Jüdisches Leben
in Bayern

Augsburg Gemeinde

Die Geschichte der Augsburger Juden liegt bis zum 13. Jahrhundert im Dunkeln. Spätestens um 1290 gab es eine etablierte Gemeinde, die 1440 mit ihrer Vertreibung erlosch. Ausnahmen etwa zu Kriegszeiten, die einzelnen Juden den Aufenthalt in der Reichsstadt ermöglichen, stand ein Ansiedelungsverbot bis zum Judenedikt des Jahres 1813 gegenüber. Seit 1861 erlebte die zweite jüdische Gemeinde eine Blütezeit. Der Terror des NS-Herrschaft führte zur fast vollständigen Vernichtung der Gemeinde. Im Jahr 1946 gründeten die Überlebenden der Shoah zusammen mit Displaced Persons eine dritte Kultusgemeinde, die am Ende des 20. Jahrhunderts durch Auswanderer aus der Ukraine und Russland auf mehr als 1000 Mitglieder anwächst.

Die Konzilien des 12. und 13. Jahrhunderts verbieten den Christen bei Geldgeschäften den Wucher und das Zinsnehmen überhaupt. Der Geldverleih wird damit Aufgabe der jüdischen Kaufleute: Sie fungierten auch als Geldgeber für Kaiser, Adel, Bischöfe und Reichsstädte. Dieser – wegen des Monopols starken – Position stand jedoch in einer christlich geprägten Gesellschaft eine abwertende Sicht des Judentums gegenüber, die zusätzlich von antijüdischen Äußerungen der Kirche verstärkt wurde. Bereits der Ort der mittelalterlichen jüdischen Gemeinde von Augsburg lässt dies erkennen:

Die Judengasse (heute: Karlstraße) befand sich zwischen der Bürgerstadt mit Rathaus und St. Moritz, und der Bischofsstadt mit dem Dom – also nicht im Zentrum, sondern zwischen zwei Zentren. Vielleicht diente diese Lage aber auch als Schutz.

Im 13. Jahrhundert verfügte die jüdische Gemeinde von Augsburg über eine außerordentliche Finanzkraft, die sie auch im eigenen Interesse einzusetzen wusste. Der Stauferherzog Konradin stellte mit Urkunde vom 30. November 1266 seine zu Augsburg lebenden Schutzjuden ("Iudeis nostris spectantibus ad Cameram Magestatis nostre nunc residentibus cum ipsis in Augusta") unter den Schutz der Stadt. Die Regularien des Zinsgeschäftes, aber auch ein Verbot des sexuellen Verkehrs sowie die Fleisch- und Badeordnung im Augsburger Stadtrecht (um 1270) regelten das jüdisch-christliche Zusammenleben. Das Stadtrecht verhinderte jedoch nicht die Ausgrenzung der Juden. Dies belegt die Urkunde zur Errichtung eines eigenen Badehauses (5. Dezember 1290): In ihr "erlaubt" der Stadtrat den Juden, ein eigenes Badehaus zu errichten, "damit sie uns in unseren Bädern nicht stören". Die unterschwellig herrschenden Spannungen wurden in der Folgezeit wohl nicht geringer, auch wenn es in Augsburg zunächst nicht zu offenen Gewaltausbrüchen kam.

In einer Urkunde vom 23. August 1298, die sicherlich im Zusammenhang mit der Rintfleisch-Verfolgung desselben Jahres steht, verpflichten sich die Augsburger Juden "ungebeten und freiwillig" zur Finanzierung eines Teils der Stadtmauer, als Gegenleistung für ihren Schutz vor den blutgierigen "Judenschlägern". Dieses Pergament, welches die jüdische Gemeinde mit einem eigenen Siegel beglaubigte, erwähnt auch die Synagoge und einen Friedhof nahe des geplanten Mauerabschnitts im Nordwesten der (Alt-)Stadt.

