Biografien
Menschen aus Bayern

Josel von Rosheim (eig. Joseph ben Gershon Loans) Rabbiner, Barnos der Elässer Landjudenschaft und Stedlan der Reichsjudenschaft

geb. 1476, Hagenau (Elsass)
gest. 1554, Rosheim (Elsass)

Wirkungsort: Rosheim | Augsburg | Regensburg u.a.

Joseph ben Gershon Loans, besser bekannt als Josel, Josselmann oder auch Josselin von Rosheim war für fast ein halbes Jahrhundert die prägende jüdische Führungskraft im Heiligen Römischen Reich. Josel von Rosheim besaß großes Charisma, diplomatisches Geschick und gute Kontakte am Kaiserhof, was ihn nach den Maßstäben der Zeit bemerkenswert erfolgreich machte. Er nahm an sechs Reichstagen teil und nutzte sie als Plattform für seine eigenen Intentionen. Als "judischhait regierer im detzem land" (Vorsitzender der allgemeinen Judenschaft im deutschen Land) verhinderte er viele Pogrome und rettete dadurch zahllose Menschenleben. Er korrespondierte auf Augenhöhe mit Calvin und Luther, verhandelte mit zwei römisch-deutschen Kaisern und setzte mit seinem "Takkanot" juristische Maßstäbe, die für kommende Jahrzehnte und teils Jahrhunderte Gültigkeit hatten.

Die Vorfahren von Josel ben Gershon Loans lebten ursprünglich lebte im badischen Endingen, wo 1470 drei seiner Onkel unter dem Vorwurf des Ritualmordes hingerichtet wurden. Nach der endgültigen Vertreibung der Juden aus Endigen zog die Familie Loans in die Elsässer Reichsstadt Obernai, 1476 floh sie wegen des Burgundisch-Schweizer Krieges nach Hagenau. Wohl dort kam Josel zur Welt, wobei es keine entsprechenden Archivalien dazu gibt. Jedenfalls wuchs er dort auf und erhielt eine traditionelle jüdische Erziehung. Über sein Privatleben, seine Ehe oder etwaige Nachkommen ist nichts bekannt. Später zog Josel in das Dorf Mittelbergheim, wo er sich als Kaufmann und Geldverleiher etablierte. Er machte überregional als charismatischer und rechtskundiger Fürsprecher von sich reden: Im Jahr 1507 wandten sich die zeitweilig aus Obernai vertriebenen Juden an ihn, damit er sich bei den Provinzbehörden und Kaiser Maximilian I. (reg. 1486-1508) für die Aufhebung des kommunalen Dekrets einzusetzte. Als er seine Mission erfolgreich erfüllt hatte, wurde er 1510 zusammen mit dem Rabbiner Zadok zum Barnos der Juden des Unterelsass gewählt.

1514 wurden die Juden von Mittelbergheim nach dem üblichen Muster der Hostienschändung angeklagt. Josel, der zu dieser Zeit wohl als Stedlan der Gemeinde fungierte, konnte vor dem christlichen Gericht ihre Unschuld beweisen. Anschließend zog er in die Reichsstadt Rosheim, wo er bis zu seinem Tod seinen Hauptwohnsitz haben sollte. In den Jahren 1515/16 verteidigte er vor dem Kaiser erneut die von einer Vertreibung bedrohte Obernaier Gemeinde. Im Bauernkrieg 1524/25 gelang es ihm, Rosheim für 80 Gulden vor einer Brandschatzung zu retten.

Mehr als vierzig Jahre lang verteidigte Josel von Rosheim seine Glaubensgenossen im Elsass, und dann zunehmend auch die Juden des Reiches. Bei der Krönung von Karl V. (reg. 1520-1556) erwirkte er neue Schutzbriefe für die Juden des Reiches auf Basis der älteren kaiserlichen Privilegien. Von da an galt er als inoffizieller Barnos (Oberhaupt) der nur lose organisierten Reichsjudenschaft. Josel wurde immer mehr zum Sprecher der gesamten Judenheit des Reiches: Man wählte ihn zum Stedlan, zum offiziellen, von den Gemeinden anerkannten Vertreter der Juden im Heiligen Römischen Reich und in Polen. Er wurde stets zu Hilfe gerufen, um drohende Vertreibungen abzuwenden oder falsche Anschuldigungen des Ritualmordes oder der Hostienschändung zu entkräften: In Hagenau und Ungarn (1529), in Schlesien (1535) und Würzburg (1544), um nur ein paar zu nennen. Die persönliche Gefahr darf man dabei gar nicht hoch genug einschätzen: Er musste kreuz und quer durch das Reich ziehen, auf unsicheren Straßen, von einem Hof zum anderen, wo er nicht selten angefeindet und von vielen gehasst wurde. Als Sprecher der Reichsjudenschaft konnte er auf dem Reichstag zu Augsburg 1530 durchsetzen, dass die verhältnismäßig großzügigen Privilegien seiner Landjudenschaft im Elsass durch einen Kaiserlichen Schutz- und Freiheitsbrief erneut bestätigt und auf das ganze Reichsgebiet ausgeweitet wurde. Der Reichstag versuchte in erster Linie einen Ausgleich zwischen Katholiken und Reformierten herzustellen, und eine geeinte Strategie gegen die vorrückenden Osmanen auf dem Balkan zu finden. Parallel dazu hielt die Reichsjudenschaft unter dem Vorsitz Josels von Rosheim am selben Ort eine Synode ab: Rabbiner, Gemeindevorsteher oder ihrer Vertreter aus allen Teilen des Reiches kamen zusammen. Sie arbeiteten einen Gesetzentwurf aus, der zehn Artikel über Handel und Wandel der Juden mit Christen enthielt (Takkanot des Josel von Rosheim). Vor allem wollten sie die erneut hochkochenden Vorwürfe des Wucherhandels entkräften; gleichzeitig sollten die christlichen Herrscher die eigenständigen jüdischen Rabbinatsgerichte stärker in ihre Prozessordnung einbeziehen, damit nach Möglichkeit Juden direkt über Juden richten konnten. Bei den diversen Abschriften dieses wichtigen Dokuments bezeichnete sich Josel von Rosheim selbst als "genanter judischhait regierer im detzem land" (Vorsitzender der allgemeinen Judenschaft im deutschen Land). Er führte in dieser Zeit ein eigenes Siegel, dass einen Stierkopf in einer Tartsche (Turnierschild) zeigte. Das Siegelbild erinnert an ein Wappen und repräsentiert den sozialen Status, den Josel von Rosheim für sich beanspruchen konnte.

