Biografien
Menschen aus Bayern

Petachja ben Jacob (von Regensburg) Rabbiner und Forschungsreisender

geb. 1. H. 12. Jahrhundert, Regensburg (?)
gest. 1225 (?), Regensburg

Wirkungsort: Regensburg

Liest man über jüdisches Leben im Mittelalter, so begegnen oft kaum mehr als Berichte der antijüdischen Pogrome als Begleiterscheinungen der Kreuzzüge oder unhistorischer Beschreibungen von Ghettos in den Städten. Selten stehen die Juden selber als handelnde Akteure im Mittelpunkt der Geschichte – sie sind in der Regel nur Stichwortgeber oder Fußnoten für andere Figuren oder andere Erzählungen. Dabei bietet die Geschichte der Juden, die im Mittelalter auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands lebten, faszinierende, schillernde Figuren. Dazu gehört Petachja von Regensburg, einer von mehreren großen jüdischen Abenteurern des 12. Jahrhunderts, deren Reiseberichte überliefert sind.

Die wenigen Eckdaten, die wir von Petachjas Leben kennen, entstammen dem hebräischen Bericht über seine „Weltreise“ (Sivuv ha-Olam) bis nach Mesopotamien und Persien, den er nicht selbst verfasste, sondern der von Zeitgenossen auf Grundlage seiner Notizen und Erzählungen zusammengestellt wurde. Der Bericht gilt dennoch als eines der wichtigsten Zeugnisse für die Reisen mittelalterlicher Juden. Petachja wurde in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts geboren, wohl in Regensburg, wo seine Familie lebte. Die familiären Kontakte reichten mindestens nach Böhmen, denn auch in Prag hatte er einen Wohnsitz. Einige von Petachjas Verwandten, etwa sein Bruder Isaak ha-Lavan, waren als Schriftgelehrte (Tosafisten) Teil der äußerst umtriebigen jüdischen Gelehrtenszene Regensburgs. Sehr wahrscheinlich ist, dass Petachja ein Schüler des Juda he-Chassid, des führenden Schriftgelehrten und Philosophen des hochmittelalterlichen Judentums war. Petachja gehörte somit in den Kreis der „Chasside Aschkenas“, einer Gruppe jüdischer Gelehrter im Heiligen Römischen Reich, deren auf persönliche Frömmigkeit abzielende Philosophie maßgeblich durch die Erfahrungen der Pogrome während des ersten Kreuzzugs 1096 geprägt war. Sein in diesem Zusammenhang erworbenes Interesse an der Lebensweise von Juden außerhalb seines eigenen unmittelbaren Kulturkreises war sicher ein Motiv für seine Reise nach Osten.

Irgendwann zwischen 1174 und 1187 brach Petachja von Regensburg zu seiner großen Entdeckungs- und Studienreise auf. Ob neben gelehrter Neugier auch andere Gründe hinter seiner Fahrt steckten, ist nicht zu beantworten – zumindest werden in seinem Reisebericht keine anderen Motive genannt. Zunächst reiste er über Prag nach Nordosten, durchquerte Polen und gelangte nach Kiew, Hauptstadt eines der russischen Fürstentümer der Zeit. Über den Dnjepr fuhr er in Richtung der Krim und in die Gegend nördlich des Schwarzen Meeres. Die nomadischen Bewohner dieser Gegenden werden als typische Barbaren beschrieben: Wie bereits der römische Historiker Ammian 800 Jahre zuvor von den Hunnen berichtete, so schildert auch Petachja, dass die Nomaden der Steppen sich von rohem Fleisch ernährten, das sie unter den Sätteln ihrer Pferde mürbe geritten hätten. Die Reise führte ihn nach Süden, wo er im Kaukasus einer jüdischen Religionsgruppe begegnete, die – für ihn als Rabbiner unvorstellbar – über keinerlei Kenntnisse rabbinischer Literatur verfügte und allein die hebräische Bibel, den Tanach, anerkannte. Dabei handelt es sich um einen der frühesten Berichte über die Karäer, eine noch heute existierende jüdische Religionsgemeinschaft.