Im Jahr 1308 zahlten die jüdische Gemeinde an den Rat der Stadt die sehr beachtliche Steuersumme von 500 Pfund Pfennigen. In der Folgezeit wurde es ihnen zum Verhängnis, dass der Rat, die Bürger, der Klerus und der Adel bei ihnen große Schulden hatten. Der einflussreiche Ministeriale Heinrich Portner hetzte gegen die Juden, bis die Aggression am 22. November 1348 in einem Pogrom explodierte.

Rund 130 Augsburger Juden wurden ermordet, vermutlich sogar mit Beihilfe des Stadtrats. Die wenigen Überlebenden mussten allen Besitz abgeben; leerstehende Gebäude hat man enteignet und verkauft. In der Augsburger Chronik des Sigismund Meisterlin von 1457 (SuStB Augsburg, 2 Cod H 1, fol. 110r) wird dieses Massaker nur beiläufig erwähnt: "Als man zählt von Christi Geburt tausend dreihundert und acht und vierzig Jahre am Sankt Cecilien Tag wurden die Juden zu Augsburg verbrannt".

Als es jedoch schnell klar wurde, dass der Augsburger Rat eine gute Einnahmequelle verloren hatte, wendete sich das Blatt. Durch die Vergabe neuer Privilegien und der teilweisen Rückerstattung von Eigentum kamen wieder jüdische Familien nach Augsburg, 1355 zählte man 18 Haushalte, die einen Minjan bilden konnten. 1361 wird erstmals die "Judengazzen" erwähnt, auf dem Areal der heutigen Karlstraße. Es handelte sich um keinen geschlossenen Bereich, sondern Juden und Christen lebten in dieser durchaus repräsentativen Straße Tür an Tür. Sechs Jahre später taucht am anderen Ende der (Alt-)Stadt, an der Maximiliansstraße Richtung St. Ulrich und Afra, der Flurname "Judenberg" auf. Dessen Ursprung ist jedoch bis heute ungeklärt.

Durch die ständig erhöhte Judensteuer verarmten die Familien, was ihre Anwesenheit in den Augen der Obrigkeit zusehends uninteressanter machte. 1434 erfolgte ein Erlass Kaiser Sigismunds (reg. 1411-1437), der alle Juden verpflichtete, an ihrer Kleidung einen gut erkennbaren gelben Ring zu tragen. Am 8. Juli 1438 beschloss die Ratsversammlung, dass alle Juden innerhalb der nächsten zwei Jahre die Reichsstadt verlassen müssen. Die Gemeinde umfasste damals 150 Personen. Die Israeliten verkauften daraufhin ihren Besitz und wanderten in andere Städte aus. Die bereits erwähnte Augsburger Chronik von 1457 berichtet: "Zu dieses Königs Zeiten und mit seiner Erlaubnis wurden die Juden hier zu Augsburg ausgetrieben und sollten ewiglich nimmer herein". Viele wollten ihrem Geschäftsfeld nahe bleiben und ließen sich in Augsburg-Kriegshaber nieder. Die Gemeindeeinrichtungen – Synagoge, Tanzhaus, Mikwe und Friedhof – wurden beschlagnahmt.

Der Friedhof, dessen Einzugsgebiet sich zwischenzeitlich auch auf die Gemeinden in Aichach, Lauingen und Donauwörth erstreckte, wurde aufgelassen und Grabsteine für öffentliche Bauten verwendet, etwa bei der Rathaustreppe. Das aufgelassene Friedhofsgrundstück wurde Teil der Befestigungsanlagen und mit der "Judenbastion" bebaut.

