Jüdisches Leben
in Bayern

Bad Neustadt a.d.Saale Gemeinde

Hinweise auf die Präsenz von Juden im 13. und 14. Jahrhundert gibt das Nürnberger Martyrologium, das Neustadt als "Blutstätte" während des Rintfleisch-Pogroms 1298 und des Pestpogroms von 1348/49 erwähnt. Im Jahr 1313 war zumindest eine jüdische Familie in Neustadt ansässig. Möglicherweise lebten hier um 1410 erneut Würzburger Schutzjuden, doch erst 1446 wird ein jüdischer Haushalt aktenkundig. Die Quellen nennen 1563 zwei in Neustadt ansässige Juden, Herr Samuel und Frau Frometh. Auch im 17. Jahrhundert blieb die Zahl der Neustädter Juden mit jeweils einem Schutzjuden in den Jahren 1630 und 1677 meist gering, während sich im Lauf des Dreißigjährigen Kriegs fünf Schutzjuden mit ihren Familien in der Saalestadt niedergelassen hatten.

Im August 1648 beklagten sich Bürgermeister und Rat Neustadts bei Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn (reg. 1642-1673), dass die Juden sich weigerten, ihr jährliches Quartiergeld in Höhe von 60 Gulden vollständig zu bezahlen. Schließlich einigte man sich auf einen reduzierten Beitrag von 40 Gulden. In den 1680er und 1690er Jahren kam es häufig zu Konflikten zwischen dem unter dem Schutz des Würzburger Fürstbischofs stehenden Neustädter Juden Joseph und christlichen Kaufleuten, da diese Joseph als geschäftsschädigende Konkurrenz betrachteten. 1699 lebten bereits fünf Schutzjuden mit ihren Familien in der Stadt.

Im zweiten Drittel des 18. Jahrhunderts standen sechs Neustädter Juden unter dem Schutz des Fürstbischofs, bis Zahl 1763 stieg ihre Zahl auf acht. 1797 erhielt der Jude Schmul Seligmann (Illemann) einen Schutzbrief des Hochstifts Würzburg, da zu diesem Zeitpunkt nur vier der sechs Würzburgischen "Schutzplätze" vergeben waren.

1813 lebten 38 Jüdinnen und Juden in Neustadt. 1817 wurden acht Haushaltsvorstände und 1822 nochmals drei Haushaltsvorstände in die Judenmatrikel aufgenommen, von denen zwei eine Landwirtschaft und Seligmann Moses (Moyses) Gutmann Schnitthandel betrieben. Der dominierende Geschäftszweig der Neustädter Juden war der Handel mit Vieh und Viehprodukten. Bereits 1833, 20 Jahre vor der offiziellen Gründung der jüdischen Kultusgemeinde, betrachteten sich die Neustädter Juden als selbstständige Gemeinde. Laut Angabe des Vorgängers Joseph Kohnstamm und anderer Gemeindeglieder wohnten zu diesem Zeitpunkt zehn jüdische Familien mit 50 Personen in Neustadt, von denen fünf Familien vom Hausierhandel lebten. Die jüdischen Kinder besuchten die christliche Volksschule. Von 1837 bis mindestens 1849 leitete Philipp Kohnstamm als Vorgänger die Neustädter jüdische Gemeinde. Vor 1848 und vermehrt nach der Aufhebung der Matrikelpflicht 1861 wuchs die jüdische Gemeinde in Neustadt dank des Zuzugs aus den Gemeinden des Umlands kontinuierlich. Die Zugezogenen stammten beispielsweise aus Lebenhan, Neuhaus, Reyersbach, Rödelmaier und Unsleben. Bis zur Anlage eines eigenen Friedhofs wurden die verstorbenen der gemeinde auf dem Verbandsfriedhof in Kleinbardorf bestattet.

Wohl im Jahr 1858, spätestens in den 1860ern konnte sich eine Israelitische Kultusgemeinde mit den staatlich vorgeschriebenen 50 Familien gründen, die dem Bezirksrabbinat Bad Kissingen unterstellt wurde. Am 17. April 1886 hat die Neustädter Gemeinde eine neue, von Distriktsrabbiner Moses Löb Bamberger und dem Neustädter Kultusvorsteher Philipp Sichel verantwortete Synagogenordung erlassen, die auch ausführlich auf die Ehrenvorrichtungen wie das Aufrufen zur Thoralesung einging.

