Jüdisches Leben
in Bayern

Aschau a.Inn Gemeinde

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs quartierte die amerikanische Militärregierung minderjährige Displaced Persons (DPs) ohne Familie oder Eltern im Aschauer Ortsteil Waldwinkel ein, wo sie eine ehemalige Arbeitersiedlung der Dynamit Nobel AG umfunktionierte. Hier entstand ein sogenanntes Children’s Center, ein Heim für elternlose Kinder. Die Mehrheit der Ankömmlinge stammte aus Polen, aber auch Ungarn oder Rumänen befanden sich unter ihnen. Unmittelbar nach ihrer Ankunft in Aschau wurde begonnen, das Alltagsleben zu organisieren. Unterstützung erfuhr man dabei von der UN-Flüchtlingsbehörde UNRRA sowie von verschiedenen jüdischen Hilfsorganisationen, die neben den nötigen Sachleistungen auch die Lebensmittel lieferten. 





Schon bald wurden die täglichen Mahlzeiten von den Betreuern und zeitweise angestellten deutschen Hilfskräften in der Lagerküche zubereitet. Da die im selben Gebäude untergebrachte Kantine zu klein war, mussten die Kinder ihr Frühstück, Mittag- und Abendessen jedoch in zwei Schichten einnehmen. Im Speisesaal fanden aber auch kulturelle, religiöse und politische Veranstaltungen der Selbstverwaltungsgremien statt.Durchschnittlich lebten 400 jüdische Jungen und Mädchen mit ihren Betreuern in der Siedlung, die aus 22 kleinen Wohnhäuschen sowie 14 Verwaltungs- und Versorgungsgebäuden bestand. Die Kinder und Jugendlichen gehörten mehrheitlich entweder der linkszionistischen Jugendorganisationen Dror oder der religiös-zionistischen Vereinigung Bnei Akiba an und sollten bis zur endgültigen Ansiedlung in Erez Israel zusammenbleiben. Zeitweise besuchten 275 Kinder die lagereigene jüdische Volksschule und lernten neben Schreiben, Rechnen und Lesen begeistert ihre neue "Muttersprache" Hebräisch; die noch nicht schulpflichtigen Jungen und Mädchen gingen in den Kindergarten, während bis zu 130 Jugendliche verschiedene Lehrgänge für handwerkliche Berufe belegen konnten.

Das Kinderzentrum verfügte über eine eigene Lagerbibliothek mit rund 700 Bänden, darunter Bücher von Goethe, Tolstoi oder Kleist, aber auch ostjüdische Klassiker wie etwa „Tewje der Milchmann“ von Scholem Alejchem. Zur Zerstreuung wurden zudem öfters Filme gezeigt. Die Jungen und Mädchen waren begeisterte Kinogänger und fuhren daher manchmal sogar in die benachbarte Ortschaft Kraiburg, um sich im dortigen Lichtspielhaus die neuesten Filme anzuschauen. Außerdem existierte eine eigene Fußballmannschaft. Im April 1946 reiste das Team von Kadima (Vorwärts) Aschau sogar zu einem Freundschaftsspiel gegen Makabi Bamberg ins Fränkische. Ende Dezember 1946 fand ein besonderes Sportereignis in Aschau statt: Die regionalen "Jidiszen Ping-Pong Majsterszaftn". Vom 24. bis 26. Dezember spielten Mannschaften aus den oberbayerischen DP-Camps in Aschau die jüdische Tischtennismeisterschaft aus.

Sporadisch verließen immer wieder kleine oder größere Gruppen den "Wartesaal" und machten sich illegal auf die Reise ins Gelobte Land. Einige erreichten Palästina; viele wurden jedoch zurückgeschickt und in englische Internierungslager auf der Insel Zypern eingesperrt. Die Mehrheit der Aschauer Kinder wanderte aber – die letzten nach Proklamation des Staates Israel im Mai 1948 – ins Gelobte Land ein. Zu dieser Zeit schloss auch das Children’s Center seine Pforten und verwandelte sich für knapp zwei Jahre in ein Berufsausbildungs- und Rehabilitationszentrum für Überlebende der Shoa. 1950 übernahm die katholische Ordensgemeinschaft der Salesianer Don Bosco das Gelände und errichtete dort das Berufsbildungswerk Aschau am Inn, eine Ausbildungsstätte für Jugendliche mit körperlicher, sozialer oder psychischer Behinderung

(nach Jim G. Tobias, NURINST)