Offiziell behielt das Niederlassungsverbot in Augsburg bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts seine Gültigkeit. Nach Einführung der Reformation in Augsburg wurden hier zwischen 1533 und 1544 erstmals in Deutschland hebräische Bücher gedruckt. Mit Genehmigung der Behörden fertigte der jüdische Drucker Chajjim Schwarz aus Prag mit seinen Gehilfen in der Werkstatt des christlichen Buchdruckers Silvan Otmar elf aufwendig ausgestattete Kommentare und Gebetbücher in hebräischer und jiddischer Sprache an. Auch in Krisenzeiten, wie z.B. während des Dreißigjährigen Krieges, gewährte die Stadt Augsburg vorübergehend Aufenthaltsgenehmigungen für Juden, die sie sich jedoch teuer bezahlen ließ.

Jüdische Händler konnten sich nur tageweise innerhalb der Augsburger Stadtmauern aufhalten, mussten dafür jedoch hohe Gebühren an den Stadttoren entrichten. Viele von ihnen wohnten unmittelbar an den Grenzen des städtischen Burgfriedens in Kriegshaber und Pfersee, damals kleine Orte auf dem Gebiet der Markgrafschaft Burgau. Der direkte Weg in die Stadt führte durch das Gögginger Tor (1860 abgetragen) sowie das Wertachbrucker Tor, vor dem bis heute ein ehemaliges Wachhaus der Stadtsoldaten steht. Diese hatten jeweils einen jüdischen Händler gegen Gebühr innerhalb der Stadt zu begleiten und beklagten sich 1741 über deren respektloses Betragen. Während der Reichstage reisten außerdem Hofjuden und kaiserliche Hoffaktoren an, die von Zahlungen befreit waren. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts schlossen dann wohlhabende jüdische Händler aus den Nachbarorten sogenannte Akkordverträge ab, die es ihnen erlaubten, regelmäßig nach Augsburg zu pendeln und dort ihren Geschäften nachzugehen.

Vor allem die christlichen Kaufleute forderten vom Stadtrat jedoch immer wieder die Verbannung der jüdischen Konkurrenten. Nachdem in der ersten Hälfte der 1740er Jahre wieder erstmals Juden in der Stadt Fuß fassen konnten, befahl man im Mai 1745 erneut ihre Ausweisung.

Aus diesen Jahren stammt eine allegorische Figurengruppe im Hofgarten der fürstbischöflichen Residenz (Fronhof 8), die ursprünglich wohl für das Lustschloss Marktoberdorf geschaffen wurden: Nach Vorlagen aus dem 1710 erschienenen "Callotto resuscitato, oder Neu eingerichtes Zwerchen Cabinet" repräsentieren grotesk anmutende Zwerge durch ihre Kleidung soziale Schichten der Zeit, nämlich Bauer, Adeliger, Kaufmann und Jude. Letzterer wird durch seinen Vollbart und einen Judenhut erkennbar.

Augsburg fiel 1806 an das Königreich Bayern. Das 1813 in Kraft getretene Judenedikt erlaubte die Ansiedlung von anfangs dreizehn, ab 1818 von vierzehn wohlhabenden jüdischen Familien in der Stadt. Diese Beschränkung blieb bis zur Aufhebung dieses Gesetzes 1861 gültig. Die jüdische Gemeinde zählte deshalb in den Jahren 1814/15 nur rund 130 Mitglieder. Ihre Toten fanden auf dem Friedhof im heutigen Vorort Augsburg-Kriegshaber (Hooverstraße 15) ihre letzte Ruhestätte. Das zuständige Distriktsrabbinat befand sich ebenfalls in Kriegshaber (1861 nach Augsburg übertragen). Obwohl die jüdischen Mitbürger gut in Wirtschaft und Gesellschaft integriert waren, kam es immer wieder zu Spannungen. Mit einem Antrag an die Königliche Regierung versuchten Augsburger Geschäftsleute 1856 die Zulassung mehrerer jüdischer Großhändler zu verhindern.

Ab den 1840er Jahren erlebte die Stadt durch die Einrichtung der Bahnverbindungen nach München und Nürnberg einen großen wirtschaftlichen Aufschwung und entwickelte sich zu einem Zentrum der Metall- und Textilindustrie.

