Biografien
Menschen aus Bayern

Philipp Auerbach Drogist, Staatskommissar und "Generalanwalt für Wiedergutmachung"

08.12.1906, Hamburg
16.08.1952, München

Wirkungsort: München

Kaum eine Persönlichkeit im Nachkriegs-Bayern war so schillernd, fand so viel öffentliche Wertschätzung und gleichzeitig so viel massive Kritik wie Philipp Auerbach. Der Shoah-Überlebende war von 1946 bis 1951 "Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte" in München. Als Generalanwalt für Wiedergutmachung umfasste sein Zuständigkeitsbereich ab 1949 vor allem für die deutsche Wiedergutmachungspolitik zugunsten ehemaliger Verfolgter des NS-Regimes. Zusätzlich war er Mitglied des Direktoriums im Zentralrat der Juden in Deutschland. Sein Ressort konnte über große finanzielle Mittel verfügen; es mehrten sich Vorwürfe des Missbrauchs. Im Jahr 1952 beging Auerbach nach einer Verurteilung wegen Veruntreuung und Betrug Selbstmord. 1954 wurde er jedoch durch einen Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags vollständig rehabilitiert.

Philipp Auerbach wurde als eines von zehn Geschwistern der Helene geb. Posen (1877-1930) und Aaron Auerbach (1869-1938) geboren, einem Chemikalien-Exportgroßhändler. Von April 1913 bis März 1922 besuchte Philipp Auerbach die jüdische Realschule in Hamburg, dann machte er bei seinem Vater eine kaufmännische Lehre und besuchte gleichzeitig eine Drogisten-Fachschule. Auf Wunsch des vaters hin hielt er sich zwei jahre in Spanien auf, wo er unter anderem eine Mine in Familienbesitz leitete [sic] und mehrere Sprachen erlernte. Nach Hamburg zurückgekehrt, trat er wieder in den väterlichen Großhandel ein. Philipp Auerbach heiratete 1931 die aus Hannover gebürtige Martha Levisohn (1906-1998). Die Ehe, aus der Helen Ruth verh. Rosenthal (1933-2019) hervorhing, wurde 1946 in Düsseldorf geschieden.

Nach der NS-Machtübernahme 1933 emigrierte er nach Belgien, weil ihn schon seine parteipolitische Tätigkeit für die Sozialdemokraten nationalsozialistischen Angriffen ausgesetzt hatte. In einem Vorort von Antwerpen gründete er eine rasch expandierende Import-Export-Firma für Chemikalien und beschäftigte zeitweise 2000 Arbeiter. 1935 bis 1940 erwirtschaftete er ein Jahreseinkommen von durchschnittlich 600.000 belgischen Francs. Philipp Auerbach belieferte die sozialistische Regierung im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) und unterstützte sie auch durch das illegale Einschleusen deutscher Freiwilliger. Mit der Kriegserklärung Hitlers an Belgien verlor Auerbach seine deutsche Staatsbürgerschaft. Trotzdem wurde er am 10. Mai 1940 als "feindlicher Ausländer" von den belgischen Behörden verhaftet und nach Frankreich abgeschoben. Von einem Internierungslager in das andere wechselnd, lebte er ständig in der Angst, nach Deutschland ausgeliefert zu werden. Französische Behörden lieferten Auerbach 1042 an die Gestapo aus. die ihn in Berlin als Dolmetscher einsetzte. Um die Jahreswende 1943/44 kam Auerbach dennoch nach Auschwitz, wo er als Chemiker Medikamente für die Mithäftlinge sowie Chemikalien zur Schädlingsbekämpfung herstellte. Nach Auflösung des Lagers am 18. Januar 1945 wurde er über das KZ Groß-Rosen nach Buchenwald verlegt, wo er die gleiche Funktion übernahm. Am 11. April 1945 wurde Buchenwald von der US-Armee befreit, die sich daraufhin zurückzog. Um einer Verschleppung in die Sowjetunion zu entgehen, setzte sich Philipp Auerbach nach Düsseldorf ab, wo er sich als aktiver Politiker für die SPD engagierte. Kurzzeitig wurde er dort als Sachbearbeiter beim provisorischen Regierungspräsidenten eingestellt, aber wegen seiner unwahren bzw. +übertriebenen Aussagen zur eigenen Verfolgung bereits am 15. Januar 1946 wieder entlassen.

Philipp Auerbach hatte sich bei der (Neu-)Gründung und Organisation der jüdischen Kultusgemeinden engagiert. Für seine Verdienste hatte ihn die britische Militärregierung für seine Verdienste als Präsident des Landesverbandes aller jüdischen Kultusgemeinden der britischen Besatzungszone eingesetzt. Fünf Tage nach seiner Entlassung bat er den bayerischen Ministerpräsidenten um die Übertragung eines vergleichbaren Amtes, wieder unter falschen persönlichen Angaben.

