. Lindenberg im Allgäu 2010, S. 29-38.
  • Gesellschaft für Familienforschung in Franken / Staatliche Archive Bayerns (Hg.): Staatsarchiv Bamberg - Die 'Judenmatrikel' 1824-1861 für Oberfranken. Nürnberg 2017. Ggfs. digital (Reihe A: Digitalisierte Quellen, 2 = Staatliche Archive Bayerns, Digitale Medien 4).
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken. In: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken. München 2012, S. 95-113.
  • Theodor Harburger: Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, hg. von den Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem, und dem Jüdischen Museum Franken – Fürth & Schnaittach, Bd. 2. Fürth 1998, S. 58-61.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 180.