Ein neuer jüdischer Friedhof mit Leichenhaus und Aussegnungshalle wurde 1867 im Stadtsüden (Haunstetter Straße 64) angelegt. Mit dem Wegfall der Zuzugssperre stieg daher die Zahl der jüdischen Kaufleute in der schwäbischen Metropole sprunghaft an. Die israelitische Kultusgemeinde wies 1861 die zu ihrer Gründung erforderliche Anzahl von 50 Familien auf. 1867 zählte sie bereits rund 450 Mitglieder; 1875 waren es schon rund 890 Personen. Das Bankwesen lag 1870 fast zur Hälfte in jüdischer Hand. Seit 1863 war Augsburg Bezirksrabbinat. Die Rabbinate Pfersee und Steppach wurden ihm 1873, die Rabbinate Altenstadt und Fellheim 1878 angegliedert. Die Bedeutung, die der wirtschaftlich starken und reformfreudigen Kultusgemeinde Augsburg damals zukam, zeigt die Tatsache, dass man 1871 die schwäbische Hauptstadt als Tagungsort für die II. Israelitische Synode auswählte. Das Gemeindezentrum lag "Am Hunoldsberg". Nach dem Abriss der Festungsanlagen im Süden und Westen der Stadt wuchsen neue, prestigeträchtige Wohngebiete. Dorthin zogen bevorzugt Familien aus der gehobenen Bürgerschicht, unter ihnen auch viele Israeliten. Mit der Anlage einer Grünanlage und dem Bau des Amts- und Landgerichtsgefängnis am Katzenstadel südwestlich des Wertachbrucker Tors verschwanden ab 1891 auch die letzten Reste des "Judenwalls".

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts prägten einige herausragende jüdische Persönlichkeiten und Firmen das öffentliche Leben der Stadt. 1906 eröffnete Hugo Landauer die "Kaufhalle Hugo Landauer, Manufakturwaren", ab 1907 in "Kaufhaus Brüder Landauer" umbenannt. Im Lauf der Jahre wurde es zum führenden Haus in Augsburg und ganz Bayerisch-Schwaben. Das große Jugendstil-Gebäude prägte bis heute den Königsplatz (1938 als "Zentralkaufhaus" arisiert).

Textilfirmen wie jene der Familie Kohn an der Grottenau beschäftigten dutzende, teils auch hunderte Angestellte aller Konfessionen und trugen so zum industriellen Wohlstand bei. Zum Gedenken ihres verstorbenen Mannes, Bankier August Bühler (1856–1910), stiftete seine Witwe Sabine geb. Ullmann (1857-1930) den sogenannten "Goldschmiedebrunnen" auf dem Martin-Luther-Platz, der gleichzeitig die reiche Tradition der Augsburger Gold- und Silberschmiedekunst feiert. Im Jahr 1910 gehörten der Kultusgemeinde über 1200 Personen an. Dem großen Mitgliederzuwachs wurde mit einem repräsentativen, aus mehreren Bauteilen bestehenden und aufwendig ausgestalteten Gemeindezentrum (Halderstraße 6‒8) Rechnung getragen. Schon bald nach seiner Fertigstellung 1917 wurde das relativ friedliche Zusammenleben der Christen und Juden in Augsburg jedoch durch antisemitische Anschläge getrübt. Ihr wirtschaftliche Erfolg, ihr reges Vereinsleben und ihre enge Verbundenheit mit der städtischen Gesellschaft riefen zunehmend Neid und Missgunst hervor. 1924 und 1930 wurde der jüdische Friedhof an der Haunstetter Straße teilweise verwüstet. 1931 forderte die "Neue National-Zeitung" sogar schon zum Boykott jüdischer Geschäfte auf, was durch das Augsburger Landgericht damals noch verurteilt wurde. Eine bislang wenig bekannte Quelle mit wertvollen Details zum Gemeindeleben in den späten 20er und 30er Jahre ist der Israelitische Kalender für Augsburg, dessen Jahrgänge von 1926 bis 1938 in der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg erhalten sind. Unter anderem enthält er allgemeine Informationen und amtliche Bekanntmachungen, Gebetszeittafeln sowie Fotografien des amtierenden Vorstands.