Der größte Teil seines Reiseberichts schildert jedoch die Gemeinden der Juden in Mesopotamien. In Mosul und Bagdad traf Petachja auf blühende jüdische Gemeinschaften mit einflussreichen Anführern. Besonders interessiert schildert er die Gelehrsamkeit der dortigen Juden, was vor seinem eigenen Hintergrund kaum verwundert. So beeindruckte ihn die Tatsache, dass ein Großteil der Mitglieder der mesopotamischen Gemeinden in der Lage war, in der Synagoge jederzeit aus der Tora vorzulesen. Der Reisebericht kombiniert dabei oft realistische Schilderungen, insbesondere der Eigenheiten der jüdischen Religiosität im Orient, mit beinahe naiven Berichten von Wundern oder Kuriositäten. So wird etwa der noch heute im Irak existierende Schrein Dhu I-Kifl, das angebliche Grabmal des Propheten Ezechiel, detailliert beschrieben, der noch im 18. Jahrhundert von Muslimen und Juden gleichermaßen verehrt wurde. Allerdings geschehen in Petachjas Reisebericht dort übernatürliche Wunder. Amüsant ist Petachjas Erstaunen über einen Elefanten am Hof in Mosul, der „zwei Wagenladungen Stroh auf einmal vertilgt“. Fische mit Goldohrringen und ein fliegendes Kamel sind schließlich vollends phantastisch – allerdings behauptet Petachja nicht, diese Wunderwesen selbst gesehen, sondern nur von ihnen gehört zu haben.

Neben einem Abstecher nach Persien gelangte Petachja auch nach Palästina und Syrien. Damaskus stand bei seinem Besuch unter der Herrschaft Sultan Saladins. Da dessen Herrschaft dort 1174 begann, muss Petachja danach dort angekommen sein; Jerusalem wiederum wurde noch von den Christen beherrscht, die die Stadt im Ersten Kreuzzug erobert hatten. Er besuchte die Stadt also einige Zeit vor ihrem Fall an die Muslime im Jahr 1187. Diese Informationen sind wichtig, um seine Reise zeitlich einordnen zu können, sie sind die einzigen Anhaltspunkte für die Datierung. Allgemein ist in seinem Reisebericht wenig von interreligiösen Spannungen zwischen Juden, Christen und Muslimen zu spüren, wenn auch Christen und Juden nicht uneingeschränkt positiv dargestellt werden. Das Verhältnis von Juden und Nichtjuden steht nicht im Mittelpunkt des Reiseberichts – ein einigermaßen friedliches Zusammenleben wird bei Petachja als Normalität geschildert.

Petachjas Heimreise aus dem Orient ist nur kurz erwähnt, aus Andeutungen lässt sich schließen, dass sie über das byzantinische Griechenland zurück nach Prag und schließlich nach Regensburg führte. Dort schilderte er seinen gelehrten Zeitgenossen seine Erlebnisse und übergab seine Reisenotizen. Wohl unter der Anleitung des Juda he-Chassid entstand schließlich der überlieferte Text seines Reiseberichts. Was aus Petachja nach seiner Rückkehr wurde, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich verbrachte er den Rest seines Lebens bis ca. 1225 als Schriftgelehrter in Regensburg.

Petachja von Regensburg ist ein Musterbeispiel für das kosmopolitische Interesse und die Energie der Regensburger jüdischen Gemeinde im Mittelalter und steht für eine weltoffene und wissensdurstige Haltung, die man üblicherweise nicht mit dem Image der Epoche verbindet. Seine Reise führte ihn weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus – ein erstaunliches Wagnis für seine Zeit. Dass seine Abenteuerreise schon seine Zeitgenossen begeisterte, zeigt die Tatsache, dass sie den Reisebericht verfassten – die Taten eines einzelnen Mannes wurden zum Stoff der Faszination vieler anderer Menschen für ferne Länder, fremde Gesellschaften und die Überwindung von Grenzen.


Aus der Serie „Gesichter unseres Landes“ von der Hanns-Seidl-Stiftung

(Michael J. Hahn, Leiter des Referats für Politische Grundlagen, Demokratie und Werte im Institut für Politische Bildung der Hanns-Seidl-Stiftung, München)

Literatur

  • Siegfried Wittmer: Jüdisches leben in Regensburg. Vom frühen Mittelalter bis 1519. Regensburg 2001, S. 55-58..
  • Benjamin von Tudela / Petachja von Regensburg. Jüdische Reisen im Mittelalter. Bearb. v. S. Schreiner. Leipzig 1991 (Ausgabe des Sivuv ha-Olam).
  • Yosef Levanon: The Jewish Travellers in the Twelfth Century. Lanham 1980.
  • Elkan Nathan Adler: Jewish Travellers. A Treasury of Travelogues from 9 Centuries. London 1930 (Ausgabe des Sivuv ha-Olam).
  • David Ottensoser: Reise des Rabbinen Rabbi Petachja[h] aus Regensburg. Fürth 1844.

GND: 102414939