Für den Unterricht der jüdischen Kinder war von 1840 bis 1879 der Lehrer Isaak Vandewart verantwortlich, der zum Wintersemester 1860/1861 mit dem Sprachenlehrer L. Suhler in Neustadt das bis 1898 existierende "Handels-Lehr-Institut" eröffnete, um dort männliche jüdische Jugendliche zu Kaufleuten auszubilden. Unterrichtet wurden dort ökonomische Kenntnisse, Allgemeinbildung und Religion. Da das Institut schnell einen guten Ruf erwarb, ließ Ende der 1860er Jahre auch der Neustädter Bürgermeister zeitweise dort seinen Sohn ausbilden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gründeten Gemeindemitglieder drei Vereine: Während der 1869 gegründete Armenverein der "Wanderfürsorge" armer umherziehender Juden diente, kümmerte sich der Frauenverein um Kranke und die Bestattung Verstorbener. Der 1870 gegründete Wohltätigkeitsverein hatte sich die Betreuung in Neustadt lebender Bedürftiger zum Ziel gesetzt. Nach dem Wegzug Hermann Dorfzauns wirkte von 1879 bis 1917 Gerson Bergenthal als Religionslehrer, Vorbeter und Gemeindeschreiber in Neustadt, der 1914 sein 25-jähriges Dienstjubiläum beging. 1887 weihte die IKG Neustadt ihren eigenen Friedhof ein.

Nach dem Bau einer neuen Synagoge 1891/92 diente die alte Synagoge auch weiterhin als Schul- und Gemeindehaus. Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das an die Bahnstrecke Stuttgart-Berlin angeschlossene Neustadt zu einem Verkehrsknotenpunkt und Verwaltungszentrum. Zum Wachstum der Stadt trug auch der Zuzug von jüdischen Neubürgern bei, der zur Folge hatte, dass sich 1895 die jüdische Bevölkerung der Kleinstadt mit rund 220 Personen im Vergleich mit 1850 mehr als verdoppelt hatte. Die Neustädter Juden lebten nun größtenteils außerhalb der Judengasse in der Altstadt und waren in die Gesellschaft gut integriert.

Die Integration der jüdischen Gemeinde in die städtische Gesellschaft zeigte sich auch 1911, als auch in der Neustädter Synagoge ein Festgottesdienst anlässlich des 90. Geburtstags von Prinzregent Luitpold von Bayern (reg. 1886-1912) gefeiert wurde. Während des Ersten Weltkriegs fielen sechs Neustädter Juden für Deutschland. Für seinen Einsatz im Kampf wurde Alfred Stern, der den Krieg überlebte, mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Nachdem die jüdische Gemeinde bereits am 8. Februar 1918 beschlossen hatte, eine jüdische Volksschule einzurichten, wurde das Schul- und Gemeindehaus im Sommer 1923 renoviert. Ab 1931 unterrichtete Israel Wahler als Lehrer an der Israelitischen Volksschule, die 1931/1932 17 Kinder besuchten. Da in diesem Schuljahr zwölf jüdische Kinder andere Schulen besuchten, lebten zu diesem Zeitpunkt 29 jüdische Kinder in Neustadt. Zu ersten antisemitischen Kundgebungen kam es in Neustadt bereits 1923, als August Attenberger, der Gründer des Neustädter NSDAP-Ortsvereins, eine gegen die jüdischen Kaufleute hetzende Anzeige in der Neustädter Zeitung schaltete. Sigmund Sichel, der Vorsteher der Israelitischen jüdischen Kultusgemeinde, reagierte darauf mit einer Annonce, in der er gegen Attenbergers Anzeige Protest einlegte.  

Nach der NS-Machtübernahme 1933 wurden Neustädter Juden zunehmend ausgegrenzt und beleidigt. Beispielsweise ließ der Stadtrat im Frühjahr 1934 am Schwimmbad ein Plakat mit der Aufschrift "Juden sind nicht erwünscht" anbringen, und Dezember 1934 wurden jüdische Geschäftshäuser mit Farbe und diffamierenden Parolen beschmiert. Gegen die Diskriminierung der jüdischen Bevölkerung bezog der Neustädter katholische Pfarrer Alois Friedrich in seiner Sonntagspredigt am 14. Oktober 1934 Stellung, worauf der Neustädter Stadtrat dem Geistlichen am 17. Oktober 1937 die Ehrenbürgerwürde aberkannte. Sieben Jahre später wurde Friedrich wegen des Abhörens von Feindsendern von der Gestapo inhaftiert und starb drei Wochen nach seiner Entlassung.