Abraham Zvi Idelsohn (1882-1938) war iin Lettland aufgewachsen und ließ sich in kantoralem Gesang und in klassischer Musik ausbilden. Er war als Kantor in Berlin, Augsburg, Leipzig, Regensburg (1903) und Johannesburg tätig. Zwischen 1906 und 1921 lebte er hauptsächlich in Jerusalem. Hier entstand "Sefer HaSchirim", eine "Sammlung hebräischer Lieder für Kindergärten, Volks- und höhere Schulen", die 1912 vom Hilfsverein der Deutschen Juden herausgegeben wurde. Idelsohn starb 1938 in Johannesburg.

Im Rahmen der Recherchen in der Israelischen Nationalbibliothek im November 2019 wurde von einem Projektteam – Danny Donner, Dr. Gila Flam, Thomas und Andreas Spindler – das in der Musikwissenschaft nahezu unbekanntes Liederbuch wiederentdeckt. Das "jüdisch-deutsche Liederbuch von 1912" ist in seiner Art und Konzeption weltweit einzigartig. Abraham Zvi Idelsohn war seiner Zeit weit voraus und schuf es als Sammlung der beliebtesten hebräischen und deutschen Lieder. Er konzipierte es als grundlegendes musikpädagogisches Werk, um es für den Musikunterricht in Kindergärten, Volks- und höheren Schulen in Palästina, Deutschland und in der Diaspora einzusetzen.

Das in der Israelischen Nationalbibliothek von Jerusalem erhaltene Original ist ein herausragender Beleg der gleichberechtigten Verwendung hebräischer und deutscher Musik. Zugleich spiegelt es die Träume der Juden wieder, in der deutschen Gesellschaft als gleichberechtigte Bürger angekommen zu sein. Dieser Traum zerplatzte 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

Innovativ war Idelsohns Idee das Liederbuch zweisprachig anzulegen und im hebräischen Teil der Liedsammlung die Notenschrift analog der hebräischen Schrift von rechts nach links zu notieren. Es ist das erste in dieser Art dokumentiere Werk mit enormer Relevanz für die heutige Gesellschaft.

Das Liederbuch ist online zugänglich über die digitale Bibliothek und Wissensplattform


Arche Musica, das zentrales Kernstück des deutsch-israelischen Forschungs- und Bildungsprojektes "Projekt 2025 – Arche Musica". 

Bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 zählte die Augsburger Judenschaft 1020 Mitglieder. Auch sie erlitten zunehmend Hassattacken, Ausgrenzungen und Repressalien. Schon am 28. März 1933 rief die „Neue National-Zeitung“ in einer Schlagzeile zum "Kampf gegen Alljuda" auf. Innerhalb von fünf Jahren wurden fast alle jüdischen Firmen geschlossen oder zu Spottpreisen erworben und „"arisiert". Jüdische Vereine mussten aufgelöst werden und die Israeliten wurden nach und nach aus dem gesamten öffentlichen Leben ausgeschlossen. Trotzdem bemühte sich die Kultusgemeinde weiterhin um Eigenständigkeit. 1935 hat man das "Beth Chaluz" (Haus der Pioniere) gegründet, in dem Jugendliche eine Ausbildung zur Vorbereitung auf die Auswanderung nach Palästina erhielten. Seit 1936 wurde im Gemeindezentrum neben dem Religions- auch allgemeiner Schulunterricht erteilt. Ein privater Kindergarten wurde dort eingerichtet und man plante außerdem ein eigenes Altersheim, eine Gaststätte und eine Turnhalle.