Ebenfalls im Jahr 1530 publizierte ein zum Christentum konvertierter Jude namens Anton Margarita das Buch "Das gantz jüdisch Glaub". Als Enkel eines Talmudisten kannte er die heiligen Schriften, und griff sehr geschickt alle gängigen antijüdischen Stereotype auf. Das zutiefst bösartige hatte das Potential, in der aufgewühlten religiösen Stimmung des Reiches großen Schaden anzurichten. Kaiser Karl V. verlangte, dass Josel von Rosheim in seiner Gegenwart in einem Streitgespräch mit Antonius Margarita für die Reichsjudenschaft eintreten solle. Es fand am 25. Juni 1530 während des Reichstages statt. Josel konnte schlüssig argumentieren, dass es unter den Juden keinen Hass gegen die Christen gebe, und dass sie, getreu der Lehre, nicht an die in Ägypten erlittenen Verfolgungen, sondern nur an ihre Gastfreundschaft denken wollten. Er beharrte auf der Treue der Juden zur Autorität ihrer Gastländer, also auch zum Kaiser und den Reichsfürsten, gemäß der Lehre des Propheten Jeremia. Diese Argumentation beeindruckte Kaiser Karl V. derart, dass er die Ausweisung Margaritas aus der Reichsstadt Augsburg anordnete.

Während des Krieges der kaiserlichen Truppen gegen die protestantischen Fürsten (Schmalkaldischer Bund) 1546 intervenierte Josel von Rosheim zugunsten der Juden im Reich, die von beiden Seiten verfolgt wurden. 1548 sah er sich erneut gezwungen, sich mit einer Beschwerde gegen die elsässischen Städte an den Kaiser zu wenden. Es ist auch durchaus möglich, dass Josef von Rosheim der anonyme jüdische Sprecher in der Debatte mit dem Protestanten Johann Calvin war, die in dessen Veröffentlichung "Ad quaestiones et obiecta Judaei cuiusdam Responsio" beschrieben wird. Im Jahr 1543 setzte er sich gegen Martin Luthers Hassschrift "Von den Juden und ihrer Lüguen" zur Wehr. Ein Jahr zuvor noch hatte er auf dem Reichstag zu Regensburg verhindert, dass den Juden vollständig der Geldhandel verboten wurde, in dem er auf die Wirkung seines Takkanots pochte. Rabbiner Josel von Rosheim war außerdem der Verfasser des kabbalistischen Werkes "Sefer ha Minkna", bei dem er sich auf Abraham Bimagos Derekh Emunah stützte. Er schrieb zwischen 1471 und 1547 auch eine Art Memoiren, vermengt mit moralischen Ratschlägen und Transkriptionen seiner diversen Pamphlete und Reden, die jedoch erst im 20. Jahrhundert durch eine Edition publiziert wurde. In seiner Heimatstadt Rosheim wurde die städtische Mediathek zu seinen Ehren Médiathèque Josselmann de Rosheim benannt.


(Patrick Charell)

Bilder

Literatur

  • Marcus Lehmann: Rabbi Josselmann de Rosheim. New York u.a. 2009.
  • Chava Fraenkel-Goldschmidt: The Historical Writings of Joseph of Rosheim. Leader of the Jewry in Early Modern germany. Brill, Leiden u. Boston 2006 (= Studies in European Judaism 12).
  • Selma Stern: Josel von Rosheim. Befehlshaber der Judenschaft im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Stuttgart 1959.
  • Ludwig Feilchenfeld: Rabbi Josel von Rosheim. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland im Reformationszeitalter (Dissertation). Straßburg 1897.

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