Mit Zustimmung der US-Militärbehörden und wegen der Fürsprache angesehener jüdischer Kreise bekam Auerbach am 10. Oktober 1946 die förmliche Ernennung zum "Staatskommissar für die Betreuung der Opfer des Faschismus" und erhielt ab 1947 die Bezüge eines Ministerialdirektors. Das schwierige und beispiellose Amt übernahm somit ein Mann, der für diese Aufgabe keine formalen Voraussetzungen mitbrachte. Trotzdem erwies er sich als fähiger Bürokrat. Er unterstützte die Anliegen der Displaced Persons in Bayern und konnte durch seine Autorität und seine pragmatische Improvisationskunst viele Hürden aus dem Weg räumen, an denen ein gesetzestreuer Beamter gescheitert wäre. In einer Doppelrolle sollte er die Interessen der verfolgten gegenüber dem Staat, aber gleichzeitig auch die Interessen des Staates gegenüber den Ansprüchen dritter vertreten. Dabei standen ihm für damalige Verhältnisse enorme Summen zur Verfügung. Im Jahr der Währungsreform etwa, als jedem erwachsenen Westdeutschen 40 DM ausgehändigt wurde, betrug sein Etat 6,5 Millionen DM. Mit dieser finanziellen Ausstattung wurde Auerbachs Einfluss immer größer: Im Ausland, vor allem den USA, als Wegbereiter der Wiedergutmachung gefeiert, bei den US-Militärbehörden persona nun grata, von Hilfesuchenden Tag und Nacht belagert, von seinen Mitarbeitern verehrt.

Um Auerbachs Einfluss zu mindern, setzten der bayerische Justizminister Müller und der Landesrabbiner Dr. Ohrenstein seine Einsetzung als "Generalanwalt für Wiedergutmachung" durch: Auerbach sollte nurmehr die Seite der verfolgten wahrnehmen, wogegen sich jedoch die US-Behörden aussprachen. Mit Verordnung vom 22. November 1949 erhielt Auerbachs Behörde die Bezeichnung "Bayerisches Landesentschädigungsamt", aber wegen vielerorts lauter werdender Bedenken führte Philipp Auerbach nur vorläufig die Geschäfte des Amtes. Öffentlich vorgebrachte Vorwürfe, dass Auerbach sich in fremde Zuständigkeiten mische, politische Entscheidungen vorwegnähme und rassistisch Verfolgte (sprich: Juden) bevorzuge, hielten einer näheren Prüfung jedoch nicht stand. Wegen angeblicher finanzieller und behördlicher Missstände wurde dennoch ein Strafverfahren angesetzt, ein großer Skandal schien sich anzubahnen. Auerbach unternahm 1951 einen Selbstmordversuch und saß anschließend mehr als ein Jahr lang in Untersuchungshaft.

Der Prozess begann am 14. April 1952 vor dem Landgericht München I. Es war ein Sensationsprozess, von einer großen medialen Aufmerksamkeit begleitet, mit harten Bandagen ausgetragen. Die Anklage lautete auf unterschiedliche Delikte, der schwerste Vorwurf zielte auf persönliche Bereicherung und Veruntreuung von Entschädigungsgeldern an. Das in New York gegründete "Committee on Fair Play for Auerbach" griff ebenfalls in die Berichterstattung ein. Nach 5 Monaten wurde Philipp Auerbach am 14. August 1952 zu 2 1/2 Jahren Gefängnis und 2700 DM Geldstrafe verurteilt. Das Gericht unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Dr. Mulzer verurteilte Auerbach wegen Untreue, passive Bestechung, Erpressung, Amtsunterschlagung, flasche Versicherung an Eidesstatt sowie unbefugte Führung eines akademischen Grades. Nicht bezweifelt wurden Auerbachs Verdienste um die Wiedergutmachung, jedoch sei er es als Geschäftsmann und KZ-Häflting zu sehr gewohnt gewesen, eigenmächtig und provisorisch zu handeln, solange nur das Ergebnis stimmte. Auerbach griff zwar das urteil an, nannte es ein "Terrorurteil, wie es sonst nur in die Sowjetzone fällt" und kündigte Berufung an. Noch in der Nacht nach der Urteilsverkündung beging er jedoch Selbstmord und hinterließ einen Abschiedsbrief, in dem er diese Konsequenz den Richtern anlastete. Philipp Auerbach hinterließ seine zweite Frau und eine Tochter. 1954 wurde er durch einen Untersuchungsausschuss völlig rehabilitiert.


(Elke Fröhlich)

Literatur

  • Hans-Hermann Klare: Auerbach. Eine jüdisch-deutsche Tragödie oder Wie der Antisemitismus den Krieg überlebte. Berlin 2022.
  • Werner Ebnet: Sie haben in München gelebt. Biografien aus acht Jahrhunderten. München 2016, S. 63.
  • Elke Fröhlich: Philipp Auerbach (1906-1952), "Generalanwalt für Wiedergutmachung". In: Haus der Bayerischen Geschichte (Hg.) / Manfred Treml / Wolf Weigand: Geschichte und Kultur der Juden in Bayern, Bd. 2: Lebensläufe. München 1988 (= Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 18), S. 315-320.

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