Einen Höhepunkt erreichte die Unterdrückung der Juden während der Novemberpogrome 1938. Am frühen Morgen des 10. November zerstörten etwa 30 NSDAP-Mitglieder die Inneneinrichtung der Synagoge und legten Feuer. Danach wurden viele Israeliten verhaftet und verhört, ihre Häuser durchsucht, das Inventar zerstört oder gestohlen. Der letzte Augsburger Bezirksrabbiner Dr. Ernst Jacob (1899–1974) wurde zusammen mit 150 jüdischen Männern in das Konzentrationslager Dachau verschleppt und dort einen Monat lang interniert, wobei viele der Juden starben. 1939 hatte sich die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde Augsburg um die Hälfte reduziert; u.a. emigrierte auch der ehemalige Rabbiner Jacob in die USA. Die Augsburger Kultusgemeinde wurde daraufhin München angegliedert. Ab November 1941 bis Februar/März 1943 deportierten die Nazis Augsburger Jüdinnen und Juden in mehreren Deportationen in Konzentrationslager von Riga, Piaski, Theresienstadt und Ausschwitz und ermordeten sie dort. Mutige Christen konnten einige wenige vor diesem Schicksal bewahren. Insgesamt starben 613 jüdische Mitbürger aus Augsburg durch die Nationalsozialisten. Rund 560 Jüdinnen und Juden gelang die Flucht ins Ausland.

Nach dem Zweiten Weltkrieges gründeten die wenigen überlebenden Augsburger Juden zusammen mit jüdischen DPs aus den befreiten Lagern im Jahr 1946 die Israelitische Kultusgemeinde Augsburg-Schwaben. Ihr gehörten anfangs rund 340 Personen an. Sie feierten in der völlig verwahrlosten Hauptsynagoge die ersten Gottesdienste. Rund 300 sog. Displaced Persons (DPs), verschleppte Juden aus Osteuropa, die in Lagern lebten, bildeten eine eigene jüdische Gemeinde. Der Großteil von ihnen emigrierte schon bald nach Israel. Aufgrund unterschiedlicher Traditionen kam es in Augsburg zwischen den deutschen und den osteuropäischen Juden zu harten Konflikten, die sogar das Verwaltungsgericht beschäftigten. Erst 1950 hat man auch den ausländischen Juden die Mitgliedschaft in der Kultusgemeinde zugestanden. Der aus Polen stammende Textilfabrikant Julius Spokojny (1923–1996) wurde 1952 Vorstandsmitglied und 1963 Vorsitzender. Er steuerte in diesen Funktionen sehr tatkräftig und erfolgreich den Wiederaufbau der Israelitischen Kultusgemeinde Augsburg-Schwaben. Spokojny setzte sich sehr für die Aussöhnung zwischen Juden und Christen ein. Er war Gründungsmitglied der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Augsburg und Schwaben. Sie ist heute Teil des weltweit agierenden Verbands, der sich für die Verständigung zwischen Christen und Juden, für den Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsradikalismus sowie für ein friedliches Zusammenleben der Völker und Religionen engagiert. Die Werktagssynagoge und den Trausaal hat man 1963/64 nach Plänen des jüdischen Architekten Zvi Guttmann (1917‒1977) umgebaut, und fortan für Gottesdienste genutzt.

Zum großen Teil ist es ebenfalls dem Vorstand Julius Spokojny zu verdanken, dass die große Synagoge an der Halderstraße nach zehnjähriger Restaurierung 1985 neu eingeweiht werden konnte. Gleichzeitig öffnete im Westtrakt das Jüdische Museum Augsburg-Schwaben als erstes jüdische Museum in Bayern nach dem Zweiten Weltkrieg.Seit 2005 hat die Israelitische Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg wieder einen eigenen Rabbiner. Die Gemeinschaft umfasste 2007 fast 1700 Mitglieder, die in ganz Schwaben ansässig sind. Fast alle von ihnen kamen als "Kontingentflüchtlinge" aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland.