Als Folge der stetigen Bedrohung verließen 64 Jüdinnen und Juden zwischen Juli 1933 und November 1938 Neustadt, das seit der Eingemeindung von Bad Neuhaus am 1. Juli 1934 Bad Neustadt heißt. In der Nacht vom 10. auf den 11. November 1938 versammelten sich rund 150 Personen im Novemberpogrom vor den Häusern jüdischer Bad Neustädter, wohl ohne dass es zu Gewalthandlungen an jüdischen Personen kam. 16 Mitglieder der jüdischen Gemeinde kamen in "Schutzhaft" genommen und in das Gefängnis des Bad Neustädter Amtsgerichts gebracht. In den Wochen nach den Novemberpogromen verließen 13 Jüdinnen und Juden die Stadt. Am 1. Januar 1939 existierten in Bad Neustadt keine jüdischen Betriebe mehr.

Am 7. Februar 1942 lebten in Bad Neustadt noch 56 Jüdinnen und Juden. Knapp zwei Monate später, am 25. April 1942, wurden 59 Jüdinnen und Juden aus Bad Neustadt, Oberelsbach und Unsleben von Würzburg nach Krasniczyn deportiert und in den Vernichtungslagern der Region ermordet. Der Shoah fielen über 40 in Neustadt geborene Jüdinnen und Juden und 50 jüdische Personen, die in der NS-Zeit dort gewohnt hatten, zum Opfer.  

Seit dem 8. November 2006 erinnert in der Nähe der früheren Synagogengebäude (Bauerngasse) ein von Eva Maria Warmuth entworfenes Mahnmal an die ermordeten Juden aus Bad Neustadt. Zum 80. Jahrestag der Deportation fand am Mahnmal eine Gedenkveranstaltung statt; außerdem beteiligte sich die Kommune an der Initiative DenkOrt Deportationen 1941-1944 in Würzburg und errichtete unweit der Brücke über die Brend eine kofferförmige Skulptur der Bischofsheimer Bildhauerin Hanna Kraft. Ein identisches Gegenstück ergänzt den Denkort auf dem Würzburger Bahnhofsplatz. In einer Kooperation mit den Central Archives for the History of the Jewish People (CAHJP) in Jerusalem werden von der Generaldirektion der Staatlichen Archive Bayerns nach und nach die erhaltenen jüdischen Gemeindearchive – darunter das Gemeindearchiv aus Bad Neustadt a.d.Saale – digitalisiert, um sie erstmals und vollständig online zugänglich zu machen.


(Stefan W. Römmelt)

Bilder

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Gerhard Gronauer / Cornelia Berger-Dittscheid: Bad Neustadt an der Saale. In: Wolfgang Kraus, Hans-Christoph Dittscheid, Gury Schneider-Ludorff (Hg.): Mehr als Steine… Synagogen-Gedenkband Bayern, Bd. III/2: Unterfranken Teilband 2.1. Erarbeitet von Cornelia Berger-Dittscheid, Gerhard Gronauer, Hans-Christof Haas, Hans Schlumberger und Axel Töllner unter Mitarbeit von Hans-Jürgen Beck, Hans-Christoph Dittscheid, Johannes Sander und Elmar Schwinger, mit Beiträgen von Andreas Angerstorfer und Rotraud Ries. Lindenberg im Allgäu 2021, S. 627-670.
  • Aubrey Pomerance: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Franken. In: Michael Brenner / Daniela F. Eisenstein (Hg.): Die Juden in Franken. München 2012, S. 95-113.
  • Ludwig Benkert: Bad Neustadt an der Saale. Die Stadtchronik. Bad Neustadt 1985, S. 92, 113, 163, 190, 237, 313f., 344-350.
  • Magnus Weinberg: Die Memorbücher der jüdischen Gemeinden in Bayern, Bd. 1. Frankfurt am Main 1937, S. 117-122.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 236.