Der jüdische Friedhof (Haunstetter Straße 64) aus dem 19. Jahrhundert umfasst heute noch rund 1000 Grabsteine und wird wieder von der Kultusgemeinde genutzt. Am 9. November 1950 wurde auf dem Friedhof eine Gedenkstätte für die 500 NS-Opfer der Augsburger Kultusgemeinde eingeweiht. Am gleichen Tag erfolgte die Weihe des Mahnmals und der KZ-Gräberstätte auf dem Westfriedhof, die 235 KZ-Opfern (darunter 40 aus Augsburg) als letzte Ruhestätte dient. Das durch einen Luftangriff 1944 zerstörte Taharahaus wurde 1963 vom Architekten Hermann Zwiguttmann (1912–1977) neu errichtet.

Im Maximiliansmuseum werden eine Anzahl Grabsteine des mittelalterlichen jüdischen Friedhofs sowie verschiedene Ritualien aus Augsburger Werkstätten aufbewahrt. Unter den Grabsteinen (hebr. Mazzewot) ist ein Fragment, dass sich auf das hebräische Jahr 5033 datieren lässt, was im gregorianischen Kalender dem Jahr 1272/73 entspricht. Das Jüdische Museum Augsburg-Schwaben dokumentiert in einer 2006 neu gestalteten Dauerausstellung, aber auch mit regelmäßigen Sonderausstellungen in der ehemaligen Synagoge Kriegshaber die Geschichte des jüdischen Lebens seit dem Mittelalter. Die Arbeitsgemeinschaft Netzwerk jüdische Geschichte und Kultur in Schwaben e.V. betreut die ehemaligen jüdischen Orte und informiert über die reiche jüdische Geschichte der Region. Die ErinnerungsWerkstatt Augsburg e.V. hat mit dem Gedenkbuch Augsburg eine umfangreiche interaktiven Karte online gestellt, um den Opfern von Unterdrückung, Verfolgung und Mord ein Gesicht zu geben. Auch die GeschichtsWerkstatt Augsburg e.V. widmet sich immer wieder der jüdischen Geschichte und Kultur in Augsburg und Umgebung. Seit dem 28. Oktober 2023 ist die Halle 116 (Karl-Nolan-Straße 2–4) ein neuer Ort der historisch-politischen Bildung. Das Kasernengebäude diente 1944/45 als Außenlager des KZ Dachau und beherbergt heute eine große Ausstellung zur Augsburger Zeutgeschichte.

Die Stadt Augsburg selbst widmete den Opfern der Shoah einen Gedenkraum im Rathaus. Die Zusammenstellung der Namen wurde von Gernot Römer (1929–2022) übernommen, dem ehemaligen Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung und Autor zahlreicher Publikationen zur Geschichte der Juden in Schwaben. Der Augsburger Künstler Klaus Goth (*1954) gestaltete die gläsernen Gedenktafeln, die am 9. November 2004 der Öffentlichkeit übergeben wurden. Im Raum wurde 2012 eine weitere Gedenktafel zum 70. Jahrestag der Deportation Augsburger Jüdinnen und Juden nach Piaski angebracht. Im ganzen Stadtgebiet erinnern die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig (*1946) vor ehemaligen jüdischen Wohnungen an ihre ehemaligen Bewohner.


(Patrick Charell | Christine Riedl-Valder)

Bevölkerung 1910

Literatur

  • Yehuda Shenef: Unterwegs im jüdischen Augsburg. 700 Plätze jüdischer Ortsgeschichte im Stadtgebiet. Norderstedt [2023].
  • Yehuda Shenef: OT 006: Fragment eines jüdischen Grabsteins [im Maximiliansmuseum Augsburg]. In: Haus der Bayerischen Geschichte / Peter Wolf u.a. (Hg.): Stadt befreit. Wittelsbacher Gründerstädte. Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2020. Augsburg /Regensburg 2020 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 69), S. 26f.
  • Andreas Lehnertz: Judensiegel im spätmittelalterlichen Reichsgebiet. Beglaubigungstätigkeit und Selbstrepräsentation von Jüdinnen und Juden, Bd. 2. Wiesbaden 2020 (=Forschungen zur Geschichte der Juden A30), S. 440-451, 465-467, 468-470 (Vgl. JSo1, Nr. 3 (1298 VIII 23), Nr. 7 (1307 VI 2), Nr. 8 (1307 VI 2).
  • Gregor Maier: Händler, Ärzte, Bauarbeiter. Die wirtschaftlichen Tätigkeitsfelder der Augsburger Juden 1276-1348. In: Michael Brenner / Sabine Ullmann (Hg.): Die Juden in Schwaben. Sonderausgabe der Bayerischen Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit. München 2013, S. 41-62.
  • Benigna Schönhagen: Die zweite jüdische Gemeinde von Augsburg 1861-1943. In: Michael Brenner / Sabine Ullmann (Hg.): Die Juden in Schwaben. Sonderausgabe der Bayerischen Landeszentrale für Politische Bildungsarbeit. München 2013, S. 225-249.
  • Cornelia Berger-Dittscheid: Augsburg. In: Wolfgang Kraus, Berndt Hamm, Meier Schwarz (Hg.): Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern, Band 1: Oberfranken, Oberpfalz, Niederbayern, Oberbayern, Schwaben. Erarbeitet von Barbara Eberhardt und Angela Hager unter Mitarbeit von Cornelia Berger-Dittscheid, Hans-Christof Haas und Frank Purrmann. Lindenberg im Allgäu 2007, S. 397-413.
  • P. Augustin Renner OSB: Projekt "Jüdische Straßennamen und Ortsbezeichnungen in Augsburg - wieder in Erinnerung gerufen" (Teil 2), in: Humanistisches und Musisches Gymnasium bei St. Stephan in Augsburg (Hrsg.), Jahresbericht 2006/2007. Augsburg 2007. S. 93-99.
  • P. Augustin Renner OSB: Projekt "Jüdische Straßennamen und Ortsbezeichnungen in Augsburg - wieder in Erinnerung gerufen", in: Humanistisches und Musisches Gymnasium bei St. Stephan in Augsburg (Hrsg.), Jahresbericht 2004/2005. Augsburg 2005. S. 107-114.
  • Wolfgang Wüst: Juden im Augsburger Hoch- und Domstift. Eine Minderheit im Spannungsfeld zwischen ökonomischen Fortschritt, grenzüberschreitendem Handel, konfessionskonformer Staatlichkeit und bischöflicher Mandatswillkür. In: Peter Fassl (Hg.): Geschichte und Kultur der Juden in Schwaben II. Neuere Forschungen und Zeitzeugenberichte. Stuttgart 2000 (= Irseer Schriften 5), S. 189-208.
  • Theodor Harburger: Die Inventarisation jüdischer Kunst- und Kulturdenkmäler in Bayern, hg. von den Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem, und dem Jüdischen Museum Franken – Fürth & Schnaittach, Bd. 2. Fürth 1998, S. 36-41.
  • Israelitischer Kalender für Augsburg. Mit den amtlichen Bekanntmachungen und Gebetszeittafeln der Israelitischen Kultusgemeinde Augsburg. München 1926/27-1937/38. Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, Aug 1185.
  • K. statistisches Landesamt: Gemeindeverzeichnis für das Königreich Bayern. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 und dem Gebietsstand von 1911. München 1911 (= Hefte zur Statistik des Königreichs Bayern 84), S. 246.
  • Die "Augsburger Chronik" von Sigismund Meisterlin, Augsburg 1457 mit Fortsetzung des Hektor Mülich 1489/90. SuStB Augsburg, 2 Cod H 1, fol. 106r u. 108r.